Hendrix in Ipanema: Die Banda Azevedo spielt das Jahresauftaktkonzert beim Jazzklub Altenburg ohne ihren Namensgeber![]() ![]() ![]()
![]() Der seit einigen Jahrzehnten in Leipzig ansässige Gitarrist Werner Neumann ist dem Jazzklub Altenburg seit langem eng verbunden und kuratiert dort sogar eine eigene Veranstaltungsreihe namens „Kleine Helden“. Der Rezensent ist seit einem reichlichen Jahrzehnt immer mal bei Jazzklub-Veranstaltungen dabei – Neumann hat er aber kurioserweise noch nie auf der Bühne erlebt, und es hätte nicht viel gefehlt, dass auch das Debüt an diesem milden Januarabend nicht zustandegekommen wäre. Der Gitarrist hat sich nämlich mit einer südamerikanisch besetzten Rhythmusgruppe zusammengetan, und dieses Banda Azevedo geheißene und hier auch abgebildete Trio soll eigentlich das 2025er Jahresauftaktkonzert beim Jazzklub spielen. Namensgeber ist der Drummer Adriano Azevedo – und ausgerechnet der muß aufgrund eines schweren Krankheitsfalls in seiner Familie kurzfristig in seine nordostbrasilianische Heimat fliegen. Neumann und der chilenische Bassist Willy Valdivia entscheiden sich aber, den Gig nicht abzusagen – der nicht zuletzt durch seine Lehrtätigkeit an der Leipziger Musikhochschule bestens vernetzte Gitarrist holt den Drummer Heinrich Eißmann dazu, und der in eine Mini-Tour mit vier Konzerten eingebettete Auftritt kann fast wie geplant stattfinden. Das Wort „fast“ erklärt sich daraus, dass ein brasilianischer Drummer naturgemäß etwas anders spielt und das südamerikanische Feeling bei zwei Südamerikanern in der Besetzung um eine Potenz höher liegt als nur mit einem. Zudem gestaltet es sich an diesem Abend soundbedingt ein wenig schwierig, Valdivia (der einen Kontrabaß spielt) und Eißmann klanglich zu gemeinsamem Grooven zu bringen, da der Baß im Gesamtmix ein klein wenig zu weit im Hintergrund steht – Eißmann „diszipliniert“ sein Spiel schon, damit er im relativ kleinen Raum nicht alles in Grund und Boden hämmert, aber eine gewisse Grundlautstärke bleibt bei ihm halt dauerhaft erhalten, und während Neumanns Gitarre sich über weite Strecken angemessen Gehör verschaffen kann, gelingt dies Valdivias Baß nicht durchgehend, auch wenn so ab dem dritten Song das Gehör den Lerneffekt, auf welchen Frequenzen man den Baß zu suchen hat, immer besser bewältigt, wozu als nutzbringender Fakt tritt, dass der Rezensent im Publikum auf Neumanns Seite sitzt und damit relativ weit entfernt von Eißmann. Das Überraschende an der Gesamtsituation ist nun allerdings, dass es zumindest partiell auch gar nicht darauf ankommt, dass sich Baß und Drums zu gemeinsamem Grooven finden. Einen Rhythmusteppich ausrollen, über dem Neumann dann ausgiebig soliert, das kriegen beide problemlos hin, und ihr Spiel jeweils noch mit interessanten Elementen auszugestalten, das schaffen sie auch, wobei auch Valdivia regelmäßig Plätze für Solospots zugewiesen bekommt. Und die interne Abstimmung funktioniert so gut, dass man ohne die entsprechenden Hintergrundinformationen nie auf die Idee käme, diese Besetzung sei gar nicht dauerhaft so beisammen – mal abgesehen von dem Fakt, dass selbst im Falle, dass die Abstimmung mal nicht so wie geplant funktioniert haben sollte, der Hörer das nicht gemerkt hätte.
![]() Offensichtliche solche Situationen gibt es jedenfalls nicht, und da von der Banda Azevedo auch noch kein konserviertes Material vorliegen dürfte, hat man auch keine entsprechenden Vergleichsmöglichkeiten. Mit den Originalen vergleichen kann man das Material sowieso nicht: Die neun Nummern des Sets sind ausschließlich Coverversionen, die auf diese Triobesetzung zurechtgeschnitten wurden – und da ist zwar etliches an grundsätzlicher Motivik erhalten geblieben, aber die Arrangements unterscheiden sich naturgemäß deutlich. Der Opener „Favela“ von Tom Jobim gibt schon mal die Richtung vor – Jazz mit latentem Rockfaktor, den erwähnten südamerikanischen Einflüssen und ausgiebigen Instrumentalsoli. Gesang gibt es indes keinen, der Set bleibt rein instrumental, nur Neumann ergreift bisweilen das Wort für Ansagen. Der akustische Gang durchs Elendsviertel gestaltet sich jedenfalls recht flott und endet in einem Drumsolo, hinter dem man die anderen Instrumente nur noch diffus wahrnimmt. „Softly“ aus der Hammerstein-Romberg-Schmiede hebt mit einem langen, teils ätherischen Gitarrenintro an und entwickelt beim Einsetzen der Rhythmusgruppe einen treibenden Groove, während das lange Outro klassischen Blues mit ein paar ungewöhnlichen Zutaten garniert. „Little Wing“ leitet Neumann mit folgenden Worten ein: „Wir könnten das auch am Strand von Ipanema spielen, ohne aufzufallen“ – und tatsächlich atmet der Hendrix-Klassiker in der von ihm arrangierten Fassung südamerikanisches Feeling, wobei auffällt, dass der Bassist zumindest phasenweise sehr dominant auftreten darf, auch wenn der Fokus natürlich auf der Gitarrenarbeit liegt. Dass das Ganze wieder in einem wilden Drumsolo mündet, wundert mittlerweile niemanden mehr, aber dank der erwähnten Gewöhnung des Ohrs hört man die anderen darunter mittlerweile besser. Der erste Set endet mit „Sing A Song Of Song“ von Kenny Garrett, in dessen Intro Neumann seine Gitarre ganz, ganz weit weg klingen läßt, während Eißmann die Becken nicht anschlägt, sondern kreisförmig über sie fährt. Der Hauptteil zeigt sich als Slowgroover, aber mit intensiver Schlagzeugarbeit, deren Intensität sich noch steigert, das Tempo hingegen nicht, und das Outro repetiert den Gitarrensound des Intros. Kurt Rosenwinkels „Minor Blues“ eröffnet den zweiten Set und bleibt bei seinem titelgebenden Stil, trotz des durchaus zügigen Tempos. „Along Came Betty“ von Benny Golson beginnt mit einem zigeunerartigen Intro, das in ein Exzelsior und letztlich in eine abermals flotte Nummer mündet, in der vor allem einige interessante Elemente der Schlagzeugarbeit auffallen, u.a. Mehrfachschläge auf die Snare. Auch Neumann setzt seine Gitarre im Finale kurz perkussiv ein. „Beatrice“ von Sam Rivers will das Trio laut dem Gitarristen dann als „ganz normalen Jazz“ inszenieren. Hm, normal ist hier allerdings so einiges nicht, was sich nach dem verschleppten Intro so entwickelt. Gut, das Grundgerüst ist Midtempo-Swing, aber im und um das Baßsolo registriert man einige ziemlich wüste Tempowechsel, und was der Drummer nach hinten raus spielt, das glänzt auch durch ungewöhnliche Markanz. John Coltranes „Impressions“ bilden das Finale des Hauptsets, und die Eindrücke fliegen hier nur so am Hörer vorbei, während die markante Leadmelodie einen willkommenen Anker darstellt und Eißmann noch einmal in die Einfallskiste greift, indem er hier phasenweise auf einen Mini-Schellenkranz einhämmert. Für ein Motiv bekommt Valdivia Szenenapplaus, und das Stück endet – wer errät’s? – mit einem Drumsolo.
![]() Der Raum im Paul-Gustavus-Haus ist sehr gut gefüllt (u.a. mit einer auffällig hohen Quote hübscher und den Altersschnitt senkender weiblicher Wesen), und die Anwesenden geben sich ohne eine Zugabe natürlich nicht zufrieden. Die besteht aus „Lucky Southern“ von Keith Jarrett, dessen berühmtes Köln-Konzert fast genau 50 Jahre zurückliegt – an diesem Abend in Altenburg entspinnt sich ein recht zügiges Geschehen, bei dem Eißmann oft auf Besen zurückgreift, was er im Hauptset eher selten getan hatte. Das Stück endet – nein, nicht mit einem Drumsolo, sondern ganz zurückhaltend im Piano, was das Publikum natürlich trotzdem nicht vom erneuten verdienten Jubeln abhält. Ein starker Auftakt in die 2025er Saison des Jazzklubs – so darf’s gerne weitergehen. Setlist: Favela Softly Little Wing Sing A Song Of Song -- Minor Blues Along Came Betty Beatrice Impressions -- Lucky Southern ![]() Roland Ludwig ![]() ![]() ![]() |
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