The New York Second

Room For Other People


Info
Musikrichtung: Modern Jazz

VÖ: 01.02.2025

(Eigenveröffentlichung)

Gesamtspielzeit: 78:05

Internet:

https://haraldwalkate.com/
https://jazzfuel.com/
https://www.vivianmaier.com/


Nach den letzten Produktionen des niederländischen Jazz-Pianisten Harald Walkate, nämlich 2022 mit Music At Night (And Other Stories) und 2023 im Trioformat mit After The Hours, The Minutes gibt es nun unter dem "Firmennamen" The New York Second ein weiteres Album namens Room For Other People.

Ganz edel wirkt das Cover und suggeriert insofern bei mir spontan eine ebenfalls "edle" Ausrichtung der Musik! Ja, hinsichtlich der Einleitung wird das sogleich bestätigt, ein feinfühliges Arrangement macht sich auf den Weg zur "983 Third Avenue", tupfend zart akzentuiertes Schlagzeug, untermalt von zarten Klängen eines Vibrafons.

Auf dem Cover ist auch zu lesen, dass diese Musik inspiriert wurde vom fotografischen Werk von Vivian Maier. Sie lebte von 1926 bis 2009 und stammte aus New York, war Amateur- und Freizeitfotografin und wurde erst wirklich bekannt nach ihrem Tod durch eine große Anzahl von Fotografien in Schwarz-Weiß, die allesamt das Leben in den Großstädten New York und Chicago darstellten.

Der Pianist entdeckte einige ihrer Fotografien in einem Museum in Amsterdam, das war 2014, und mit seiner Liebe zur Schwarz-Weiß-Fotografie und damit verbunden, das er etwa acht Jahre in New York und Chicago lebte, vergrub er sich tiefer in die Person Vivian Maier und ihr fotografisches Werk, gleichzeitig führte das dazu, dass daraus eine musikalische Inspiration resultierte. So suchte er sich bestimmte Fotografien aus und entschloß sich dazu, Kompositionen, die seiner Meinung nach im Einklang mit den Fotos standen, zu erschaffen. Zehn Fotos - zehn Songs, im Booklet gibt es hierzu nähere Erläuterungen, warum welche Fotos im Einzelnen zu den jeweiligen Kompositionen inspirierten.

Unabhängig davon möchte ich jedoch die Musik auf mich, unbeeinflusst durch des Komponisten Absichten und Wahrnehmungen, wirken lassen und mir eigene Bilder hierzu erschaffen. Und diese erinnern mich natürlich auch an jene, die sich bei mir beim Hören des Albums "Music At Night (And Other Stories)" eröffneten, sind es doch auch nun wieder diese feinfühligen Arrangements, die das "Salz in der Suppe" darstellen, herrlich, diese Passagen, in denen die Bläsersektion ganz zurückgenommen wird und ganz zart untermalt, während sich Rob Waring mit dem Vibrafon aus dieser "Wand" herausschält und mit seinen melodischen Einsätzen das Ganze abrundet. Die Rhythm Section mit Buffa und Sergeant unterstreichen die jeweiligen Stimmungen mit hohem Einfühlungsvermögen und mit brillianter Eleganz, und, ich befinde mich soeben im Titelsong der Platte, auch hier ist es Trompeter Nobel, der Akzente zu setzen vermag. Im Übrigen bezieht sich dieser Song auf ein Selbstporträt der Fotografin, den Zusammenhang erklärt der Protagonist einfühlsam und nachvollziehbar im Booklet.

Im Laufe der Platte vertieft sich Etwas in mir, nämlich das, was mich bereits bei "Music At Night (And Other Stories)" so faszinierte, nämlich eine große Ruhe, die von der Musik ausgeht. Es entwickelt sich eine prickelnde Schönheit in entspannendem Umfeld, etwas, dass in die Seele kriecht, ich habe mich regelrecht verliebt in diese Nuancen, einerseits bin ich ein Jazz-Freund, der sich stets mit wilden Improvisationen, wie ich sie einst von John Coltrane und anderen kennengelernt hatte, bis hin zu bestimmten Ausprägungen des Free Jazz, beschäftigt hatte, und Stimmungen, die mich abheben ließen, doch diese wunderschöne Einheit der zehn Kompositionen ist absolut fesselnd. Improvisation ist dennoch kein Fremdwort, so genieße ich soeben das mitreissende und ausdrucksstarke Flötensolo von Mark Alban Lotz auf "Safety Service Comfort".

Einen Bezug zum Albumcover, der Dame im weissen Kleid, gibt es natürlich auch, mit dem siebenten Titel, "The White Dress". Aufgrund von Recherchen hat man wohl entdeckt, dass das Foto weder aus New York noch aus Chicago stammen soll, sondern aus Florida, Walkate führt dazu aus, dass es ihn an einen Film-Noir erinnert oder einen "Steely Dan-esque vibe" aufweist. Klar, dass er es mit dem entsprechenden Soundtrack veredelt hat! Eines der Fotos stammt nicht von Vivian Maier, vom Pianisten selbst, weil das Original aus rechtlichen Gründen nicht verwendet werden durfte, hier: "View Of Île Saint-Louis". Mit "Downstairs For Incoming Trains" wird der längste Song des Albums vorgestellt, und den Abschluss bildet das kurze Reprise des Titelsongs.

Ich verabschiede mich aus einem Album mit kunstvoller Musik, voll von strahlender melodischer Schönheit und Ruhe, und, wie ich eingangs bemerkte, edel ist das Alles in höchstem Masse! Die Fotografien von Vivian Maier und die Kompositionen von Harald Walkate sind eine Symbiose eingegangen, alle Bilder, die mir beim Hören im Kopf entstanden sind, spiegeln das wider, was sich im Einklang der Fotografien und der Musik ergeben hat. Für mich ist das ein erneutes Meisterwerk im Geist früherer großartiger Arrangeure wie Gil Evans und anderen.



Wolfgang Giese



Trackliste
1 983 Third Avenue (8:28)
2 Florida, 1957 (8:44)
3 The Collector's Corner (8:47)
4 The Class Photograph (4:29)
5 Room For Other People (6:39)
6 Safety Service Comfort (7:42)
7 The White Dress (7:14)
8 Location & Date Unknown (7:26)
9 View Of Île Saint-Louis (6:11)
10 Downstairs For Incoming Trains (10:57)
11 Room For Other People (Reprise) (0:54)
Besetzung

Harald Walkate (piano, composition)
Teus Nobel (trumpet, flugelhorn)
Mark Alban Lotz (flute)
Tom Beek (tenor saxophone)
Vincent Veneman (trombone)
Rob Waring (vibraphone)
Max Sergeant (drums)
Lorenzo Buffa (double bass)



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