Marais, M. (La Rêveuse)

Pièces de Viole


Info
Musikrichtung: Barock Kammermusik Gambe

VÖ: 19.01.2018

(Mirare / Harmonia Mundi / CD / AD 2016 / DDD / Best. Nr. Mir 386)

Gesamtspielzeit: 64:00



GAMBENTRÄUME

La Rêveuse, "die Träumerin", heißt eines der berühmtesten Stücke von Marin Marais, dem Hofgambisten von Ludwig XIV. Es hat auch einem französischen Ensemble um die Gambistin Florence Bolton seinen Namen gegeben. Seinem Patron Marin Marais ist die jüngste Platte von La Rêveuse gewidmet, die unter dem schlichten Titel Pièces de Viole Kostbarkeiten aus dem 4. und 5. Gamben-Buch des Komponisten zu einem erlesenen Programm vereinigt.
Marais letzte Beiträge zu seinem Genre, der Musik für Bassgambe, sind überwiegend Charakterstücke: Porträts von Persönlichkeiten, kleine Genreskizzen von Szenen oder auch Landschaften. Dabei zeichnet sich Marais Spätwerk wie die finalen Cembalobücher seines Landmanns François Couperin durch eine zunehmde Reduktion der Mittel, durch eine gebrochene, pastellene Farbigkeit und Transparenz aus. Dazu kommt ein untrügliches Gespür für die Erzeugung einer melancholischen und lyrischen Atmosphäre in den langsamen Stücken und ein raffiniertes Spiel mit archaischen Wendungen in den virtuosen und schnelleren (bei denen oft Impressionen von Tambourins, Drehleiern, Musetten und ähnlichen "Volksinstrumenten" Pate gestanden haben).
All diese Qualitäten werden auf der neuen Aufnahme von La Rêveuse in besonderer Weise erfahrbar und machen sie zu einem kleinen Juwel.

Was gleich mit dem ersten Tönen der eröffnenden Prélude auffällt, ist ein ungemein entspannter, ja nonchalanter Zugriff. Bei italienischer Musik aus dem 17. Jahrhundert würde man von "sprezzatura" sprechen, einer gewissen natürlichen Lässigkeit, die zu keinem Moment Anstrengung und Mühe erkennen und die Musik sich frei von jeder manirieren Künstlichkeit entfalten lässt. Wie improvisiert kann das wirken: Der Beginn ist tastend, das volle Klangspektrum entfaltet sich erst nacht und nach. Die Musik scheint aus dem Augenblick geboren als tief vertrautes, um nicht zu sagen: vertrauliches Spiel der 1. Gambe und ihrer gleichberechtigten Mitwirkenden, der 2. Gambe sowie dem Cembalo und/oder der Theorbe.

Florence Bolton pflegt nicht einen dunkel-glosenden Ton wie z. B. Hille-Perl; sie kultiviert mit ihrem Ensemble einen schlankeren, trockeneren, "rhetorischen" Klang, der das hochbarocke Ideal sprechenden Singens oder singenden Sprechens verwirklicht - und dies frei von jeder Übertreibung. Boltons Gambe "erzählt"; das gilt auch für das Spiel von Robin Pharo auf dem 2. Instrument. Die artikulatorischen Finessen, die sinnige Tonformung beleben und bereichern die oft sehr eingängigen, dabei immer wieder überaschenden Stücke Marais' und vertiefen ihre Poesie. Zwei Solo-Stücke mit Transskriptionen von Cembalo-Stücken Couperins lassen auch die Theorbe von Benjamin Perrot als Soloinstrument zu Wort kommen, was das Programm nicht nur auflockert, sondern Lust auf weitere derartige Bearbeitungen macht, weil der flexible Ton der Theorbe bei den Stücken viele neue Nuancen zu Tage fördert.
Nach rund 60 Minuten endet die Platte mit einer bewegend melancholischen Darbietung von La Rêveuse - letzter Höhepunkt einer durchweg sehr lohnenden Produktion, die auch aufnahmetechnisch bestens betreut wurde. Boltons ausführlicher Booklettext führt kundig ein in die Musikwelt von Marais und seinen Zeitgenossen.



Georg Henkel



Besetzung

Florence Bolton - Robin Pharo: Viola da gamba
Benjamin Perrot: Theorbe und Barockgitarre
Carsten Lohff, Cembalo


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