Everfrost
Winterider
|
|
|
Als Liebhaber von Schnee und Eis hat man im australischen Adelaide eher schlechte Karten, und so siedelte der Keyboarder Benjamin „Benji“ Connelly, den Spitznamen Snowkid mit sich herumtragend und diesen auch schon für ein Bandprojekt genutzt habend, von dort nach Finnland über, heiratete eine Einheimische und gründete eine neue Band namens Everfrost, die mit Winterider ihr Zweitwerk vorlegt, zugleich das erste Album in voller Bandquintettstärke, während das 2015er Debüt Blue Eyed Emotion noch als Trio mit Connelly als Multiinstrumentalist, dem auch heute noch zur Band gehörenden Gitarristen Markus Laito und einem australischen Sänger eingespielt worden war. Nun könnte man hinter Bandname und Albumtitel durchaus grimmigen Black Metal erwarten, auch das Bandlogo ließe diese Option noch offen, aber der Rest des Covers von Winterider macht dann klar, dass eher nicht mit dieser Sorte Musik zu rechnen sein dürfte, wenngleich da eine düstere Gestalt auf einem Pferd reitet und zwei weibliche Teenies an magischen Seilen durch den Schnee zieht – aber das Pferd besitzt einen leicht rosa-pinken Anflug, die Seile leuchten hellgrün, und die ganze Szene ist im Manga-Stil gezeichnet. Das könnte also allenfalls eine Black-Metal-Parodie sein oder eben etwas ganz anderes – und letztgenannte Option stellt sich dann als korrekt heraus: Everfrost spielen Power Metal in einer aus Finnland durchaus nicht ungewohnten Variante, also hochmelodisch, leicht progressiv angehaucht und recht keyboardlastig, wobei Connelly als Alleinkomponist im Gegensatz zu diversen Stilkollegen allerdings das neoklassische Fach komplett meidet. Statt dessen bastelt er wie in „Juhannus In January“ oder „Actraiser“ gelegentlich folkige Anklänge ein, was sich allerdings ausschließlich auf Melodik und Rhythmik beschränkt, nicht auf die Instrumentierung: Gastmusiker an traditionellen Instrumenten gibt es nicht, von den drei solistischen Gästen singt einer Backing Vocals, einer spielte ein Gitarrensolo und einer diverse Baßpassagen ein, und ansonsten gibt es an weiteren Gästen nur noch den „Everfrost Gang Choir“, dessen 20 Sänger sich zu einem Fünftel aus Bandmitgliedern (alle außer Gitarrist Laito) und zu den restlichen vier Fünfteln aus Außenstehenden rekrutiert, wobei auch Atso Kukkavuori dabei ist – das ist derjenige mit den erwähnten Baßpassagen. Laureline Tilkin, die für die Bandmitgliederfotos verantwortlich zeichnet, wurde auch gleich noch in den Chor aufgenommen, und selbiger kommt auch an vielen markanten Stellen zum Einsatz, wenngleich er gar nicht so sehr in den Vordergrund gemischt wurde – dort steht ganz klar Mikael Salos Leadgesang, und der manchem sicherlich von Dyecrest (und einem halben Dutzend anderer Bands) geläufige Fronter rechtfertigt das auch mit einer starken Leistung im melodischen und doch powervollen Bereich.
Instrumental wiederum muß der Hörer mit der starken Keyboardpräsenz klarkommen, ansonsten wird er mit der Stunde Musik nicht glücklich. Connelly zieht allerdings äußerst gekonnt eine breite Palette an Registern vom zurückhaltenden Grand Piano bis hin zum feisten Orchesterturm, mal mit spätromantischen Flächen inclusive Gongs, Flötenregistern und ähnlichen Zutaten, mal eher futuristisch angehaucht, mal konsequent in den Achtziger-Pop zurückschauend („Brandy And Antifreeze“!) – und er weiß durchaus auch um die Talente seines Gitarristen und gibt diesem den einen oder anderen Spot zur Kreativitätsentfaltung, etwa das Solo von „Above The Treeline“. Mit diesem Song hat Connelly einen potentiellen Melodic-Metal-Hit erschaffen – eingängig, aber durchaus nicht anspruchslos, vor allem aber in seiner Grundanlage schlüssig und nicht überladen wirkend. Erstaunlicherweise ist aber nicht diese Nummer als Videotrack ausgewählt worden, sondern das davorstehende „Cold Night Remedy“, in dem die einleitenden Blastpassagen mehr als bemüht anmuten und auch sonst ein paar Wendungen weniger der Grundanlage eher entgegengekommen wären. Okay, Winterider ist ein Konzeptalbum (fünf Jugendliche versuchen einem magischen Wesen, das ihre Stadt erfrieren läßt und all ihre Bewohner tötet, zu entkommen und halten in einer Jagdhütte einen Monat lang durch, ehe sie feststellen, dass auch sie schon lange tot sind), und damit kann man natürlich so manche Wendung erklären, auch den plötzlichen Tanzpart in „Brandy And Antifreeze“, aber das läßt noch nicht jede Idee im „klassischen“ songwriterischen Sinne logischer erscheinen. Wenigstens machen Everfrost das eine oder andere Problem mit viel Spielfreude wieder wett, und so mancher Einfall erschließt sich nach ein paar Durchläufen dann doch noch, wobei der eine oder andere eingängige Refrain etwa gleich im eröffnenden Titeltrack durchaus hilft. Eine Coverversion haben die Finnen auch noch mit ins Konzept eingeschmiedet, nämlich „Die Young“. Wer jetzt auf den Black-Sabbath-Klassiker vom 1980er Heaven And Hell-Meisterwerk gehofft hat, geht allerdings leer aus – Everfrost stammen halt doch aus einer jüngeren Generation, und so handelt es sich um die Ke$ha-Nummer aus dem Jahr 2012, also den Versuch, Pop zu metallisieren, hier mit einem recht feisten Riffing auszustatten und eine Zielgruppe querzuerschließen, die sonst nur noch mit einer weiteren Komponente von Winterider klarkommen dürfte, nämlich dem Booklet, dessen erste Hälfte einen Comic im Manga-Stil enthält, der die Geschichte hinter dem Konzept illustriert. Ansonsten dürfte der gemeine Pophörer gleich im nach „Die Young“ plazierten „Darkwoods Drain Backwaters“ akute Probleme bekommen – noch nicht im hübschen Midtempointro, aber gleich danach, wenn Drummer Jope Salminen zum zweiten Mal auf der CD ins Blastfach wechselt und sich die Nummer letztlich in die Dragonforce-Ecke bewegt – das haben Everfrost in dieser Form auf der CD bisher noch gar nicht getan, aber der Song macht richtig Hörspaß, wenn man mit dieser Spielart des Metal klarkommt. Das Finale „A Whisper In A Frozen Tale“ bildet schließlich den Kulminationspunkt der Story, nicht aber den dramatischen Höhepunkt, denn den gab es schon im erwähnten dragonforceartigen Song zuvor – da verlassen die fünf Protagonisten aufgrund zur Neige gehender Vorräte ihre Hütte und treffen wieder auf dieses magische Wesen, das für die Kälte verantwortlich zeichnet. Für die Feststellung, dass auch sie selbst schon lange tot sind, brauchen sie dann nochmal eine Viertelstunde, und dieses große musikalische Epos gehört definitiv zu den stärkeren Exempeln auf der Scheibe, wenngleich man im ersten seiner drei Teile außer mit spielmannsartigen Elementen obendrein mit süßlichen Keyboardpassagen klarkommen muß, die auch zum Trans-Siberian Orchestra gepaßt hätten.
Ein bestimmter Bandname ist im bisherigen Review noch gar nicht gefallen – aber das wird nun höchste Zeit: Sonata Arctica. Nicht nur dass Salos Stimme bisweilen derjenigen von Tony Kakko zum Verwechseln ähnlich klingt, auch Kompositionen und Instrumentierung sind zumindest zu gewissen Teilen vergleichbar. Bekanntlich ist ja auch Kakko Keyboarder und denkt daher seine Musik oft von diesem Instrument aus. Natürlich wird Connelly nicht mit der Maßgabe an seine Musik herangegangen sein, Sonata Arctica kopieren zu wollen, und gerade den latenten Folktouch gab es bei denen so nicht zu hören. Zudem beschränkt sich der Grundvergleich auf die progressiveren Sonata-Arctica-Werke – nach geradlinigem Speed à la „Blank File“ oder „Weballergy“ braucht man bei Everfrost nicht zu suchen. Trotzdem sind die Ähnlichkeiten frappierend genug, dass man jedem, der Kakko & Co. vor bzw. nach Winterheart’s Guild, also nach deren „Progressivisierung“, nicht die Freundschaft gekündigt hat oder aber die Scheiben ab dem Dritt- oder dem Viertwerk generell schätzt, quasi ohne vorherigen Check zum Erwerb von Winterider raten kann. Für die Folgewerke hat sich Connelly in puncto Stringenz des Songwritings zwar noch ein paar Steigerungsfelder offengelassen, aber Hörspaß macht die CD allemal, wenn man das in diesem Kontext so nennen darf – immerhin sind am Ende der konzeptuellen Schilderung ja alle tot, und es gibt nirgendwo ein Signal, dass der dauernde Winter irgendwann mal zu Ende gehen würde. Aber irgendwie müssen ja die Schilderungen der Protagonisten auf uns gekommen sein, und wir können uns an Kuriositäten ergötzen wie derjenigen, dass die Mädels in einer kurz vorm Kältekollaps stehenden Stadt immer noch in Leggins rumlaufen ...
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Winterider | 4:19 |
2 | Juhannus In January | 4:17 |
3 | Chainlace Angel | 4:41 |
4 | Actraiser | 4:18 |
5 | Cold Night Remedy | 5:17 |
6 | Above The Treeline | 6:44 |
7 | Brandy And Antifreeze | 4:55 |
8 | Die Young | 3:32 |
9 | Darkwoods Drain Backwaters | 5:23 |
10 | A Whisper In A Frozen Tale | 15:04 |
|
|
|
|
|
Besetzung |
Mikael Salo (Voc)
Markus Laito (Git)
Benji Connelly (Keys)
Allan C. Hasanen (B)
Jope Salminen (Dr)
|
|
|
|