Sons Of Apollo
MMXX
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Der Gott Apollo übte wie die meisten seiner Kollegen im griechisch-römischen Götterhimmel multiple Funktionen aus, war zuständig u.a. für das Licht, den Frühling und eben auch für die Künste, speziell die Musik, weswegen er als Namensgeber beispielsweise für ein niederländisches Kammermusikensemble, aber auch für das hier musizierende Quintett herhalten mußte, das sich selbstbewußt als seine Söhne tituliert. Gut, schaut man mal genauer, wer sich hier zusammengefunden hat, fällt der Terminus „Supergroup“ fast automatisch: Jeff Scott Soto am Mikrofon, Ron „Bumblefoot“ Thal an der Gitarre, Billy Sheehan am Baß, und dann sind da noch die beiden Bandprojektköpfe Derek Sherinian und Mike Portnoy, einst in der zweiten Hälfte der Neunziger gemeinsam bei Dream Theater am Werkeln und hier als Söhne Apollos nun wiedervereint und mit MMXX ihr zweites Album vorlegend.
Als zentrale Frage steht an dieser Stelle natürlich: Kann man die Scheibe als Dream-Theater-Fan quasi ungehört in den Einkaufskorb legen? Die Antwort ist ein klares Ja, trotz aller Unterschiede im Detail. Thal dominiert vor allem im melodischen Sektor nicht ganz so sehr über Sherinian wie Petrucci über Rudess, und trotz all seines Könnens hätte sich ein John Myung freiwillig weiter in den Hintergrund gestellt als Billy Sheehan, der sich allerdings auch sehr songdienlich einbringt und nur gelegentlich solierend ins Rampenlicht tritt. Aber hier und da gönnen sich die Beteiligten natürlich kleine Rückblicke auf ihr früheres Schaffen, wenn man beispielsweise mal genau auf Portnoys Drumwirbel in der Bridge vor dem letzten Refrain von „Fall To Ascend“ (DT as DT can) achtet, und Sherinians Hammondarbeit im Solo von „Wither To Black“ läßt wohlige Erinnerungen an „A Change Of Seasons“ aufkommen, wobei auffällt, dass der Keyboarder generell gestrigen bis vorgestrigen Sounds sehr zugetan ist, selbst im Modern-Metal-Monster „Asphyxiation“, in dem Thal die ganzen Nu-Metaller in Grund und Boden spielt, Portnoy außerhalb des Solos noch mehr Druck macht als sonst und Soto gelegentlich verzerrt agiert, wie das in den Neunzigern en vogue war. Generell geriert sich der bekanntermaßen vielseitige Vokalist in den acht Songs stärker als Metalshouter in halbhohen Lagen mit einigen hohen Kreischeinlagen, auf die auch Eric Adams stolz wäre – der moderne Aspekt in „Asphyxiation“ beschränkt sich vokal allerdings auf das Beschriebene und geht nicht so weit, dass wir etwa auch noch Death Metal im Stile von Asphyx geboten bekämen. Den wirkungsvollen Kontrapunkt danach setzt die Quasi-Halbballade „Desolate July“, die Soto überwiegend auch im bisher gewohnten Stil umsetzt, aber mit der gleichen Stimmfarbe auch in streichelnder Sanftheit unterwegs sein kann – und die Stimmfarbe ist für seine Verhältnisse überraschend dunkel, wobei man hier und da sogar Matt Barlow zu hören glaubt. Der Terminus „Halbballade“ für diesen Sechsminüter ist übrigens relativ zu betrachten – es gibt in den Strophen tatsächlich balladeske Elemente, aber die Instrumentalisten packen bald wieder richtig zu, wenngleich im Direktvergleich nicht so kernig und/oder verrückt wie in den anderen sieben Songs, beginnend schon beim kapitalen Opener „Goodbye Divinity“, dessen knapp zweiminütiges Intro auf jeder Dream-Theater-Scheibe hätte stehen können, bevor sich Härtegrade entwickeln, die das Traumtheater nur auf einigen Werken wie Train Of Thought umfassender gepflegt hatte, während es bei den Sons Of Apollo mit Ausnahme von „Desolate July“ über weite Strecken der knapp einstündigen Spielzeit im doch recht harten Progmetal vorwärtsgeht, selbstverständlich Ruhephasen einplanend, zu denen auch die reichlich einminütige, klassischen Prog bietende Überleitung von „Desolate July“ in „King Of Delusion“ zählt, bevor der besagte König in schwerem Midtempo dahergeschritten kommt und dieses in relativ geradliniger Weise lange Zeit beibehält, ehe sich dieser Neunminüter auch noch in verschiedene Richtungen auffächert, aber immer nachvollziehbar bleibt. „Fall To Ascend“ koppelt gar ein Intro, bei dem man irgendwann „Roots, bloody roots“ reinbrüllen will, mit einem traditionsmetallischen Hauptteil und komplexem Speed Metal im Hauptsolo – erlaubt ist hier also offensichtlich, was gefällt, ohne freilich in völlige Unnachvollziehbarkeit zu münden: Alle fünf Beteiligten stammen aus Zeiten, als „Songwriting“ noch nicht „planloses Aneinanderreihen aller möglicher und unmöglicher Passagen“ bedeutete, und sie arbeiten folgerichtig mit wiedererkennbaren Themen, griffigen Refrains und logischen Entwicklungen, freilich nicht ohne dem Hörer trotzdem die eine oder andere Überraschung zu bescheren, etwa im erwähnten „Fall To Ascend“, bei dem man im einleitenden Aufbau noch nicht mal ahnt, was einen in den nur reichlich fünf Minuten Musik noch alles erwartet. Solotechnisch werfen sich die Musiker gern mal in klassischer Siebziger-Rock-Manier die Themen wie Bälle zu, wofür das Hauptsolo von „Resurrection Day“ ein prächtiges Beispiel abgibt. Wer den gleichnamigen Song von Theocracy kennt, wird zudem im Hirn noch ein paar weitere Querverbindungen ziehen können, wenngleich keine direkte Motivübernahme stattgefunden hat und der Song zudem der einzige auf MMXX ist, dessen Hauptthema orientalische Skalen einbringt.
Von den ersten sieben Songs bleiben gleich fünf in einem kompakten Bereich zwischen knapp unter fünf und sechs Minuten, und rechnet man das Intro von „Goodbye Divinity“ heraus, fiele auch dieser noch in das besagte Areal, „King Of Delusion“ mit seinen knapp neun Minuten als einzigen Ausreißer nach oben belassend. Dass einem etwa „Fall To Ascend“ viel länger vorkommt als 5:07, liegt an der erwähnten Einfallsdichte, die trotzdem nicht zur gegenseitigen Beeinträchtigung der Elemente führt, also dass das eine dem anderen den Platz zum Atmen und Entwickeln wegnähme. Trotzdem ist natürlich noch ein großes Epos „Pflicht“, und das schließt in Gestalt des Sechzehnminüters „New World Today“ das Album ab, wobei die drei Minuten Instrumentalintro noch auf ein anderes Betätigungsfeld Portnoys verweisen und 1:1 auch bei Transatlantic einen Platz hätten finden können, während der „Rest“ des Songs dann wieder apollosöhnetypischen kernigen Metal, teils mit heftigen Speedpassagen und natürlich durchwirkt von wilden Soli, aus dem Hut zaubert, aber auch Raum fürs zurückgelehnte Betrachten des soeben durchschrittenen Areals läßt, obwohl man sich hier nie in allzugroßer Sicherheit wiegen sollte, denn immerhin ist die Erde im Bild auf der Bookletdoppelseite, die den Songtext enthält, offenkundig kurz vorm Bersten. Der Song paßt jedenfalls prima neben die diversen großen Dream-Theater-Epen, genauso wie grundsätzlich das Album neben diejenigen von Dream Theater – keine Kopie, aber nahe genug beieinander liegend, dass der Freund der einen auch die anderen mögen könnte, zumal es in allen technischen Komponenten erwartungsgemäß nichts auszusetzen gibt und die vorliegende Special Edition auch in optischer Hinsicht, also bei der Bookletgestaltung, überzeugt. Detail am Rande: Auf den Einzelmusikerfotos posiert Thal mit einer Doppelhalsgitarre – da kann Sheehan natürlich nicht zurückstehen und hängt sich einen Doppelhalsbaß um ...
Besagte Special Edition kommt im Media Book und enthält als Schmankerl eine zweite, bis fast zum Rand gefüllte CD. In deren ersten acht Tracks kann man MMXX nahezu komplett nochmal hören, allerdings rein instrumental – im Gegensatz etwa zu den diversen Nightwish-Instrumentalbonusscheiben fehlen also nicht nur die Leadvocals, sondern auch die Hintergrundgesänge. Der Nutzen für den Hörer ist demjenigen bei besagten Nightwish-Scheiben durchaus ebenbürtig: Er kann die Songstrukturen etwas „bloßgelegter“ analysieren und einfacher ins komplexe instrumentale Geflecht eindringen, wobei der Fall, dass in der Vollversion eher untergehende Linien in den Vordergrund treten, wie man ihn bei Nightwish etliche Male hat, hier eher selten vorkommt. Hilfreich zum Erschließen ist das Ganze natürlich trotzdem, und wer will, kann das Ganze sogar als Karaoke-Grundlage nutzen. Enthalten ist in den ersten sieben Tracks jeweils der ganze reguläre Song, lediglich bei „New World Today“ fehlen drei Minuten, nämlich die ersten drei, also das transatlantickompatible Intro.
Die letzten acht Tracks bilden sozusagen das Gegenstück zu den ersten acht, denn hier haben wir Sotos Gesang a cappella, und da kann nun wieder üben, wer sich auf eine Karaoke-Session vorbereiten will. Diesen Teil hört man ansonsten freiwillig nur einmal, wenn man nicht gerade fanatischer Soto-Anhänger, Gesangscoach oder anderweitiger Spezialist ist – ein nettes Gimmick, mehr für das Gros der „Normalhörer“ aber sicher nicht, im Gegensatz zu den Instrumentalversionen, von denen einige, wüßte man nicht um ihren Charakter, bei anderen Bands auch eigenständige Stücke abgeben hätten können und die man durchaus mit Genuß hören kann, wenn man auch sonst nicht zwingend auf Gesang erpicht ist. MMXX funktioniert aber zweifellos auch in seiner „einfachen“ Variante als richtig gutes Progmetal-Album.
Roland Ludwig
Trackliste |
CD 1
1. Goodbye Divinity (07:15)
2. Wither To Black (04:44)
3. Asphyxiation (05:07)
4. Desolate July (05:58)
5. King Of Delusion (08:48)
6. Fall To Ascend (05:06)
7. Resurrection Day (05:51)
8. New World Today (15:50)
CD 2
1. Goodbye Divinity (instrumental mix) (07:19)
2. Wither To Black (instrumental mix) (04:46)
3. Asphyxiation (instrumental mix) (05:06)
4. Desolate July (instrumental mix) (06:09)
5. King Of Delusion (instrumental mix) (08:47)
6. Fall To Ascend (instrumental mix) (05:06)
7. Resurrection Day (instrumental mix) (05:49)
8. New World Today (instrumental mix) (12:56)
9. Goodbye Divinity (a cappella excerpts) (02:40)
10. Wither To Black (a cappella excerpts) (02:55)
11. Asphyxiation (a cappella excerpts) (02:26)
12. Desolate July (a cappella excerpts) (02:53)
13. King Of Delusion (a cappella excerpts) (03:29)
14. Fall To Ascend (a cappella excerpts) (02:02)
15. Resurrection Day (a cappella excerpts) (02:08)
16. New World Today (a cappella excerpts) (04:14)
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Besetzung |
Jeff Scott Soto (Voc)
Ron „Bumblefoot“ Thal (Git)
Derek Sherinian (Keys)
Billy Sheehan (B)
Mike Portnoy (Dr)
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