Reactor

Revelation


Info
Musikrichtung: Melodic Speed Metal

VÖ: 21.06.2024 (1993)

(Jolly Roger Records)

Gesamtspielzeit: 44:43

Internet:

Jerry Bryant (Voc)
Markus Baier (Git)
Thorsten Schwalm (Git)
Robert Käfferlein (B)
Muck Langmaier (Dr)


Nachdem das Reactor-Debüt Rather Dead Than Dishonoured trotz seiner im zugehörigen Re-Release-Review beschriebenen Schwächen in Japan großes Aufsehen erregt hatte, machte sich die Band an die Arbeit für einen Zweitling, der dann anno 1993 unter dem Titel Revelation erschien. Die grundsätzliche Lage änderte sich auch damit nicht: Im heimatlichen Deutschland konnte die Band wenig reißen, im Fernen Osten blieb das Interesse groß.
Positiverweise kann man auf dem neuen Album allerdings tatsächlich Fortschritte auf drei Feldern konstatieren. Zum einen stand offenbar für die Aufnahme ein höheres Budget zur Verfügung, und so ist der Sound zwar immer noch ein wenig zu dünn, im Direktvergleich mit dem Erstling aber doch schon zwei Stufen kerniger ausgefallen, wobei bestimmte Problemfälle freilich nicht gelöst werden konnten – das Baßsolo von Robert Käfferlein in „Leave Me Alone“ etwa hört man nur ganz im Hintergrund. Aufgenommen hat man das Werk mit S. L. Coe, der damals gerade bei Scanner rausgeflogen war und sein Label 1MF Records betrieb, für das er aber seltsamerweise Reactor nicht unter Vertrag nahm, so dass deren Alben weiter auf dem Eigenlabel Reactor Records erschienen. Inwieweit seine Erfahrungen auch aufs Songwriting Einfluß hatten, läßt sich ohne nähere Hintergrundinformationen natürlich nicht quantifizieren – aber, und das ist die zweite Verbesserung, die Songs hinterlassen tatsächlich einen gereifteren Eindruck, ohne den speedigen Hurra-Stil per se aufzugeben. Gleich die beiden Opener „MTI’s“ und „Their Curse“ fallen wieder mit der großen Melospeed-Keule ins Haus, lassen die Gitarristen zaubern und rennen bei Genrefreunden vermutlich offene Türen ein. Der Fortschritt macht sich allerdings speziell bei den auf dem Debüt phasenweise noch etwas zu bemüht wirkenden Midtempo-Nummern bemerkbar, wenngleich auch „Jack The Ripper“ hier auf dünnem Eis wandelt, wenn Drummer Muck Langmaier mehrmals quasi aus dem Nichts für einige Sekunden vor sich hinknüppelt und sich der Hörer auch nach wiederholten Durchläufen nicht so richtig an diesen Fremdkörper gewöhnen kann, während die meisten anderen der diversen Tempowechsel deutlich organischer ins Gesamtgerüst dieses Siebenminüters eingepaßt sind. Auch die Integration des hymnischen Refrains von „Hell Ain’t Half Full Yet“ ins flottere Umgebungstempo darf als gelungen gewertet werden, wobei freilich auch ein konsequent durchspeedender Refrain wie der in „Leave Me Alone“ richtig viel Hörspaß macht und dem Songtitel auf den ersten Höreindruck hin offen widerspricht, schließlich sind hier diverse Backingvokalisten beteiligt, so dass der Protagonist scheinbar nicht allein gelassen wird. Beim genaueren Hinhören offenbart sich hier aber eine Dialogstruktur zwischen Backings und Leads, so dass das Ganze strukturell doch Sinn ergibt. Bis dahin hat man auch den dritten Fortschritt wahrgenommen, nämlich die gegenüber dem Debüt deutlich sicherer wirkende Stimme von Jerry Bryant, der zwar im Direktvergleich mit der Genre-Spitzenklasse immer noch den kürzeren zieht, aber hörbar an Souveränität gewonnen hat. Von daher wäre es interessant gewesen, wie weitere Reactor-Alben mit ihm am Mikrofon geklungen hätten – aber zu solchen sollte es nicht mehr kommen: Sänger und Drummer nahmen nach Revelation ihre Hüte, und auf den Folgealben übernahmen zunächst Coe und dann Käfferlein die Leadvocals. Was Bryant mittlerweile kann, stellt er am überzeugendsten im geschickt mit Akustikgitarren durchwobenen Longtrack „Dog“ unter Beweis, der viele verschiedene Stimmlagen von ihm verlangt und wo sich der Vokalist gekonnt durch die geforderten Aufgaben singt und schreit. Beachtung verdienen übrigens auch die Texte, zwar oft eher schlicht, aber beispielsweise gleich im Opener „MTI’s“ engagiert Position gegen die weiland goße Aufmerksamkeit erregenden neonazistischen Umtriebe Position beziehend. Freilich ist auch musikalisch nicht immer alles Gold, was zu glänzen scheint: So geschickt „Dog“ generell auch arrangiert ist – die Generalpause kurz vor Minute sechseinhalb ist viel zu lang und läßt den Hörer gedanklich schon den nächsten Song erwarten, ehe der Hund aber noch mehr als zwei Minuten dranhängt. „Preacher’s Vice“ macht Tempo, fällt aber nicht weiter auf, und nachdem sich „Women Stick At Nothing“ gegen Midtempo und für Speed entschieden hat, entwickelt sich nochmal ein nettes Stück, das mit den vorderen aber auch nicht mithalten kann, so dass in Analogie zum Debüt auch hier auf dem Zweitling nach hinten raus etwas die Luft verschwindet. Immerhin hört man Käfferleins am Solo-Beginn markant eingesetzten Baß wenigstens etwas besser als in seinem groß gedachten, aber klein abgemischten Solospot in „Leave Me Alone“. Und schöne Doppelleads wie im mittleren Soloteil gehen immer, wohingegen man über den Kollektivgesang mit bis auf die Drums schweigenden Instrumenten geteilter Meinung sein darf.
In der Gesamtbetrachtung macht Revelation im Direktvergleich ein gutes Stück mehr Hörspaß als Rather Dead Than Dishonoured. Leider keine Verbesserung gibt es freilich auf der optischen Seite zu konstatieren. Auf dem Cover stehen diesmal nur das Bandlogo sowie japanische Schriftzeichen im Vorder- sowie im Hintergrund. Um letztere überhaupt erkennen zu können, muß man auf dem Re-Release von Jolly Roger Records aber sehr gutes Augenlicht besitzen – die Reproqualität ist wie schon beim Re-Release des Debüts eher gering und der Druck viel zu dunkel, so dass selbst die Konturen des Bandlogos verschwimmen, was für eine Underground-Black Metal-Combo kein Problem wäre, für eine Melospeed-Formation wie Reactor aber schon. Wie das Artwork zumindest von der Farbgebung her richtig auszusehen hat, zeigt wieder mal die Abbildung der originalen japanischen Pressung im Booklet, wenngleich auch dort das Logo zu undeutlich wirkt. So bleibt Revelation optisch leider eine graue Maus – aber wenigstens lohnt sich wie erwähnt die Beschäftigung mit der Musik in stärkerem Maße als beim Debüt.



Roland Ludwig



Trackliste
1MTI’s5:28
2Their Curse3:46
3Jack The Ripper7:39
4Leave Me Alone3:54
5Hell Ain’t Half Full Yet4:55
6Dog8:47
7Preacher’s Vice3:22
8Women Stick At Nothing6:39
Besetzung

Jerry Bryant (Voc)
Markus Baier (Git)
Thorsten Schwalm (Git)
Robert Käfferlein (B)
Muck Langmaier (Dr)



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