Well Brüder

Bayern unplugged


Info
Musikrichtung: Mundart / Satire

VÖ: 08.11.2024

(GLM)

Gesamtspielzeit: 71:32


Nach den ersten zwei Durchläufen habe ich mich gefragt, ob es in unserem Redaktionstool die Möglichkeit gibt, Minuspunkte einzuführen. Denn der Genuss dieser Scheibe erschien für jemanden, der nördlich des Weißwurst-Äquators geboren ist, genetisch unmöglich.

Egal ob Dialekt, Instrumente, Gejodele oder der merkwürdige Flow der Stücke, der eher stolperte als floss – alles je für sich und alles zusammen ließ schwarzafrikanische Stammesgesänge als etwas Vertrautes erscheinen.

Aber irgendwann lichtete sich der Nebel, fingen als unüberwindbar erscheinende Mauern an Risse zu zeigen, bekam das, was ich hörte nachvollziehbaren Sinn. Mich begann die Begegnung mit den Well Brüdern an meine Erstbegegnung mit Cradle of Filth zu erinnern, die gleichzeitig eine Erstbegegnung mit dem Black Metal war. Auch da begann ich mich an den erst einmal nur abstoßend erscheinenden Lärm zu gewöhnen und in ihm filigrane Songstrukturen zu erkennen, mit denen ich nie gerechnet hätte.

Ich glaube nicht, dass ich die Bayern jemals so genießen werde, wie die frühen Cradle-Alben. Dazu wird mir diese wohl vor allem mit Alphorn, Akkordeon und Tuba eingespielte Musik auf ewig zu strange bleiben.

Das Analogon zu den filigranen Strukturen der Black Metaller sind bei den Well Brüdern in erster Linie die Texte, die erkennen lassen, dass die drei so etwas wie die Nachfolger der Biermösl-Blosn sind. Beide Ensembles – und noch zwei drei andere - rekrutieren sich ausschließlich aus Söhnen oder Töchtern des Schulmeisters Hermann Well und seiner Frau Gertraud, die insgesamt 15(!) Kinder hatten. Die Well Brüder sind die Kinder 12, 13 und 14.

Genau wie die Biermösl-Blosn, die oft mit Gerhard Polt auftraten und u.a. auch Gäste in Dieter Hildebrandts politischem Kabarett Scheibenwischer waren, lieben die Well Brüder das offene politische Wort. Wenn man denn einmal begonnen hat zu verstehen, was da in die Mikrofone geplattdeutscht wird, beginnt auch der Genuss.

Reichlich oft sind ökologische Themen an der Reihe, wenn die Zukunft der Alpen im Klimawandel zynisch beschrieben wird, oder gegen Schneekanonen Stellung genommen wird. Und man ist durchaus nicht im Gleichschritt mit jedem populären Öko-Protest. So wird Umweltminister Özdemir gegen die Bauerproteste in Schutz genommen, deren Trecker-Demos in die Nähe einer SUV-Sternfahrt for Future gebracht werden. Natürlich bekommt die AfD genauso ihr Fett weg, wie die traurige Gestalt Aiwanger. Schön auch die Corona-Satire, die das Album zweigeteilt („Corona bavariae“, „Aus dem Buche Bayern“) rahmt.

Es lohnt sich auch für Sau-Preußen die Anstrengung auf sich zu nehmen, mit den Well Brüdern warm zu werden.



Norbert von Fransecky



Trackliste
1Nachbarschafts-Gstanzl 2:21
2Corona bavariae 5:47
3Mozart in Hausen 6:26
4Asyl für Deppen 3:56
5Drehleier unplugged 3:12
6Carpe Diem liabe Leit 2:59
7Wochenend im Altersheim 3:43
8So leb denn wohl, du wunderschönes Sudelfeld 4:47
9Skigebiet tropikal 4:33
10Well well well 4:28
11Neue Bauernregeln 4:09
12Aiwang 3:08
13Schuastakomisch 1:29
14Vom bayrischen Paradies 4:24
15Sterben erster Klasse 2:12
16Hummelflug 2:33
17Dong Dong Truckersong 3:50
18Aus dem Buche Bayern 6:03
19Hoelzernes Glaachter 1:30
Besetzung

Stofferl Well
Michael Well
Karl Well



 << 
Zurück zur Review-Übersicht