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Rastafari – Befreiende Theologie des Pop-Jahrhunderts





Babylon, Zion, Exodus – die zentralen Vokabeln der Rastafari-Theologie klingen im jüdisch-christlichen Kontext vertraut. Die Anhänger der Anfang des 20. Jahrhunderts in Jamaika entstandenen Religion fühlen sich als Nachfahren der aus Afrika verschleppten Sklaven. Sie identifizieren sich mit dem Volk Israel, das in der babylonischen Vertreibung auf die Rückkehr zum Zion hoffte.

Babylon; das ist für sie Amerika; das sind die Weißen; das ist die westliche Zivilisation; das ist das politische System Jamaikas. Vom Satan bis zur Umweltverschmutzung wird alles Belastende in der Welt unter dem Symbol Babylon zusammengefasst. Der Zion ist das positive Gegenbild, die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Für die Rastas liegt das gelobte Land in Äthiopien, dem einzigen Staat Afrikas, der nie kolonialisiert wurde. Als Ras Tafari Makonnen dort 1930 zum Kaiser Halie Selassie I gekrönt wurde, ging für Marcus Garvey, einen der Väter des Rastafari-Glaubens, die Verheißung von Psalm 68, 32 in Erfüllung. Äthiopien hat seinen Arm ausgestreckt und mit Selassie hat ein Nachkomme König Salomos den Thron bestiegen. Denn Selassie gilt den Rastas als Nachfahre Salomos und der Königin von Saba. Sein Vorfahre soll gezeugt worden sein, als die Königin Jerusalem vor gut 3000 Jahren besucht hat.

Kaum jemand ist für die Rastafari-Bewegung so wichtig geworden wie Robert Nesta Marley. Als Bob Marley wurde er nicht nur DER Reggae-Musiker schlechthin. In seinen Texten verbreitete der „erste Superstar der Dritten Welt“ den Glauben an Rastafari über die ganze Welt. In seinen Liedern stellt er die Verhältnisse in den Slums von Kingston („Trenchtown Rock“) den vollen Bäuchen der Großgrundbesitzer entgegen („Them Belly full“). Er träumt vom „Exodus“, preist Haile Selassie I als schwarzen Messias und predigt ein afrikanisches Bewusstsein („Africa unite“). Er sieht in Selassie gar den zurückgekommen Christus, den das Neue Testament verheißt.
Volker Barsch hat die Grundgedanken des Rastafari-Glaubens in seinem Buch „Rastafari: Von Babylon nach Afrika“ nachgezeichnet. Großen Raum nimmt dabei die Beschreibung von Symbolen und Ritualen ein. Immer wieder zitiert Barsch aus Texten von Reggae-Musikern und macht so die überragende Bedeutung dieser Musik für die junge Religion deutlich. Nach wenigen Jahrzehnten der Existenz gibt es neben diesen unmittelbaren Äußerungen bislang nur wenig literarischen Niederschlag der Religiosität der Rastafaris. Somit wird die neue Religion auch äußerlich zum Symbol des 20. Jahrhunderts. Popmusik, die wohl charakteristische Kulturform zumindest der Nachkriegszeit wird zum entscheidenden Träger ihrer Überlieferung und Verbreitung.

Barsch bewertet die junge Religion als das Bemühen der farbigen Einwohner Jamaikas ihrer Abwertung im eurozentrischen Denken zu entgehen und eine eigene „afrikanische“ Identität zu finden. Dabei wird schnell deutlich, dass ihr Afrikanismus einen stark konstruierten Charakter hat. Der Weg nach Zion führt nur für wenige Rastas wirklich nach Afrika, wo Haile Selassie ihnen einige Hektar Siedlungsland zur Verfügung gestellt hat. Für die meisten ist „Afrika“ ein neues Jamaika, das nicht länger von „Babylon" geprägt ist. So reiht sich die neue Religion strukturell in die Tradition der lateinamerikanischen Befreiungstheologien ein. Die Vergöttlichung Selassies löst sie jedoch aus dem christlich-ökumenischen Dialog und macht sie zu einem eindeutig postchristlichem Phänomen.
Als Ergänzung zu Barschs Buch lohnt sich die Bob Marley-DVD The Legend live, die neben dem letzten aufgezeichneten Live-Konzert des 1981 verstorbenen Musikers ein 45-minütiges Interview enthält, in dem Marley sich intensiv zu seinem Glauben äußert.

Volker Barsch –
„Rastafari: Von Babylon nach Afrika“

2003 Ventil Verlag ,
ISBN 3-930559-97-8
190 Seiten


Norbert von Fransecky



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