Bei der Split-Releaseparty von The Crimson Ghosts und Hellgreaser trotz Begeisterung keine Rufe nach Zugaben
Split-Veröffentlichungen sind in einigen Gebieten der Musik durchaus gängige Ausdrucksmittel, um entweder als Label mehrere Künstler auf einmal zu promoten oder aber – die häufigere Konstellation – um als Künstler seine Verbundenheit mit anderen Künstlern zu untermauern. Letztgenannten Fall haben wir hier vor uns: The Crimson Ghosts und Hellgreaser, alte Freunde, bringen eine Split-EP heraus, auf der jede Band zwei Songs der jeweils anderen covert und sich beide dann für den Titeltrack zusammentun. Das nennt sich dann augenzwinkernd Hellghosts (die Alternative The Crimson Greaser wurde offensichtlich verworfen), und bei besagtem Titeltrack handelt es sich auch um eine Coverversion, allerdings eines des Traditionals „Greensleeves“. Von der Split-EP gibt es 400 Vinylscheiben in drei verschiedenen Farbvarianten, und am letzten Januarwochenende wird der Release livehaftig mit zwei Gigs gefeiert, der erste am Freitagabend in Essen und der zweite, hier betrachtete am Samstag in Leipzig. Hellgreaser eröffnen den Abend, und der Fünfer macht schnell klar, dass er das Einmaleins des Punkrocks problemlos beherrscht, aber auch darüber hinausgeht, indem einzelne Nummern mit Tempowechseln und überraschenden Breaks für das Genre geradezu progressiv daherkommen, etwa „Frozen Heart“ oder „Bloody Mary“, dazu auch „Blood Traces“ mit seinem ungewöhnlichen verschleppten Part und „Julia“ mit seinem angedeuteten locker schwingenden Dreiertakt. Generell fällt auf, dass das Quintett bevorzugt in Midtempolagen arbeitet und nur gelegentlich den Drummer in Speedgefilden arbeiten läßt. In einigen wenigen Songs traut sich der aus Publikumssicht rechte Gitarrist, Anflüge von Leads einzuwerfen, und in der zweiten Sethälfte hört man die sogar ansatzweise, nachdem der Sound anfangs vokaldominiert, aber bei den Saitenspielern leicht zu uniform ausgefallen war – dann nehmen aber die Rückkopplungen zu, der Soundmensch dreht die Leadvocals daraufhin leiser, und das nützt auch der Transparenz der Gitarren. Für die Bewegung auf der Bühne zeigt sich neben dem Sänger vor allem der Bassist verantwortlich, der zugleich neben dem Leadgitarristen auch die Backings beisteuert – sofern das Publikum das nicht gleich selbst übernimmt: Mitsingkompatible „Ohoho“-Motive sind an der Tagesordnung und werden im gut gefüllten Bandhauskeller dankbar mitformuliert. Der Sänger artikuliert sich bisweilen recht hoch, hat aber auch psychotische Elemente drauf, und gegen Ende hin liegen seine Melodien, z.B. in „Slave Of The Night“, bisweilen an anderen Stellen, als man sie anhand des instrumentalen Unterbaus erwarten würde – hier können nur Menschen, die im Gegensatz zum Rezensenten mit dem Studiomaterial vertraut sind, entscheiden, ob das Absicht war, was im positiven Falle einige Passagen gar in Richtung Schrägpunkhelden wie NoMeansNo rücken würde. Die gefeierte Bandhymne „Go Hellgreaser Go“ schließt den aus 13 Songs (Zufall bei einer Horrorpunkband?) bestehenden regulären Set ab, und dann kommt es zu zwei Kuriosa. Erst vergißt das Publikum, dass man, wenn man Zugaben hören möchte, das auch verbal kundtun sollte, so dass alle etwas bedröppelt herumstehen – dann aber wird die Zugabe in englischer Sprache, also mit „One more song!“ eingefordert, obwohl der Bandproberaum durchaus nicht im englischen Sprachgebiet steht. „Wollt ihr was Neues?“ fragt der Sänger, und als das Publikum bejaht, verwandelt sich das Bühnenpersonal in die Hellghosts, indem drei der vier Crimson-Ghosts-Mitglieder zusätzlich oder ersetzend dazustoßen, und man intoniert gemeinsam „Greensleeves“, was vom vokalen Duett her durchaus gut gelingt, auch wenn der Crimson-Ghosts-Vokalist, der das vorher vom Hellgreaser-Bassisten genutzte Backing-Mikro bekommt, damit leben muß, dass dieses leiser eingestellt ist als das Hauptmikro. Setlist Hellgreaser: Bloody Moonlight Dance Back From The Dead Frozen Heart Bloody Mary Blood Traces Fright Guys Mother Of Them All Freddy Is Back Julia Vampire Girl Slave Of The Night Jeany’s Sweet Revenge Go Hellgreaser Go -- Greensleeves (mit The Crimson Ghosts / als Hellghosts) Im Set der Crimson Ghosts erledigt sich dieses Problem für ihn natürlich von selbst, denn dann gehört ihm das Hauptmikro, während die beiden Saitenspieler die Backings übernehmen. Das Intro „Leaving The Tomb“ kommt instrumental daher und macht schon klar, dass die blutroten Geister neben dem klassischen Horrorpunk auch eine gute Portion Metal inhaliert haben, wobei freilich unklar bleibt, ob das immer so ist: Der Rezensent sieht die Formation an diesem Abend zum ersten Mal – und zwar nicht in der Stammbesetzung, sondern mit einem Ersatzdrummer, dem einzigen Langhaarigen in der Besetzung, der auch tatsächlich sonst in deutlich metallischeren Gefilden unterwegs ist. Dessen saftiges und vielseitiges Getrommel trägt einen gewissen Anteil zum metallischen Eindruck bei, und es könnte sein, dass dieser auf Konzerten der Stammbesetzung sonst etwas geringer ausgeprägt ist, was aber wie geschrieben Theorie bleiben muß. Jedenfalls schrauben The Crimson Ghosts auch die Geschwindigkeit deutlich nach oben: „Unleashed“ und „Bloodred“ machen bereits mächtig Tempo, unterbrochen nur durch das midtempolastige „Spit Black!“, das allerdings im weiten Rund schon fleißig mitformuliert wird. „I 812“ bietet dann allerdings wildes Hardcore-Geknüppel, kontrastiert durch einen großen Moshpart, während „Nightbreed“ fast friedlichen poplastigen Punkrock auffährt und „Last Words“ mit Akkordeonsamples und einem Dreiertakt in Richtung Shanty schielt. Das Quartett setzt die Stilgrenzen also relativ weit außen, schafft es aber trotzdem problemlos, jederzeit die Homogenität des Sets sicherzustellen, wozu auch der mit einer markanten und melodiehaltefähigen Stimme ausgestattete Sänger beiträgt, der zugleich den bewegungstechnischen Aktivposten auf der Bühne darstellt, wobei aber auch der Gitarrist und der Bassist immer mal hin und her wandern und ihre Plätze tauschen. „Seid ihr textsicher?“ will der Sänger vom Publikum mitten im YouTube-Hit „Don’t Follow“ wissen – ja, Leipzig ist textsicher, auch im folgenden „Rebirth“, laut Ansage der Crimson-Ghosts-Song mit den meisten Spotify-Abrufen. Ja, auch als Punkrocker darf man sich der vom Establishment bereitgestellten Werkzeuge bedienen – und ideologische Dogmatiker sind die vier offensichtlich nicht. Musikalische auch nicht – das „Necrobabe“ tanzt in beschwingtem Dreiertakt und darf sich zudem über ein episches Solo freuen, in dem der im Intro noch etwas störende Faktor der fehlenden Rhythmusgitarre nicht ins Gewicht fällt. Auch deutschsprachige Songs hat das Quartett im Repertoire, von denen „Leichenschmaus“ und „Dein Nachtmahr“ im Set stehen, letzteres mit wildem Gebrüll von Gastsänger Oli nach hinten heraus fast am Death Metal kratzend. Noch ungewöhnlicher aber fällt „Ego Sum Qui Intus Habitat“ aus – die Stilvielfalt ist ja nun bereits mehrfach erwähnt worden, aber eine fast reinrassige Doom-Nummer, die in fast blackmetalkompatiblem Geprügel mündet, sticht noch einmal markant aus dem Umfeld heraus. Den Gegenpol bietet „Enshrined In Silence“, wie das unmittelbar folgende „The Legend Of Walking Sam“ vom im Mai 2023 zu erwartenden sechsten Studioalbum mit dem Arbeitstitel Forevermore stammend: Der Gitarrist singt hier eine äußerst melodische Zweitstimme, was besonders ersterem Song einen hohen Zugänglichkeitswert verleiht. Ob das Zufall ist oder das ganze neue Material recht poppig (im besten Sinne!) ausgefallen ist, wird man sehen bzw. hören. Der Hyperspeed von „Armagetron“ setzt an diesem Abend jedenfalls einen wirkungsvollen Kontrapunkt, ein Crowdsurfer wird auch gesichtet, bleibt allerdings im niedrigen Bandhauskeller an einem Scheinwerfer hängen. Aber die Stilüberraschungen sind noch nicht zu Ende: „The Body Bag“ gebärdet sich mit Becken auf 1 wie Dancefloor, „Ophelia’s Song“ hat zwar nicht ganz so viel Rock’n’Roll intus wie angesagt, aber dafür treibt „Patient Zero“ das Tempo bis in Blastbeats hoch, und auch die den regulären Set abschließende „Army Of The Cenobites“ ist recht flott unterwegs, obwohl oder auch weil der Sänger vorher bekanntgegeben hatte: „Hier ist noch Luft, ich brauch’ mehr Nebel!“ – ein Wunsch, den ihm der auch die Nebelmaschine bedienende Lichtmann prompt erfüllt. So feierfreudig die Stimmung aber auch ist – nach dem letzten Ton kriegt wieder mal niemand das Wort „Zugabe“ raus, was erst der Bassist per Ansage lösen muß, bevor dann noch das speedige „Somewhere In A Casket“ und die große „Bro Hymn“ erklingen, letztere nur echt mit ausgedehntem Mitsingspiel, wobei so mancher im Publikum auch nach dem unwiderruflichen Setende das markante Thema noch weitersingt. Gute Unterhaltung! Setlist The Crimson Ghosts: Intro: Leaving The Tomb Unleashed Spit Black! Bloodred I 812 Nightbreed Last Words Don’t Follow Rebirth Sons Of The Zodiac Necrobabe Dein Nachtmahr Ego Sum Qui Intus Habitat Leichenschmaus Enshrined In Silence The Legend Of Walking Sam Armagetron The Body Bag Ophelia’s Song Patient Zero Army Of The Cenobites -- Somewhere In A Casket Bro Hymn Roland Ludwig |
|
|
|