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Ockeghem, J. (Schmelzer)
Missa caput
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Info |
Musikrichtung:
Renaissance vokal
VÖ: 01.03.2006
Glossa / Note 1 CD DDD (AD 2004) / Best. Nr. GCD P32101
Gesamtspielzeit: 58:52
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MALERISCHE KLANGLANDSCHAFTEN
Machicotage: Diese nach der Klerikerschola von Notre Dame in Paris (den machicoti) benannte Verzierungskunst verleiht dieser Aufnahme von Johannes Ockeghems (ca. 1410-1497) großdimensionierter Missa Caput ein besonderes, gewiss auch gewöhnungsbedürftiges Flair. Radikaler noch als z. B. das ebenfalls in historischer Verzierungspraxis bewanderte Ensemble Organum setzt das belgische Ensemble Graindelavoix auf stimmliche Individualität, Spontaneität in der Ausführung und die Auslotung der klangräumlichen Möglichkeiten. So malerisch hat die ansonsten eher für ihre strenge lineare Stimmführung bekannte Renaissance-Musik wohl noch nie geklungen.
Die ausgetüftelte Mehrstimmigkeit von Ockeghem wird hier zuallererst als Vorlage für eine vokale Orchestrierungs- und Kolorierungskunst verstanden. Die Sänger füllen das Liniengeflecht der Stimmverläufe gleichsam mit ihren Stimmfarben aus. In der weiträumigen und halligen Akustik der gotischen Antwerpener Sint-Pauluskerk entdecken die neun professionellen oder semi-professionellen(!) Sänger in den diffizilen Kontrapunkten ungeahnte Klanglandschaften und –räume. Die Herabtransposition um eine Quarte ermöglicht einen dichten Klang mit samtig-schwarzer Bassgrundierung und expressiven tenoralen Oberstimmen, die manchmal auch penetrant krähend hervortreten. Das hat nichts vom üblichen ebenmäßigen Klang heutiger Renaissance-Formationen. Die angebrachten Verzierungen verschmelzen nahtlos mit der notierten Musik und verleihen ihr einen fast schon orientalischen Akzent; dass mittelalterliche und barocke Zeitgenossen die Machicotage als bizarr und barbarisch empfunden haben, will man gerne glauben. Auch bei den gregorianischen Teilen, durch die Ockeghems Messe in den rekonstruierten gallikanischen Ritus der Fußwaschung am Gründonnertag eingefügt wird, gelingt es den Sängern, die abendländischen Wurzeln dieser Musik beinahe vergessen zu machen. Jene purifizierten Gesänge, wie sie heute z. B. im Graduale Romanum gesammelt sind, erscheinen in dieser Perspektive plötzlich als historische Fiktionen. Die „verschmutzten“, durch Verzierungen ergänzten und individuell gestalteten Gesänge waren wohl die Norm. Gerade in den solistischen Abschnitten – ausgeprägt z. B. beim Vos vocatis me - wird diese scheinbar so strenge liturgische Musik zu einem intensiven und ergreifenden Erlebnis: als individuelle Interpretation mit individuellem Ausdruck, nicht als objektiver Vollzug eines Ritus. Sinnlicher Kitzel oder strenge Form? Wort oder Klang? Um die Gewichtung dieser Positionen wurde in der Geschichte der Kirchenmusik nicht umsonst immer wieder gestritten.
Eine experimentelle und gratwandlerische, dabei sehr sorgfältig kommentierte und vom Label wie immer exquisit gestalte Annäherung an eine vergessene historische Aufführungskunst, die die Renaissance-Fans gewiss polarisieren wird.
Georg Henkel
Trackliste |
1 | Mandatum novum |
2 | Kyrie |
3 | Diligamus nos invicem |
4 | Gloria |
5 | In diebus illis |
6 | Credo |
7 | Maria ergo |
8 | Sanctus |
9 | Vos vocatis me |
10 | Agnus dei |
11 | Venit ad petrum |
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Besetzung |
machicoti: Yves van Handenhove, Paul de Troyer, Björn Schmelzer, Lieven Gouwy, Bart Meynckens tenoristae: Koen Meynckens, Paul Beelaerts, Thomas Vanlede, Arnout Malfliet
Ltg. Björn Schmelzer
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