Britische Inspirationen: Das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera spielt Werke von Ethel Smyth und Felix Mendelssohn Bartholdy
Ethel Smyths Oper „The Wreckers“ hatte schon anno 2022 Musik für zwei Sinfoniekonzerte „geliefert“: Sowohl das MDR-Sinfonieorchester im Mai als auch das Gewandhausorchester im Dezember spielten jeweils die Ouvertüre als erstes Stück eines dann aber mit Werken anderer Komponisten bestückten Konzertprogramms. Im 5. Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera stellt sich die Lage etwas anders dar, und zwar gleich im doppelten Sinne. Der eine Unterschied betrifft die Wahl der Ouvertüre – an diesem Abend gibt es „An den Klippen von Cornwall“, das Vorspiel zum 2. Akt der Oper (abgebildet ist das Titelblatt einer englischen Ausgabe, die erst nach der französischen Erstfassung und der deutschen Uraufführungsfassung entstand). Auch hier beweist die englische Komponistin, dass sie ihren Wagner studiert hat, aber durchaus etwas Eigenständiges daraus machen kann. Aus klassischem Wellenwogen entwickelt sich ein Nocturne mit wagnerverwandter, aber eben nicht wagneridentischer Tonsprache, wobei im Oboen-Gedanken viel Lieblichkeit liegt, aber die große Dramatisierung hin zum Tutti nicht lange auf sich warten läßt, von Ruben Gazarian sehr bewegungsinduziert dirigiert. Der Mix aus Drama und Nocturne bleibt auch weiterhin erhalten, letzteres dann noch mit Glocken, bis sich ein friedliches Ende breitmacht. Das kopfzahlmäßig sehr überschaubare Publikum applaudiert eher verwirrt. Der andere Unterschied ist noch markanter: Es folgt ein weiteres Werk von Ethel Smyth – das Konzert für Violine, Horn und Orchester, ein Spätwerk der schon fast ertaubten Komponistin, das 1927 völlig anachronistisch anmuten mußte, was es per se freilich nicht schlechter macht. Das Seltsame ist, dass sich abermals Anklänge an die Stile verschiedener anderer Komponisten finden, ohne dass man Smyth deshalb aber als Kopistin brandmarken müßte. Schon die Orchestereinleitung des ersten Satzes Allegro moderato fällt mendelssohnkompatibel aus. Von den beiden Soloinstrumenten füllt Ioana Cristina Goicea mit ihrer Violine eher die Führungsrolle aus – sie setzt als erste ein und dominiert auch den Gesamtklang im ersten Satz, wenngleich auch Hornist Tillmann Höfs bisweilen in Call-and-Response-Strukturen der Stichwortgeber ist und zudem das subjektive Moment hinzutritt, dass er vom Rezensenten aus gesehen weiter links steht und außerdem der Trichter nach links zeigt, also nochmal vom Rezensenten weg, so dass sich dessen Ohr erst daran gewöhnen muß, aus welcher Richtung es auf welche Klänge achten muß, wobei hinter den beiden Solisten sogar die ersten Violinen etwas verschwinden. Die Arbeit der beiden Solisten miteinander, aber auch die mit dem Dirigenten ist sichtbar intensiv und bringt auch ein sehr hörenswertes Ergebnis hervor. Die Tonsprache bleibt über weite Strecken frühromantisch, nur gelegentlich mit jüngeren Anklängen spielend und mit ein paar „modernen“ Grooves für Verwirrung sorgend, und der recht kleinteilig strukturierte Satz endet schließlich friedlich. Im zweiten Satz, „Elegy (in memoriam): Adagio“ überschrieben, übernimmt Höfs deutlich mehr hervorgehobene Rollen, was er mit durchgängig edlem Ton auch rechtfertigt. Gazarian nimmt den Satz nicht zu schleppend, kann aber trotzdem nicht verhindern, dass einzelne kurze Einwürfe von Hyperaktivität den Hörer stutzig dreinblicken lassen, während die klangliche Umgebung sonst zurückhaltend und stimmungsvoll gestaltet ist. Der große Bogen, den der Dirigent zu schlagen versucht, paßt aber, ebenso wie das breite und zarte, aber wohl absichtlich nicht fragil anmutende Ende. Das Allegro-Finale überrascht abermals: Smyth überspringt mal eben 100 Jahre und wählt eine deutlich schroffere Tonsprache. Skurrile Marschpassagen erinnern an Schostakowitsch, temposeitig gibt es nur wenige Verharrungen, aber Reste von Lieblichkeit bleiben immer noch erhalten. Die Kadenz ist in diesem Satz zu finden und besticht mit witzigen Dialogen, aber der sehr düstere Ausgang, der Höfs fast an die Untergrenze des Tonvorrats seines Instruments führt, ist so konstruiert, dass es mehrerer Ausbruchsversuche aus den düsteren Welten bedarf, bis einer gelingt und sich – o Wunder – noch einmal eine neue Tonsprachenwelt auftut, diesmal eher gemäßigt modern, woraus sich dann ein großes Finale speist. Beide Solisten dürfen nochmal groß aufspielen, und sofortige Bravorufe und viel Applaus belohnen die Musiker. „Sehr schönes Konzert“ verlautet aus der Reihe hinter dem Rezensenten, eine Entdeckung sicher für das Gros der Besucher. Zu einer Zugabe hinreißen lassen sich die Violinistin und der Hornist aber nicht. Die zweite Konzerthälfte gehört einem anderen Werk, das seine Inspiration der britischen Küste verdankt: der Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 MWV N 18, also der sogenannten Schottischen Sinfonie, von Felix Mendelssohn Bartholdy, der nichtsdestotrotz nach der Primärinspiration durch Holyrood Palace in Edinburgh anno 1829 noch viele Jahre brauchte, bis das Werk letztlich fertig war, was analog übrigens auch auf Smyths „The Wreckers“ zutrifft. Mendelssohns Sinfonien sind im Gegensatz zu Smyths Schaffen jedoch Allgemeingut in Orchesterkonzertprogrammen (von gewissen politischen Zeiten mal abgesehen), aber unter den sehr direkten Soundbedingungen des Altenburger Theaterzelts ist man dann doch sehr gespannt, wie die Ausführung gestaltet wird. Das den ersten Satz einleitende Andante con moto bietet da schon einen Fingerzeig: Gazarian nimmt eine sehr behutsame Schichtung vor und läßt relativ zurückhaltend musizieren, dabei aber durchaus nicht schleppend. Die Dramatisierung offeriert durchaus noch Platz für mehr – und mehr kommt dann auch im Allegro-un-poco-agitato-Hauptteil des Satzes, aber noch nicht gleich: Gazarian inszeniert den Übergang quasi wie eine beiläufige und selbstverständliche Nebensache, zieht dann aber mit der weiteren Dramatisierung auch das Tempo an und entwickelt selbst in den Verharrungen immer noch markanten Zug zum Tor. In die Tutti legt er schon ziemlich viel Energie, zaubert einen gelungenen Mix aus Druck und Entspannung hin und gönnt sich viel wertvolle Detailarbeit bei der Gestaltung der naturalistischen Effekte. Die ist auch im zweiten Satz, einem Vivace non troppo, von Nutzen, wenn da immer mal folkloristische Elemente um die Ecke gebogen kommen und in beträchtlichem Tempo dargeboten werden wollen. Zwar stößt die Gestaltung hier und da an Grenzen, etwa wenn die Hörner gerade in ihrer thematischen Arbeit ein wenig untergebuttert werden, aber das Gesamtbild stimmt doch eher positiv. Der Dirigent tänzelt auf seinem Pult und fordert klangliche Größe, die ihm die Musiker dann auch liefern – der Kontrast zum eleganten, planmäßig eher unprätentiösen Schluß paßt auch. Die Eleganz nimmt Gazarian auch ins Adagio mit, das er recht zurückhaltend angeht und einen großen Bogen ansetzt. Der Satz wandelt sich aber bald – und für das, was dann entsteht, ist wohl tatsächlich der Sound im Zelt mitverantwortlich: Der Trauermarsch gerät äußerst streng und weist in dieser Form sogar den Weg zum frühen Bruckner. Der Rezensent sitzt in der dritten Reihe genau gegenüber den äußerst finster sägenden Celli, was den Effekt sicher noch verstärkt. Auch die weitere Entwicklung paßt dazu, und dass der letzte große Trauerausbruch von ganz hinten aus den Bläsern kommt, gewinnt durch die räumliche Situation hier auch noch an Wirkung. Der Bogen nähert sich gegen Ende wieder der Erde, und es macht sich eine in die Breite gezogene friedliche Stimmung bemerkbar. Die schafft es indes nicht ins Allegro vivacissimo hinüber – dort herrscht der Kampf, und obwohl das Hauptthema etwas zu ungeordnet daherkommt, passen die Kontrastaufeinanderprallungen genau, wenn sich eine liebliche Oboe mit wildem Streichergesäge duelliert. Gazarian hält das Tempo übersichtlich, betont aber die hier und da aufscheinenden galoppierenden Grooves und meistert auch den Energietransport tadellos. Kuriosum am Rande: Hinter der großen zurückgenommenen Passage liegt ein dramatisches tiefes Rauschen, das die Stimmung prima unterstreicht – es kommt allerdings nicht etwa von den Instrumentalisten, sondern aus der Klimaanlage des Zelts. Aber auch ohne solche technische „Hilfe“ überzeugt Gazarian mit seiner Gestaltung des finalen Allegro-maestoso-assai-Parts: Er baut ganz von unten (und räumlich von hinten) her auf, und die Balance zwischen Schärfe und Feierlichkeit mutet genau richtig an. Das sieht auch das Publikum so – es gibt sofortige Bravorufe und sehr viel Applaus. Roland Ludwig |
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