25 Years after - Mein Leben mit der CD; Folge 133: Hans Söllner - Hey Staat!
Erste Urteile sind meist Vorurteile, oder genauer: vorläufige Urteile. Denn sie beruhen auf einer dünnen Datenbasis. Im Fall von Hans Söllner waren das Konzertplakate, denn gesendete oder gehörte Musik von ihm kannte ich nicht. Was mich nicht besonders wunderte. Ich wähnte ihn in Medien gut aufgehoben, die ich kaum nutze. Dieser Naturbursche mit urdeutschem Namen in seiner Lederhose dürfte doch wohl in Sendungen auf Sendung gehen, in denen sich auch die Wildecker Herzbuben und ähnlich „Volks“tümliches tummeln. Im Frühjahr 1997 muss ich in meinen Erkenntnissen schon einen Schritt weiter gewesen sein, sonst hätte ich mich kaum daran gemacht einen Artikel über ein Konzert von Hans Söllner in der Potsdamer Uni zu schreiben. Die Recherchen zu diesem Artikel haben mich zu einer ersten (positiven) Begegnung mit der Musik, einer (zwiespältigen) mit der Message und einer (eher ernüchternden) mit der Person von Hans Söllner gebracht. Die Mensa der Uni befand sich damals in einem Nebengebäude des Neuen Palais am „hinteren“ Ende des Parks Sanssouci. Was heute immer noch Uni ist, aber mittlerweile wieder im fürstlichen Glanz erstrahlt, war damals noch im renovierungsbedürftigen (post)DDR-Charme. Es passte damit auch wesentlich besser zu dem Aussteiger-Charme des Reichenhaller Anarcho-Hotzenplotz, den ich vor seinem Auftritt kurz sprechen konnte.
Rauchverbote in Veranstaltungshallen gab es damals noch nicht – und so wurde ich in die vernebelte Atmosphäre der Räume geführt, die das Studentenwerk wohl kurzfristig in eine Art Backstage-Bereich verwandelt hatte. Der schwere süßliche Geruch des Qualms lies (nicht unerwartet) keinen Zweifel daran, dass hier Zigaretten geraucht wurden, die man sich nicht einfach am Automaten ziehen kann. In den Backstage-Räumen war zu diesem Zeitpunkt wesentlich mehr Betrieb als im Konzertsaal. Söllner bot seiner Entourage und seinem Fankreis großzügig Gastfreundschaft. Für mich galt das offenbar nicht. Ich habe es selten mit einem dermaßen unfreundlichen, mundfaulen und ausweichenden Gesprächspartner zu tun gehabt – wobei man hier im Prinzip weder von Gespräch, noch von Partner sprechen konnte. Ganz zu schweigen davon, dass man mir zur Begrüßung ein Bier in die Hand gedrückt hätte. Ich kam wohl schon mit dem Stigma des Vertreters der bürgerlichen Presse in den Raum, der seinen Platz im wohlgeordneten Feindbild einzunehmen hatte. Vielleicht kann man das auch Authentizität nennen. Denn Söllner lässt in seinen giftigen, anarchistischen Texten ja keinen Zweifel daran, was er von staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen in der Regel hält – und dass differenzierte Betrachtungsweisen den Giftpfeilen der Fundamentalkritik die Spitze brechen. Ich habe das Konzert dennoch genossen, die folgenden Söllner -Alben in der Regel auch – und nicht nur die. Denn die Vorab-Recherche zu dem Artikel hatte mich auf das Münchener Label Trikont zugehen lassen, das mich umgehend mit zwei Alben des bayerischen Rebellen ausstattete: dem für diesen Monat ausgewählten, damals schon etwas älteren Hey Staat! aus dem Wendejahre 1989 und dem aktuelleren Grea Göib Roud (hochdeutsch: Grün-Gelb-Rot, die Trikolore der Rasta-Bewegung). Das war der Startschuss für eine langjährige Zusammenarbeit mit Trikont, in deren Rahmen ich immer wieder mit interessantem Stoff versorgt wurde. Eine Spezialität von Trikont sind spannende Compilations zu oft überraschenden Themen, die immer in hervorragend recherchierten Begleit-Booklets aufgearbeitet sind. Wahrscheinlich werden wir in dieser Kolumne in den kommenden Jahren noch der einen oder anderen von ihnen (wieder) begegnen. Norbert von Fransecky |
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