Viuda Negra
Al Final / In The End
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Die katalanischen Traditionsmetaller Viuda Negra brachten es in den Achtzigern auf eine Single und zwei Demos, bevor sie einen der zahlreichen Besetzungs- auch zum Anlaß für einen Stilwechsel nahmen und unter dem Namen Desire anno 1988 ein selbstbetiteltes (auf Ibiza eingespieltes) Album veröffentlichten. Aber auch mit dem US-kompatiblen Hardrock kamen sie keinen Schritt vorwärts (im Riermaier-Lexikon „Heavy Metal aus Südeuropa“ urteilt Andi Preisig, die Scheibe sei nicht schlecht, biete aber nichts irgendwie Erinnernswürdiges) und legten die Bandaktivitäten schließlich zu den Akten. Aus diesem Dornröschenschlaf erwachten sie erst in jüngster Vergangenheit, nannten sich wieder Viuda Negra und brachten zunächst 2018 das Achtziger-Material auf einer CD heraus, welcher der Titel der damaligen Single, Colgar Los Hábitos, gegeben wurde. Offenbar stieß das auf genügend Interesse, um auch einen regulären Longplayer folgen zu lassen – und hier wurde „Klotzen, nicht kleckern“ als Motto ausgegeben: Das Werk erscheint als Doppel-CD, einmal mit spanischen und einmal mit englischen Lyrics. Das Grundprinzip des Sprachendoppels kennt man von spanischen (und mehr noch von französischen) Bands aus den Achtzigern, etwa von Baron Rojo, Sortilége oder Trust, wobei dann aber beide Fassungen getrennt veröffentlicht wurden. Viuda Negra nun bieten das Komplettpaket und offenbaren damit einen geschickten Schachzug: Wer das Gesamtwerk hört, der hört jeden Song zweimal, was den Einprägeeffekt verdoppelt. Unterschiede im instrumentalen Teil gibt es nicht, es wurden offenbar lediglich die Gesangsspuren ausgetauscht und selbst da vielleicht nicht alle – die „Hu – Ha“-Backings in „Viviré“ bzw. „I Will Live“ sind ja sprachübergreifend problemlos erschließbar ...
Von wann die zwölf Songs ursprünglich stammen, also ob es sich komplett um alten Stoff handelt oder auch Neukompositionen dabei sind, müssen Kenner der Bandgeschichte ergründen. Fest steht, dass Material dabei ist, das ursprünglich aus Desire-Zeiten stammt – und man muß nicht lange überlegen, dass „Siempre Huyendo“ bzw. „Always On The Run“ sicher dazugehört, so sehr erinnern die einleitenden Keyboards an die Van Halen der Hagar-Ära, und auch der ganze Song paßt bestens in diese musikalische Welt. Er bleibt allerdings in gewisser Weise eine Ausnahmeerscheinung, denn der Rest der CDs pegelt sich eher auf halbem Weg zwischen AC/DC und Accept ein. Diese beiden Bands liegen phasenweise bekanntlich gar nicht so weit auseinander (man erinnere sich, dass „I’m A Rebel“ eigentlich ein nie verwendeter AC/DC-Song ist), und so verwundert es nicht, dass man da problemlos sowohl an der einen als auch an der anderen Begrenzung anzudocken in der Lage ist, zumal auch Sänger Damián Chicano, der einzige Neuzugang der CD-Quartett-Besetzung, irgendwo zwischen Bon Scott und Udo Dirkschneider angesiedelt werden kann. Hier und da muß man sogar aufpassen, nicht versehentlich falsch weiterzusingen: „Sigue Así“ bzw. „Keep It Up“ erinnert im Refrain an „Shoot To Thrill“, und „Más Volumen“ bzw. „More Loudness“ geht in den hinteren Strophenteilen als Speedversion von „Girls Got Rhythm“ durch, wobei aber dann ein ganz anderer Refrain folgt. Und dann gibt es da noch „Princesa De La Oscuridad“ bzw. „Princess Of The Dark“ – jawohl, „Dark“, nicht „Dawn“, obwohl auch das Vorhandene schon zum Schmunzeln reicht, zumal der Aufbau der Backing-Vokal-Einwürfe im Refrain tatsächlich exakt einem Accept-Klassiker entspricht, aber eben nicht „Princess Of The Dawn“, sondern „Balls To The Wall“, und zudem mit den langen balladesken Parts oder der atmosphärisch hinterlegten Bridge genug Eigenständigkeit verbleibt, dass man nicht von verkappten Coverversionen sprechen müßte, auch nicht in „Viviré“ bzw. „I Will Live“ mit seinem archetypischen Accept-Riffaufbau im Intro. Die Einleitung von „Blues Town“ und das sich daraus entwickelnde Hauptthema wiederum rufen Cream ins Gedächtnis, und der leicht überhastet wirkende Eindruck relativiert sich nach ein paar Hördurchläufen. Das könnte theoretisch auch eine Nummer aus dem Desire-Repertoire sein, wenngleich über deren Siebziger-Kante wiederum zu diskutieren wäre, da sie eher untypisch für den Spätachtziger-US-Hardrock ist.
Auch die Songs, bei denen man an keine der beiden zuerst genannten Vergleichsbands denkt, machen überwiegend Hörspaß. Der eröffnende Titeltrack gibt gleich die Marschrichtung zum traditionellen Metal (der in der Gesamtabrechnung klar dominiert) vor und legt zugleich das höchstmögliche Tempo fest, mündet außerdem in einem klassischen Gitarrenheldensolo – alles Stilistika, die im Closer „Guitarra Infernal“ bzw. „Hellish Guitar“ wieder aufgegriffen werden, wobei es sich hier im Gegensatz zur Erwartungshaltung nicht um ein Instrumentalstück handelt. „Muertos Y Enterrados“ bzw. „Dead & Buried Deep“ überrascht mit dem atmosphärisch untermalten doppelläufigen hinteren Soloteil (hier hören wir interessanterweise Drummer Xavi Goméz an der Leadgitarre – aber Kenner der Bandgeschichte wissen, dass der Mann in der Frühzeit der Bandkarriere noch die sechs Saiten bedient hatte und erst dann ans Drumkit wechselte, als dessen Bediener Sergio ausgestiegen war, aber mit Carlos Ruiz ein weiterer Gitarrist bereitstand), während „Quiero Sentir Todo El Ritmo“ bzw. „We Want To Feel“ (ja, der Rhythmus fehlt im englischen Titel) knackigen Midtempo-Traditionsmetal mit süßlichen Van-Halen-Backings koppelt und am Ende des Solos außerdem dem Sänger Platz für Publikumsansprachen läßt – ein Stilmittel, das in den kunstvoll verschachtelten Spracheinwürfen von „Más Volumen“ bzw. „More Loudness“ gleich nochmal wiederkehrt. Um Viuda Negra heute zu lieben, muß man mit dem mäßig aggressiven Gekreisch des Vokalisten klarkommen (Extremitätsgrade wie Udo D. erreicht er nicht), wobei er im erwähnten „Siempro Huyendo“ bzw. „Always On The Run“ und auch in der Ballade „Como La Primera Vez“ bzw. „Like The Very First Time“ unter Beweis stellt, dass er auch etwas zurückhaltender und trotzdem noch ausdrucksstark agieren kann. „No autotune was used in the making of this recording“, sagt das Booklet – das hat der Vokalist auch nicht nötig: Seine Tontreffsicherheit läßt keine Wünsche offen, die hohen langen Kreischer im Titeltrack erreichen fast das Niveau von Olaf Hayer in der Treasure-Seeker-Coverversion von Brides „Heroes“, und darüber, dass Englisch nicht seine Muttersprache ist, läßt sich als Gleichfalls-Nicht-Muttersprachler auch leichter hinweghören. Der instrumentale Teil sollte jedenfalls jeden überzeugen können, der sich im Spannungsfeld zwischen AC/DC und Accept wohlfühlt, auch mal auf Van Halen kann und nicht zwingend auf viel Blues, „Fast As A Shark“-Speed oder Klassikthemen Wert legt. Bei der Ausarbeitung der Refrains ist Viuda Negra noch kein Überknaller gelungen, aber das Gesamtbild stimmt dennoch positiv, und es wäre zu wünschen, dass es mit der Band auch nach dem zwischenzeitlichen Tod von Bassist Jose Tomás weitergeht.
Bleibt abschließend nur die Frage, wer der Langhaarige mit der Flying V ist, der da auf dem Cover dem Stahlinsekt entspringt. Gitarrist Gómez verfügt aktuell jedenfalls über eine Fleischmütze, Drummer und Teilzeitleadgitarrist Gómez wiederum hat noch heute lange Haare, aber auch einen voluminösen Bart ...
Roland Ludwig
Trackliste |
CD 1
1. Al Final (03:56)
2. Muertos Y Enterrados (05:17)
3. Princesa De La Oscuridad (05:55)
4. Sigue Así (04:03)
5. Viviré (04:00)
6. Noche A Mil (04:19)
7. Como La Primera Vez (05:48)
8. Blues Town (03:58)
9. Quiero Sentir Todo El Ritmo (03:37)
10. Más Volumen (03:46)
11. Siempre Huyendo (04:46)
12. Guitarra Infernal (03:34)
CD 2
1. In The End (03:56)
2. Dead & Buried Deep (05:17)
3. Princess Of The Dark (05:55)
4. Keep It Up (04:04)
5. I Will Live (04:00)
6. Crazy Night (04:21)
7. Like The Very First Time (05:48)
8. Blues Town (03:58)
9. We Want To Feel (03:37)
10. More Loudness (03:46)
11. Always On The Run (04:46)
12. Hellish Guitar (03:36) |
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Besetzung |
Damián Chicano (Voc)
Javier Gómez (Git)
Jose Tomás (B)
Xavi Gómez (Dr)
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