Ein Abend voller kultureller Aneignung: Skatacombo, Die Griffins und Small Town Artists im Leipziger Bandhaus
In jüngerer Zeit wird das Konstrukt der kulturellen Aneignung gerade im soziokulturellen Bereich heiß diskutiert – leider in einer Weise, die die wenigen tatsächlichen Problemfälle in dieser Richtung durch eine große Anzahl unsinniger Forderungen und ideologiegesteuerte Argumentation ins Lächerliche zieht und zudem weitergehenden Problemen Tür und Tor öffnet. Wenn man beispielsweise fordert, ein Mitteleuropäer ohne karibischen Migrationshintergrund dürfe keine Dreadlocks tragen, impliziert das praktisch, dass man als Mitteleuropäer ohne wie auch immer gearteten Migrationshintergrund nur typisch mitteleuropäische Haar- und Bartmode pflegen dürfe, wobei noch zu definieren wäre, ob wallendes Haupt- und Barthaar à la Friedrich I. Barbarossa oder aber doch Seitenscheitel und eine bestimmte Ausprägung des Schnurrbartes zu fordern ist. Und ganz nebenbei: Der farbige Saxophonist der Griffins dürfte dieses Instrument gemäß besagter Ideologie gar nicht spielen, wurde selbiges doch von einem weißen Belgier erfunden ... Zum Glück sind an diesem Abend offensichtlich keine Menschen im Bandhaus anwesend, die derartige problematische Ideologien vertreten, und so können sich die drei Bands des Billings, mit der erwähnten Ausnahme offenbar alle aus Mitteleuropäern ohne Migrationshintergrund bestehend, darauf konzentrieren, was sie eigentlich vorhaben: den musikalischen Boden für eine fröhliche Ska-Party bereiten, die eine oder andere Verbeugung vor den karibischen Vorbildern inclusive. Der Bandhauskeller ist gut gefüllt, aber in diesem Falle zum Glück nicht so dicht, dass man beim Schwingen des Tanzbeins permanent die nächstplazierten Besucher niedermähen würde. Die Small Town Artists sind diejenige der drei Bands, die am weitesten vom klassischen Ska entfernt ist – hier dominieren eher Reggae und Rocksteady, beide in gemäßigtem Tempo. Was hier mit „Schnell, schnell“ an dritter Position kommt, stellt neben dem Setcloser „Reggae & Ska“ tatsächlich den schnellsten Song des Sets dar, dessen Tempo freilich dem langsamsten der Griffins entspricht. Zum Glück ist „relativ langsam“ hier nicht mit „relativ langweilig“ gleichzusetzen – das Quintett macht einiges aus seinen musikalischen Möglichkeiten und hat zudem die kluge Entscheidung getroffen, den sonst von ihm gern gepflegten Smooth Reggae für diesen Abend aus dem Programm zu werfen. Statt dessen gibt es drei geschmackvoll ausgewählte Coverversionen („Travel With Love“ von Justin Hinds, „Ba Ba Boom“ von The Jamaicans und „Big 7“ von Judge Dread) und sechs Eigenkompositionen, die sich weitgehend der deutschen Sprache befleißigen und geschickt mit ihr umgehen. Einen völlig unironischen Lovesong wie „Schön“ so unplatt in Szene zu setzen muß man jedenfalls erstmal hinkriegen. Auch musikalisch weiß das aus „mittlerweile Leipzig, Erzgebirge, Thüringen“ (so die Ansage) kommende Quintett, was es tut, wenngleich sich die Posaune und die Leadstimme an einigen Stellen gefühlt eher im Wege stehen, als sich zu ergänzen. Dafür entschädigen die coolen Echoeffekte in „Schnell, schnell“ oder auch das einfallsreiche Spiel des waldschratartigen Keyboarders, der mal klassisches Piano, mal irgendwelche historischen Orgelsounds ins Geschehen wirft, einen Gutteil der Soli spielt und dem Rezensenten irgendwie bekannt vorkommt. Nach einiger Grübelei fällt der Groschen: Fünf Wochen zuvor hatte er an gleicher Stelle als Bassist und Sänger der Thrash Metaller Bloodfreezer agiert – ein Multitalent also. Der auch Gitarre spielende Vokalist nimmt sich instrumental weit zurück (die andere Hälfte der Soli übernimmt der Posaunist, der als Nebenjob auch noch Percussionist ist und gelegentlich eine zweite Stimme singt), konzentriert sich statt dessen auf die angenehm unprätentiösen und doch ausdrucksstarken Vocals sowie den Job als Showmaster mit flockigen Sprüchen: „Wir würden jetzt ansagen, dass wir T-Shirts verkaufen – wenn wir welche hätten.“ In den Setcloser „Reggae & Ska“, der sich vor den Helden wie Marley oder Tosh verbeugt, baut der Sänger zudem eine Strophe ein, die Die Griffins und die Skatacombo lobt. Das Tanzbein im Publikum zuckt trotz (oder bei manchem auch gerade wegen) des größtenteils übersichtlichen Tempos schon ganz beachtlich, die Stimmung ist prima, der Sound nach Beseitigung einiger Rückkopplungen ab Song 2 auch exzellent – einzig die Zeit reicht nicht mehr für die eingeforderte Zugabe, von denen die ausgedruckte Setlist gleich drei Optionen geboten hätte. Setlist Small Town Artists: Travel With Love Schön Schnell, schnell Ba Ba Boom Big Schokolade I’m Callin’ Big 7 Was soll’s Reggae & Ska Die Griffins schrauben wie erwähnt nicht nur das Tempo nach oben, sondern auch die Zahl des Bühnenpersonals – sie treten als Oktett an, mit Sänger, zwei Gitarristen, Bassist, Drummer, Saxer, Trompeter und Posaunist. Musikalisch landen wir hier im Ska mit starker Punk- bzw. Rockschlagseite – die beiden Gitarristen sind nicht von ungefähr am Start, der eine spielt sogar eine relativ große Menge Leads. Natürlich reicht das Konzept nicht so weit, dass die Leipziger etwa Songs der kalifornischen Griffin und ihrer norwegischen Namensvettern, beide im Metal zu Hause gewesen, hernehmen und in ihren Stil transferieren (wobei: Was nicht ist, kann ja noch werden), aber die Eigenkompositionen machen auch allesamt Laune und verwandeln den Keller im Handumdrehen in eine bewegungsfreudige Menge, die bis in die hintersten Reihen fleißig das Tanzbein schwingt, obwohl die Truppe eigener Aussage zufolge 2016 letztmalig an gleicher Stelle gespielt habe – ein Gutteil der Anwesenden scheint mit ihrem Material vertraut, und alle anderen können auch problemlos mitmachen, wenn sie sich auf ein paar ungewöhnliche Tempowechsel einstellen, etwa den slowgroovigen Mittelteil von „Auf geht’s“ oder die vielschichtigen Strukturen in Songs wie „So ist das Leben“ oder „Mikrofon-Mann“. „Guter Tag“ beginnt als scheinbar langsamster Song des Sets mit einer Strophe in dem Tempo, das dem schnellsten der Small Town Artists entspricht, schlägt später aber auch noch in mitreißende Hochgeschwindigkeit um. Mit „Fair“ feiert auch ein neuer Song Livepremiere, der mit einem markanten feisten Gitarrenriff anhebt und auch ungewöhnlich hämmernde Bassdrumfiguren zum Einsatz bringt, in den Bläsersätzen aber noch nicht wie ganz zu Ende gedacht anmutet. Egal: Die Stimmung ist am Kochen und auf der Bühne trotz Oktettbesetzung und entsprechend knappem Platz einiges an Bewegung, nicht nur vom dafür prädestinierten Sänger, sondern auch von den Bläsern, die Muster ausführen, welche, so eine der diversen abwegigen Ansagen des Vokalisten, demnächst als Aerobic-Kurs auf DVD zu haben seien. Überhaupt fällt der Vokalist durch sehr loses Mundwerk auf, was die Ansagen angeht, singt aber auch kompetent, erinnert bisweilen ein wenig an Bela B. und an den Fronter der längst verblichenen Chemnitzer Flesh Gordon. Ein paar kleine technische Probleme können schnell behoben werden, der Sound ist laut, aber für die Vielzahl der Instrumente erstaunlich gut ausdifferenziert, und es fällt nicht schwer, das Oktett nach „Chor der Ahn“ noch zur Zugabe „Verkauft“ zu überreden. Setlist Die Griffins: Der Prolog Generation Auf geht’s So ist das Leben Mikrofon-Mann Keine Lösung Selbsterkenntnis Fair Einfach ich Guter Tag Affenhaus Chor der Ahn -- Verkauft Die Skatacombo reduziert das bühnenaktive Personal auf sieben – beide eigenständigen Gitarristen werden wegrationalisiert, statt dessen übernimmt der Sänger den Gitarristenjob gleich mit, und es tritt wieder ein Keyboarder in Erscheinung, während Rhythmusgruppe und Bläsersatz strukturell denen der Griffins entsprechen. Das Septett steigt mit dem „Skata-Intro“ ein, in dem u.a. Richard Strauss’„Also sprach Zarathustra“-Motiv verarbeitet wird, bevor der Sänger verkündet: „Wir sind die Skatacombo, und wir machen jetzt erstmal Urlaub!“ Das heißt nicht, dass sie gleich wieder von der Bühne gehen und nach Hawaii fliegen, obwohl die Dichte an quietschbunten Hawaii-Hemden auf der Bühne sehr groß ist (der Basser trägt auch noch ebenso quietschbunte Bermudas) – nein, der sehr zügige Opener heißt „Urlaub auf der Verkehrsinsel“ und macht schon das Talent für eigenartige Thematiken samt Wortwitz deutlich, wobei etwa „Problemkinder“ und „Bitte Bitte“ aber auch sehr ernste politische Themen ansprechen. Die Mischung macht’s in diesem Falle (wenngleich die Raucherhymne „Smokey Smokey“ der Band beim nichtrauchenden Rezensenten Minuspunkte einträgt), und so stellt es auch keinen Zufall dar, dass „Imagine“ in der Setlist auftaucht, wobei sich herausstellt, dass der Friedensbewegungs-Oldie von Lennon auch im bedächtig groovenden Ska-Gewand eine gute musikalische Figur abgibt. Die Skatacombo kann zwar das Gaspedal auch durchtreten, wenn es darauf ankommt (das erwähnte „Urlaub auf der Verkehrsinsel“ wird nur von „Ska Punk Reggae Bier Pfand“ noch übertroffen), schaltet aber oft ein, zwei Gänge runter (das Instrumental „PlusSka“, möglicherweise eine Antwort auf „Lidl Ska Band“ der legendären Leipziger Blossom, stellt den langsamsten Song des Sets dar) und landet so zwischen den beiden anderen Bands dieses Abends – nicht aber bei der Stimmung: Die ist genauso am Kochen wie bei den Griffins, und in der erwähnten schnellsten Nummer bildet sich sogar eine Polonaise durch den Keller. Die Jenaer (oder Jenenser, je nachdem) zeigen sich darüber hinaus als Meister der gekonnten Einflechtung von Fremdmaterial: Strauss wurde ja bereits erwähnt, „Bitte Bitte“ geht vor der letzten Strophe etwas überraschend in „Katjuscha“ über, und „You Better Go“ ist gleich ein Cover der Ortsnachbarn Baba Yaga, ausgestattet u.a. mit einem bombastischen Orgelintro und einem Fast-A-Cappella-Chorpart, der die Titelzeile intensiv appellierend herüberbringt, ergänzt noch durch das Wort „now“. Natürlich geht trotzdem niemand, denn auf den A4-Zettel, der die Setlist beherbergt, passen noch einige Songs mehr, z.B. „Oh Scheiße“, in dem der Protagonist seine Seele für einen halben Liter Bier dem Teufel verkauft und prompt, als letzterer den Deal anbietet, feister Metal zu hören ist. „Haie in der Saale“ wiederum spielt mit Seemannselementen und läßt den Posaunisten zum Schluß noch eine Schiffssirene imitieren, während in „Mikrowelle“ das Publikum das Geräusch intonieren darf, wenn das titelgebende Gerät sein Programm abgespult hat. Vor dem Setcloser „Auf Wiedersehen“ muß der Vokalist seine Gitarre nochmal stimmen, was Saxer, Bassist und Drummer mit einer Jamsession überbrücken. Trotz einiger Probleme mit Rückkopplungen und der Tatsache, dass der Posaunist im Mix nur selten zu hören ist, kann man die musikalischen Ideen des Septetts problemlos nachvollziehen. Der Sänger artikuliert sich etwas angerauht, aber stets verständlich, und auch er gehört zur Sorte, die humoristische Ansagen abliefern: „Der nächste Song heißt ‚Armutsgrenze‘, deswegen müssen wir immer auf unseren Merchstand hinweisen, weil auch wir an der Armutsgrenze leben.“ Drei Zugaben folgen noch, u.a. das mit eigenartigem spacigem Gepfeife aus den Keys ausgestattete Instrumental „Cantina“ und final mit „House of Rising Hirsch“ ein weiteres Exempel kurios adaptierten Fremdmaterials („Es steht ein Hirsch so ganz in Weiß ...“), erst großen Bombast auffahrend und dann nochmal in flotteren Ska umschlagend. So endet um Mitternacht ein ausgesprochen unterhaltsamer Gig voller kultureller Aneignung, was aber niemanden gestört hat. Wozu auch, bei einer derartigen Win-Win-Situation? Setlist Skatacombo: Skata-Intro Urlaub auf der Verkehrsinsel Problemkinder Bitte Bitte PlusSka Ska Punk Reggae Bier Pfand Imagine Wenn weiße Hirsche surfen geh’n Armutsgrenze Smokey Smokey You Better Go Oh Scheiße Haie in der Saale Mikrowelle Wiedersehen -- One Step Beyond Cantina House Of Rising Hirsch Roland Ludwig |
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