Space Chaser
Give Us Life
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Space Chaser hat der Rezensent bei seinem letzten Konzertbesuch des Jahres 2019 erlebt, und zwar im Leipziger Bandhaus – ein rückblickender Check der Setlist zeigt, dass kein neuer Song angetestet worden war, zumindest keiner der zehn, die jetzt ihren Weg auf den Albumdrittling Give Us Life gefunden haben, der die erste Berührung des Rezensenten mit konserviertem Material des Quintetts auf Full-Length-Distanz, also außerhalb einzelner Samplerbeiträge, darstellt.
Dabei stellt sich schnell heraus, dass sich einerseits der stilistische Liveeindruck auf Konserve bestätigt und dass sich andererseits demzufolge allenfalls nuancierte Änderungen im Gesamtsound ergeben haben. Und das ist in diesem Falle auch gut so! Space Chaser klingen nach wie vor so, als stünde ihr Proberaum nicht in Berlin, sondern an der amerikanischen Westküste, während Sänger Siegfried Rudzynski regelmäßig von der Ostküste einfliegt – sein Gesang erinnert auch auf CD etwas an Overkill-Blitz, ohne diesen freilich kopieren zu wollen. Hier und da packt er auch mal eine ganz originelle Version des Reibeisens aus, etwa im Finale von „Juggernaut“, wo man ihn kurz vor dem Erstickungstod wähnt, während ansonsten eine markante halbhohe Shouting-Variante vorherrscht, die nicht wirklich melodisch ausfällt, aber zumindest deutlich näher am klassischen Verständnis einer Melodie liegt als die Lautäußerungen vieler Sangeskollegen des Genres. Auch instrumental wie kompositorisch ziehen die Berliner ihren Stiefel kompromißlos durch. Klar, im traditionellen Thrash noch was komplett Eigenständiges machen zu wollen ist enorm schwierig, aber das dürfte auch nicht das Ziel von Space Chaser sein. Statt dessen nehmen sie die klassischen Stilmittel, ordnen sie neu, schütteln einige Male kräftig und servieren dann ein durchaus wohlschmeckendes Gebräu. Dabei fällt eine klare Arbeitsteilung auf: Während Rudzynski für die Lyrics sorgt, steuern Gitarrist Leo Schlecht und – Überraschung – Drummer Matthias Scheuerer die instrumentalen Ideen bei. Lediglich „Cryoshock“ nennt noch Gitarrist Martin Hochsattel als weiteren Songwriter, aber das Ergebnis fällt durchaus nicht aus dem gewohnten Rahmen: etliche Tempowechsel, kein Hyperspeed, kein Groove-Geschiebe, dafür viel Spielfreude und ein klassisches Soloduell. Natürlich sind Space Chaser Traditionalisten durch und durch, was freilich nicht bedeutet, dass sie sklavisch alle Stilelemente, die nach Heathens Breaking The Silence zu datieren wären, verbannen – aber solche Elemente dienen dann eben nur zur gelegentlichen Ausschmückung des Materials, etwa das kurze Gitarrenquietschen gleich im Opener „Remnants Of Technology“, das winzige tänzerische Break mitten in „The Immortals“ oder die flott durchgeriffte Melodie in „A.O.A.“, die man auch im schwedischen Melodic Death verorten könnte, wobei hier freilich die Geschichte von der Henne und dem Ei anders herum zu erzählen wäre, hatten sich die „Erfinder“ dieses Stils doch ihrerseits fleißig im klassischen Metal, den diese Passage genaugenommen atmet, bedient. Was es von den Berlinern freilich mit Ausnahme eines Samples in „Dark Descent“ nicht zu hören gibt, sind irgendwelche spacigen und/oder futuristischen Elemente, trotz der sich um derartige Fragen drehenden Textwelten – das schleppende und rhythmisch komplexe längere Outro von „The Immortals“ bildet in diesem Kontext schon das Höchste der Gefühle. Klarkommen muß der Hörer auch mit eher kompakten Arrangements – epische Zehnminüter wie streckenweise bei Heathen finden sich auf „Give Us Life“ nicht, das Gros der Nummern lagert irgendwo um die Viermunutenmarke, die „Army Of Awesomeness“ aka „A.O.A.“ gewinnt ihr Gefecht sogar in weniger als drei Minuten, und nur der Albumcloser „Dark Descent“ gönnt sich mit sechs Minuten etwas mehr epische Breite. Trotzdem wirken auch die kürzeren Nummern nicht selten länger, als sie in Wirklichkeit sind – für diesen Eindruck sorgt die erwähnte Tempowechseldichte und Passagenvielfalt, ohne dass man freilich Space Chaser mit dem althergebrachten Techno-Thrash-Label behängen dürfte oder müßte. Mancher beinharter Old-Schooler wird sich trotzdem hier und da etwas überfordert fühlen – aber für diesen packen die Berliner den Titeltrack aus, mit dem sie einer ganz traditionellen Herangehensweise frönen: Sie haben eine (in Zahlen: 1) Songwritingidee und machen daraus auch einen (in Zahlen: 1) Song, deuten aber auch hier mit dem ersten kurzen Speedausbruch an, dass da noch was anderes kommen könnte, was sich mit dem zweiten Speedausbruch dann zu bewahrheiten scheint, der aber schnell wieder zum Grundthema zurückgeführt wird.
Wenn man der Band etwas vorwerfen kann, dann vielleicht, dass die Ausarbeitung der Refrains oder anderer merkfähiger Passagen noch etwas intensiver hätte erfolgen können. „Antidote To Order“ beweist, dass sie das durchaus können (und weist im Refrain nochmal kurz gen Schweden – und der Rezensent überlegt immer noch, an wen ihn das markante Leadbreak in der „Brother against brother“-Passage erinnert), und auch die Gangshouts in „Juggernaut“ eröffnen Möglichkeiten der livehaftigen Partizipation des Publikums, das man nach entsprechender Vorbereitung auch die zu Beginn von „Antidote To Order“ geshouteten zwei Zeilen mitformulieren lassen könnte. „Dark Descent“ täuscht zu Beginn eine doomigere Nummer an und erinnert mit dem Baßsound von Sebastian Kerlikowski phasenweise tatsächlich auch instrumental ein wenig an Overkill, aber die seltsam flirrenden Leadgitarren und die gelegentlichen Blastbeats (der einzige Song auf Give Us Life, der solche aufbietet) weisen in eine andere Richtung und das lange epische instrumentale Outro ab Minute 4 ebenfalls.
So gelingt Space Chaser unterm Strich eine gute Thrash-Scheibe, ideenreich und spielfreudig, mit der man als Genrefreund grundsätzlich nichts falsch macht, wenngleich die ganz großen Highlights ausbleiben. Dafür kann man die knapp 40 Minuten als „geschlossene Mannschaftsleistung“ loben, und außerdem sind die Berliner ja wie erwähnt auch eine starke Liveband und haben jetzt noch zehn weitere Kandidaten zur Erweiterung ihrer Setlist – das Material dürfte komplett auch als Bühnenfassung prima funktionieren. Wer timingsicher mitbangen will, braucht Give Us Life also als Übungseinheit, aber auch unabhängig von solchen Überlegungen ist der Digipack eine lohnende Investition für den Genrefreund. Wie schon bei Hallows Eves Tales Of Terror-Re-Release haben Metal Blade auch hier eine Art Recyclingpapier für den Digipack und das Booklet verwendet, was dem futuristischen Konzept scheinbar eher entgegensteht, aber bei genauerer Überlegung durchaus auch mit diesem konform gehen kann.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Remnants Of Technology | 3:50 |
2 | Juggernaut | 3:52 |
3 | Cryoshock | 4:31 |
4 | A.O.A. | 2:49 |
5 | The Immortals | 3:43 |
6 | Signals | 3:21 |
7 | Burn Them All | 4:01 |
8 | Give Us Life | 4:14 |
9 | Antidote To Order | 3:10 |
10 | Dark Descent | 6:02 |
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Besetzung |
Siegfried Rudzynski (Voc)
Martin Hochsattel (Git)
Leo Schlecht (Git)
Sebastian Kerlikowski (B)
Matthias Scheuerer (Dr)
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