Dream Theater

Made In Japan – Live (2006)


Info
Musikrichtung: Progressive Metal

VÖ: 14.09.2022 (09.11.20

(InsideOut / Sony)

Gesamtspielzeit: 78:30

Internet:

http://www.insideoutmusic.com
lostnotforgottenarchives.dreamtheater.net


2002 hatten Dream Theater begonnen, in Orten, wo sie an zwei aufeinanderfolgenden Abenden spielten, am zweiten Abend ein komplettes Klassikeralbum zu covern – die Wahl war damals auf Werke von Metallica, Iron Maiden und Pink Floyd gefallen. Im Januar 2006 standen nun zwei Gigs in Tokio und zwei in Osaka auf dem Programm, in den Städten also, wo Deep Purple anno 1972 ihren Made In Japan-Liveklassiker mitgeschnitten hatten. Was lag für Dream Theater also näher, als diesmal kein Studio-, sondern ein Livealbum zu covern – zudem nach Pink Floyds Dark Side Of The Moon wieder eins, das ihrer eigenen Instrumentierung entspricht, also mit einem Gitarristen und einem Keyboarder und nicht mit zwei Gitarristen? Gesagt, getan – und auch hier liefen die Bandmaschinen mit, so dass die Performance in Osaka im Rahmen der Lost Not Forgotten-Serie erscheinen konnte. Der nun vorliegende Re-Release im bookletlosen Digipack muß wie immer ohne die erhellenden Liner Notes Mike Portnoys im Original auskommen.

Was die Songauswahl angeht, so halten sich Dream Theater zumindest auf der Konserve an die klassische Deep-Purple-Version, also die mit sieben Songs – ein späterer Re-Issue von Made In Japan kam als Doppel-CD und versammelte auf der zweiten Scheibe die drei Zugaben, die Blackmore, Lord & Co. bei den drei Gigs ihrer Japan-Minitour (zwei Gigs in Osaka, einer im Budokan in Tokio) gespielt hatten, nämlich „Black Night“ (an allen drei Abenden), „Speed King“ (am ersten Osaka- und am Tokio-Abend) und „Lucille“ (am zweiten Osaka-Abend). Auf diese drei Songs verzichten die Amis – das Material ist auch so lang genug, wenn man bedenkt, dass die sieben Songs damals der ganze Deep-Purple-Hauptset waren, während Dream Theater an dem Abend ja schon einen eigenen Set hinter sich hatten, übrigens einen mit Raritäten wie „Raise The Knife“ oder „Another Won“ versehenen. Außerdem gab es nach dem Ende der Komplettaufführung auch noch einen eigenkomponierten Zugabenteil in Gestalt von „Wait For Sleep“ und „Learning To Live“. Aber die Instrumentalisten sind wie üblich topfit, obwohl man sich zumindest hier und da wieder mal Mühe geben muß, um Jordan Rudess an seinen Keyboards vernünftig herauszuhören, denn er wird gelegentlich etwas zu sehr ins klangliche Abseits gestellt, wenngleich nicht so extrem wie bei den Mitschnitten von Master Of Puppets und The Number Of The Beast, wo man sich hier und da fragte, ob er bei dem einen oder anderen Song überhaupt mitspielte. Auch die Rhythmusgruppe ist leicht disparat abgemischt, indem man Portnoys Drumming relativ weit im Vordergrund, John Myungs Baß hingegen eher im Hintergrund wahrnimmt, was freilich keinen gar zu großen Störfaktor darstellt, zumal sich die beiden spielerisch problemlos finden, wenn es darauf ankommt, locker gemeinsam draufloszugrooven wie einst Roger Glover und Ian Paice – und im Solo von „Strange Kind Of Woman“ agiert der Basser sogar relativ klangauffällig, ebenso im ersten Solo von „Space Truckin‘“. Dafür dürfte Glover gesorgt haben – der Bassist des Originals übernahm nämlich die Abmischung des Covers, und auf ihn geht damit auch das leichte Gesamtungleichgewicht in der Rhythmusgruppe zurück, netto zu Ungunsten seiner eigenen Instrumentengattung (er ist halt bescheiden, so wie Myung auch). Und dass John Petrucci uns gekonnt den Ritchie Blackmore geben kann, verwundert natürlich ebensowenig wie der Fakt, dass er auch den legendären Patzer im Riff von „Smoke On The Water“ repliziert und ebenso gekonnt umspielt wie weiland der Man in Black. Hundertprozentig kopiert er Blackmore freilich nicht, wie man gerade an diesem Riff schön hören kann, das er etwas geerdeter spielt als Blackmore; auch sein inkorporierter Bluesfaktor ist insgesamt etwas geringer, wenngleich er diesen Stil natürlich trotzdem umsetzen kann, wie etwa das Finale von „Lazy“ zeigt. Wer Made In Japan in- und auswendig kennt, kann sich natürlich die ganzen 78:30 Minuten hindurch auf die Suche machen, wo Dream Theater ganz nahe am Original bleiben und wo sie sich ein paar eigene künstlerische Freiheiten gönnen. An den Grundstrukturen rütteln sie selbstredend nicht: „The Mule“ beinhaltet Portnoys Drumsolo, und im Mittelteil von „Strange Kind Of Woman“ werfen sich James LaBrie und Petrucci die akustischen Bälle zu wie einst Ian Gillan und Blackmore.
Wie immer bei diesen Coverprojekten ist auch hier wieder die große Frage, wie sich der Sänger schlägt, zumal LaBrie eine grundsätzlich ganz anders geartete Stimme ins Feld führt als Gillan. Aber im Finale von „Strange Kind Of Woman“ traut er sich dann doch, den hohen Kreischer Gillans nachzubilden, und er macht keine schlechte Figur dabei – man muß immer im Auge behalten, dass er zum Zeitpunkt der Aufnahme schon etliche Jahre älter war als Gillan zum Zeitpunkt der Aufnahme des Originals und dass er im Gegensatz zu diesem zuvor ja schon einen Set zu singen hatte. Natürlich bieten die minutenlangen Instrumentalpassagen ihm hier etwas mehr Erholungszeit als bei den anderen Coveralben, aber diese Zeit hatte Gillan ja auch. Nur an die Schreie in „Child In Time“ traut sich LaBrie dann doch nicht heran und versucht auch nicht, diese extrem hohen Passagen clean zu singen, wie Gillan das 1969 bei den ersten Liveaufführungen dieses Songs noch tat – er wählt statt dessen eine alternative tiefer liegende Linie und läßt Rudess die originale Linie am Keyboard spielen. Apropos Rudess: Der wählt natürlich oft und gern die Klangfarben, die auch Jon Lord weiland eingebracht hatte – bisweilen weicht er aber auch bewußt ab, wodurch beispielsweise einige Passagen von „Lazy“ mit einem bläserartigen Keyboardsound ein interessantes neues Feeling bekommen, was freilich im wesentlichen die Ursache hat, dass hier im Original Gillan ein Mundharmonika-Solo spielt, was LaBrie nicht tut, so dass Rudess quasi dieses nachbildet. „Lazy“ ist auch der Song, bei dem sich die Amis am meisten zusätzliche Spielzeit gönnen, nämlich anderthalb Minuten, während umgekehrt „Space Truckin‘“ zweieinhalb Minuten kürzer ausfällt. Wer Spaß dran hat, setze sich mit beiden Aufnahmen und einem Metronom hin und überprüfe die Tempoabweichungen und zugleich natürlich etwaige zusätzliche oder weggelassene Passagen – weniger fanatisch orientierte Deep-Purple- und Dream-Theater-Anhänger dürfen aber auch einfach nur Freude an der Aufnahme äußern. Das Hören lohnt sich jedenfalls definitiv, egal welche Version man einwirft – es sei denn, man will unbedingt „Child In Time“ mit dem dramatisch nicht zu übertreffenden hohen Gekreisch hören, das man bei Dream Theater eben nicht zu hören bekommt.



Roland Ludwig



Trackliste
1Highway Star7:49
2Child In Time12:14
3Smoke On The Water8:13
4The Mule9:08
5Strange Kind Of Woman10:22
6Lazy12:04
7Space Truckin‘17:14
Besetzung

James LaBrie (Voc)
John Petrucci (Git)
Jordan Rudess (Keys)
John Myung (B)
Mike Portnoy (Dr)



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