Schubert, F. (Padmore, M. - Bezuidenhout, K.)

Winterreise


Info
Musikrichtung: Romantik Lied

VÖ: 19.01.2018

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2017 / Best. Nr. HMM 902264)

Gesamtspielzeit: 69:16



JENSEITIG

Irritierend jenseitig beginnt diese Winterreise - das liegt wohl nicht zuletzt auch am Klangbild. Die Akustik der Doopsgezinde Kerk in Harlem ist hallig und die Positionierung von Sänger (Tenor Mark Padmore) und Pianist (am Graf-Hammerklavier: Kristian Bezuidenhout) eigentümlich: Der Sänger scheint ein Stück hinter dem recht präsenten Fortepiano platziert worden zu sein. Padmores Stimme kommt aus der Tiefe des Raums, während das historische Instrument gleichsam im Vordergrund klingt. Ob dieser Effekt nun den realen Gegebenheiten geschuldet ist oder das Ergebnis der späteren Abmischung: Franz Schuberts berühmtester Liederzyklus klingt hier nicht kammermusikalisch intim, sondern wie auf einer großen Bühne inzeniert sowie klangatmosphärisch im wahrsten Sinne unheimlich aufgeladen.
Dabei, und auch das irritiert zunächst, legen Padmore und Bezuidenhout gerade das erste Stück so entrückt und statisch, fast schon neutral an, dass das lyrische Ich bereits am Ende seiner Reise angekommen scheint, bevor es überhaupt aufgebrochen ist. Das Ende ist im Anfang schon vorweggenommen.

Dies vorweg gesagt, kann man in Padmores zweiter Deutung wieder einmal mit einem gewissen Staunen erleben, welche Interpretationsspielräume die 24 Lieder offenbar immer noch eröffnen - zumindest, wenn man mit dem dann doch nach und nach entfesselten Ausdruckswillen von Padmore und seinem nicht minder fantasievollen Begleiter an die Stücke herangeht. Denn die Statik des Beginns weicht bald einer zunehmend leidenschaftlichereren Rhetorik, die sich auch in der reinen Spielzeit niederschlägt: mit 69 Minuten benötigen die beiden rund 5 Minuten weniger Zeit als bei Padmores erster Einspielungvor 10 Jahren (am modernen Flügel damals: Paul Lewis) beim gleichen Label, wobei sich das schnellere Tempo auf sämtliche Lieder verteilt.
Padmore und Bezuidenhout inszenieren Schuberts dunklen Abgesang auf die Liebe und das Leben als mitunter schauerromantische Nachtfahrt, in der die idyllischen Momente kaum mehr als gefrorene Erinnerungen an die schönen Zeiten sind. Padmores Stimme ist zehn Jahre nach seiner ersten Winterreise immer noch von jugendlich-lyrischer Beweglichkeit und Frische; das Jünglingshafte passt sehr gut zu Schuberts Musik, hat in der Ausdeutung mancher Phrasen allerdings jetzt auch einen deutlich morbiden Beiklang. Dräuende, fahle, wispernde, ersterbende Töne wechseln mit schmerzvoller Erregtheit ab, in dem der Sturm und Drank einer vergangenen Epoche nachklingt. In dieser Zuspitzung von vokalem Ausdruck und Klangfarben geht Padmore über seiner erste Deutung hinaus. Dass seine Muttersprache das Englische ist, hört man dabei durchaus heraus.
Bezuidenhouts Begleitung auf dem historischen Instrument ist nicht weniger pointiert und ausdruckssatt; er nutzt die vielen Nuancierungsmöglichkeiten seines originalen Graf-Instruments, um den die Textvorlage von Wilhelm Müller plastisch auszugestalten. Da fällt das farbige Herbstlaub im Sonnenlicht zu Boden, da bellen die Hunde und rasseln mit ihren Ketten, da verschwimmen die Konturen der Welt in den vielfältig abgedämpften, rauchigen Tönen, zu denen ein Hammerklavier fähig ist. Und da erstirbt am Ende alle Musik, alle Liebe und Hoffnung im dissonierend-brüchigen Leierkasten-Klang des letzten Liedes, in dem dann die Grenze zum Jenseits wirklich überschritten scheint ...



Georg Henkel



Besetzung

Mark Padmore: Tenor
Kristian Bezuidenhout: Graf-Fortepiano



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