Hundred Seventy Split: Grandioses Bluesrock-Fest beim "Jazz Lights" auf der Schwäbischen Alb
Hundred Seventy Split machen einen Abstecher bei den diesjährigen „Jazz Lights“. Das kleine, aber feine Festival gibt es bereits seit 1991. Die prominentesten Gäste die auch Nicht-Jazz-Fans bekannt sein dürften, waren vermutlich Star-Geiger Nigel Kennedy und Gitarrist Al Di Meola. Die Hammerschmiede ist eine ehemalige Turnhalle, die von der Gemeinde Königsbronn als Konzerthalle umgebaut wurde. Die alten Deckenbalken geben dem Gebäude ein ganz besonderes Flair, ich bin sofort begeistert. Veranstalter Benjamin Reiber sitzt selbst an der Kasse und erzählt mir gleich zu Beginn etwas über die Örtlichkeit und das Festival, worüber er sichtlich stolz ist. Die Halle ist in der linken und rechten Hälfte bestuhlt, in der Mitte und vorne wurden Stehplätze frei gelassen. Die Bühne ist nicht besonders groß, die Instrumente und Verstärker sind schon alle postiert. Im Hintergrund hängt ein großes Backdrop des aktuellen Albums Tracks. Die Fans trudeln mit der Zeit ein. Zahlenmäßig bin ich überrascht, ich habe gar nicht mit einem derartig großen Zuschauerandrang gerechnet. Altersmäßig dürfte der Durchschnitt so um die 60 Jahre liegen – kein Wunder bei dem bekanntesten Musiker der Band, Bassist Leo Lyons. Das ehemalige Ten-Years-After-Mitglied ist mittlerweile auch schon 74 Jahre alt! Kurz vor 20 Uhr kommen die drei Musiker aus dem Hintergrund der Halle in Begleitung von Gitarrist Siggi Schwarz auf die Bühne, der Hundred Seventy Split ankündigt. Das Königsbrunner Publikum empfängt das Trio mit viel Applaus, worüber die Musiker sichtlich erfreut sind. Es geht ohne viel Schnickschnack gleich mit „No Deal“ los. Hier merkt man, dass die drei sich soundmäßig in diesem Stück zurechtfinden. Es werden viele Blicke ausgetauscht und danach hat jeder seine „Position“ gefunden. Vom neuen Album Tracks werden während des ganzen Abends gerade mal zwei Songs präsentiert, beim Rest greift die Band auf die ersten beiden Alben und auf Ten-Years-After-Material zurück. Der sympathische Leo Lyons übernimmt sämtliche Ansagen, etliche davon sind teilweise in deutscher Sprache und meistens mit viel Humor angereichert. „Good Morning Little Schoolgirl“ ist schon der erste TYA-Kracher, der erwartungsgemäß hervorragend ankommt. Das Publikum ist jedoch auch mit dem aktuellen Material vertraut, so dass hier stimmungsmäßig keine Flaute aufkommt. „You Can’t Drink It“ vom aktuellen Hundred-Seventy-Split-Album etwa gefällt mir heute Abend fast mit am besten, die Band präsentiert das Stück mit einer Leidenschaft, die seinesgleichen sucht. Joe Gooch singt hervorragend, präsentiert alte wie neue Stücke mit der genau gleichen Überzeugung und spielt dabei noch eine traumwandlerische Gitarre, die alleine schon das Eintrittsgeld wert ist. Bei seinen Solos hat man immer das Gefühl, der Typ schwebt in völlig anderen Sphären. Er taucht regelrecht ab und ist aber pünktlich zum Ende des Solos wieder voll auf der Höhe. Und hier zeigt sich das geniale Zusammenspiel des Trios. Mit stoischer Ruhe behält der lässige Schlagzeuger Damon Sawyer den Überblick und lässt sich von keiner Solo-Eskapade aus dem Takt bringen. Leo Lyons am Bass hält mit seinem wuchtigen und präzisen Bassspiel die Zügel in der Hand. Er ist ein Phänomen und für mich definitiv einer der besten Bassisten in der Rockgeschichte. Alleine schon das Solo das er bei „Good Morning Little Schoolgirl“ abzieht, sucht seinesgleichen. Ich könnte ihm und Joe Gooch stundenlang zusehen, wie sie sich beide förmlich in Ekstase spielen und schier vor Spielfreude platzen. Leo Lyons ist 74 Jahre alt, was man ihm jedoch nicht anmerkt. Er versprüht die Energie und das positive Lebensgefühl eines Teenagers, was sich problemlos auf die Band und das fabelhafte Publikum überträgt. Es herrscht hier der Ausnahmezustand, so überwältigt sind die Fans von der musikalischen Spitzenleistung von Hundred Seventy Split. „I’d Love To Change The World“ gerät zum Triumphzug, der Song ist einfach nur bockstark. Bei der John-Hiatt-Nummer „Tennessee Plates“ wechselt Lyons vom E- zum Kontrabass. Auch hier: Faszination pur. Wie der Typ dieses Instrument bearbeitet, darf schon als ganz großes Kino bezeichnet werden. Man kann nicht wegschauen, für mich hat’s der Typ einfach drauf. „The Smoke“ beendet das reguläre Set, bevor es mit der unsterblichen Woodstock-Hymne „I’m Going Home“ scharf in die Zielgeraden geht. Hier spielen HSS den wohl größten und bekanntesten Klassiker von Ten Years After so, als wenn sie ihn eben erst veröffentlicht hätten. Von Abnutzungserscheinungen keine Spur, das ist perfektes Entertainment. Zu den Zugaben wird der bekannte Gitarrist und Lokalmatador Siggi Schwarz auf die Bühne geholt. Die Solos werden bei den letzten beiden Stücken unter den zwei Gitarristen Schwarz und Gooch aufgeteilt. Die beiden liefern sich schöne Gitarrenduelle, bei denen offensichtlich wird, dass beide ihr Handwerk hervorragend beherrschen. Ich finde solche Aktionen immer schön, zeigt es doch die Offenheit der Musiker für spontane Einlagen mit Kollegen und Freunden. Nach dem Ende des Konzerts gibt das Publikum nicht auf und fordert vehement zu einer Zugabe auf, die leider nicht ertönt. Lustigerweise waren die letzten drei Songs ja schon Zugaben, Leo Lyons hat auf der Bühne angedeutet, dass er es lächerlich findet, jetzt die Bühne zu verlassen und deshalb bleibt er lieber gleich oben. Selbst als die Musiker am Merchandising-Stand schon längst für Fotos und Autogramme parat stehen, gibt es noch „Zugabe“-Rufe. Hier zeigt sich, dass die Musiker auch abseits der Bühne relaxte Zeitgenossen sind, die keinerlei Starallüren an den Tag legen. Vor allem Lyons zeigt eine Geduld und Fan-Nähe, von denen sich mancher Möchtegern-Superstar eine ganze Scheibe abschneiden könnte. Ich schwebe acht Meilen hoch im Bluesrock-Himmel, schöner kann ein Wochenende definitiv nicht beginnen. Ein großes Lob an die Veranstalter der Jazz-Lights, denen es gelungen ist, mit Hundred Seventy Split bereits zum Auftakt einen musikalischen Hochkaräter zu präsentieren. Vielen Dank an Benjamin Reiber für die unbürokratische Aktion mit dem Gästelistenplatz – es war ein super Abend! Ein Besuch der Veranstaltung lohnt sich definitiv, weitere Infos können unter folgender Adresse eingesehen werden: https://www.jazzlights.de/ Setlist: No Deal The Game Going Home Good Morning Little Schoolgirl You Can’t Drink It --- Love Like A Man The World Won’t Stop The Devil To Pay I’d Love To Change The World Tennessee Plates The Smoke --- I’m Going Home King Of The Blues I Maybe Wrong Stefan Graßl |
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