Der Ku’Damm 56 kam überladen nur langsam in Fahrt
Seit anderthalb Jahren läuft im Theater des Westens recht erfolgreich das Musical Ku’Damm 56. Über seine Wurzeln in einem ZDF-Dreiteiler hat sich Norbert bereits in seiner Review zu der CD mit der Musik des Musicals ausgelassen. Nun hat er sich – exakt 25 Jahre nach seinem 35sten Geburtstag – aufgemacht, den Abend in deutlichem Kontrast zu einem recht langen Arbeitstag ausklingen zu lassen, um Euch davon in Kenntnis zu setzen, ob sich ein Besuch in Berlin lohnt. Damit nicht das blöde „Aber“ am Ende einer doch recht positiven Kritik steht, haken wir die Negativa doch gleich zu Anfang ab. Die Atmosphäre, die von dem stilvollen Ambiente des Theaters ausgehen könnte, wurde vom Verhalten des Publikums deutlich konterkariert. Ich erwähne das, weil der Veranstalter nicht ganz unschuldig daran ist. Man hatte teilweise das Gefühl in einer Jugendherberge oder einer Uni-Mensa zu sitzen. Vor und unter den Sitzen drängten sich Rucksäcke und Taschen. Über vielen Stuhllehnen hingen Mäntel und Jacken, obwohl mit entsprechenden Aushängen darauf hingewiesen wurde, dass Garderobe, Rucksäcke und größere Taschen abzugeben seien. Einige Besucher hatten sich entschlossen, ihre Garderobe am Rand der Gänge zu lagern. So etwas habe ich in diesem Umfang in Theatern (mit Ausnahme vielleicht des GRIPS-Theaters) bisher noch nicht erlebt. Der Grund ist schnell gefunden. Während es in anderen Häusern (z.B. der Komischen Oper, der Staatsoper unter den Linden, den Wühlmäusen, …) kein Problem ist an der Garderobe zwei Jacken auf einen Bügel hängen zu lassen und den Rucksack darunter zu stellen, ruft das Theater des Westens für jedes Kleidungsstück und jede Tasche den Rekordbetrag von 2,50 € auf. Wer zu zweit in das Musical geht, ist dann locker schon mal zehn Taler los. Und die Preise für Snacks und Getränke ätzen auch ordentliche Löcher in die Kasse. Wir befinden uns hier sehr deutlich im Show-Business.
Malus Nummer zwei bezieht sich nun wirklich auf die Show und gründet darin, dass man in zweierlei Hinsicht zu viel will. Die TV-Trilogie, die dem Musical zu Grunde liegt, hatte viereinhalb Stunden Zeit die Situation der Bundesrepublik in den 50er Jahren zu beschreiben. Dabei wurde eine Vielzahl von Themen angesprochen: die Wiederbewaffnung, die Verdrängung der braunen Vergangenheit, die Kriminalisierung von Schwulen, die Frauenfrage, die Sexualfeindlichkeit, der Anti-Kommunismus, etc. Und die Themen wurden gut angesprochen, auch dadurch, dass die Protagonisten Zeit hatten sich zu entwickeln und zu verändern und in längeren Dialogen ihre Einstellungen klarzumachen. Das Musical hat nicht einmal die Hälfte dieser Zeit zur Verfügung und muss die Musikstücke, die im Film oft nur kurz angerissen werden, voll ausspielen. Für differenzierte Inhalte bleibt dabei zu wenig Zeit. Das Musical versucht dennoch fast alle Themen der Filme aufzunehmen. Das führt dazu, dass die Dialoge des Films oft auf Schlagzeilen reduziert werden, die von den Protagonisten während der Musikstücke kurz in den Raum geworfen werden. Wer den ZDF-Dreiteiler nicht gesehen und halbwegs gut in Erinnerung hat, dürfte sich in der Handlung nur bedingt zurechtfinden. Allerdings ist das Musical hier in guter Gesellschaft. Auch bei den meisten Opern sollte man sich vorab über die Handlung informieren, wenn man sie mitverfolgen will. Aber man kann sich in beiden Fällen ja auch auf die Musik konzentrieren.
Und an dieser Stelle kommen wir zu dem zweiten Aspekt, an dem das Musical Ku’Damm 56 zu viel will. Es will sowohl Theater als auch Konzert sein. Das kann funktionieren. Das Muscial The Band hat es drei Jahr zuvor am gleichen Ort bewiesen. Aber hier war die Musik (von Take That) das Thema. Das entlastet. Am Ku’Damm 56 hätte man durchgehend Künstler gebraucht, die zugleich Top-Sänger, wie Top-Schauspieler sind. Und bei allem Positiven, was man über die Akteure sagen kann – das sind sie nicht. Von daher kamen oft die Akteure am besten rüber, die wenig singen und nur spielen mussten, während die Hauptcharaktere beim Mimen gelegentlich wie Laiendarsteller wirkten. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn die Inszenierung die politische Zeitgeschichte weitgehend außen vor gelassen und sich auf den kulturellen Umbruch der 50er Jahre konzentriert hätte. Der Rock'n'Roll war doch schon für sich ein frischer Wind, der die spießige Prüderie der 50er Jahre mächtig aufgemischt hat. Damit passte er zu den gesellschaftlichen Aufbrüchen, die diese Jahre parallel dazu geprägt haben. In den Momenten, in denen der Rock’n’Roll das „Mumienschubsen“, wie Hauptdarsteller Freddy das konservative Tanzprogramm der Tanzschule Schöller bezeichnet, durcheinanderwirbelt, können sich die Akteure immer wieder in einen regelrechten Rausch spielen. Das sind die Momente, in denen Ku’Damm 56 gewinnt. Leider kommt der Rock'n'Roll letztlich zu kurz. Der Tanzwettbewerb, den Monika Schöller im Film gemeinsam mit Freddy gewinnt, wäre eine Steilvorlage für eine rauschendes Finale vor der Pause gewesen. Im Musical wird er kaum erwähnt.
Alle Anfragen an die Inszenierung ändern aber nichts daran, dass man (und frau) an diesem Abend seinen / ihren Spaß haben konnte. Angesichts der erwähnten Überladungen dauerte es allerdings etwas bis sich die Sänger und Tänzerinnen (Das muss so für Gender-Fans reichen.) warm gespielt hatten. Aber spätestens in der zweiten Hälfte war es soweit, dass auch die dramaturgischen Brüche, die durch die inhaltlichen Einschübe entstanden, vom zum Teil furios aufspielenden Ensemble aufgefangen wurden. Einem Großteil des Publikums war das sowieso egal. Es ging recht bald lebendig mit. Es schienen auch echte Hardcore-Fans (insbesondere weibliche) vor Ort zu sein, die selbst Stücke, die nicht auf der CD enthalten sind, von vorne bis hinten mitsingen konnten. Hat Spaß gemacht. Aber während ich nach The Band, obwohl die Musik von Take That nicht unbedingt die meine ist, durchaus Lust auf einen zweiten Besuch gehabt hätte, würde ich bei Ku’Damm 56 eher zu den DVDs greifen. Norbert von Fransecky |
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