Divlje Jagode
Jukebox
|
|
|
Sonderlich produktiv gewesen sind Divlje Jagode, was neue Studioalben angeht, im neuen Jahrtausend bisher nicht. 2003 erschien Od Neba Do Neba (siehe Review auf www.crossover-netzwerk.de), zehn Jahre später Biodinamicka Ljubav, und nun liegt das 2020 veröffentlichte Jukebox im Player, bei dem der Titel zunächst Assoziationen hervorruft, es könne sich möglicherweise um eine weitere der zahlreichen Best-Of-Scheiben der einst größten Hardrockband Jugoslawiens handeln. Eine solche ist’s dann letztlich doch nicht, wohl aber trotzdem eine Art Zwitterwesen: Von den zwölf Songs entpuppen sich sieben als Neueinspielungen alter Divlje-Jagode-Nummern, dazu kommt eine weitere Quasi-Coverversion, und vier tatsächlich neue Songs bringen das Werk letztlich auf seine Gesamtspielzeit von 49 Minuten. Wüßte man nicht um diesen Umstand, könnte man Jukebox indes auch problemlos als reguläres Studioalbum durchgehen lassen, auf dem dann allerdings insgesamt sechs Vokalisten zu hören sind, darunter mit Zweitgitarrist Livio Berak und Bassist Damjan Milekovic zwei Menschen, die auch zur regulären Bandbesetzung gehören, während es sich bei Toni Jankovic um den Ur-Sänger der Band handelt, der in den späten Siebzigern am Mikrofon stand und später ab 2007 nochmal. Auch Zak Tifaj gehörte früher schon mal zu Divlje Jagode und ist zudem auf Magic Love, dem 1993er Soloalbum von Gitarrist/Bandkopf Zele Lipovaca, zu hören. Schaut man sich das Bandfoto an, dann ist das aktuell um Zele versammelte Ensemble durchgängig noch recht jung – der Gitarrist möchte also offensichtlich nicht zum alten Eisen gerechnet werden, sondern möglichst von jugendlicher Frische profitieren. Das geht freilich nicht mit stilistischen Experimenten einher: Jukebox hätte mit einer Ausnahme als Ganzes problemlos auch schon in den späten Achtzigern und in den USA erscheinen können – ergo müssen alle, die beim Stichwort „Neueinspielung“ erstmal die Alarmglocken schrillen hören, keine umfassenden Avancen in unliebsame Richtungen befürchten. Statt dessen hören wir gediegenen Hardrock, für den die Band auch schon früher bekannt war und der mit teils recht umfangreichem Hammondorgeleinsatz auf seine Wurzeln in den Siebzigern verweist. Dass sich die eine oder andere Neueinspielung natürlich trotzdem vom Original unterscheidet, liegt auf der Hand, denn das Spektrum der sieben Nummern reicht bis ins Jahr 1979 zurück, als „Nemam Nista Protiv“ in Singleform erschien, und auch ansonsten sind die Alben der frühen Achtziger mehrfach vertreten: Stakleni Hotel (1981) stellt „Ulica Na Losem Glasu“, das auf Jukebox gleich hinter dem eröffnenden Titeltrack (der ist neu) plaziert wurde und somit die Richtung klarmacht, in die sich die Neufassungen entwickeln, wenngleich die hier verwendeten ultratiefen Gitarren später nur noch peripher eine Rolle spielen. „Sama Si“ stand original auf dem 1983er Album Carobnjaci, mit „Zavijek Tvoj“ bewegen wir uns dann allerdings schon zum 1988er Werk Konji, und das 1994er Album Labude, Kad Rata Ne Bude stellt sogar gleich drei Nummern, darunter „Sarajevo, Ti I Ja“, das als Bombastballade strukturell besonders auffällt, während am anderen Ende der Dynamikskala ausgerechnet die Neueinspielung des ältesten Tracks zu finden ist – aus „Nemam Nista Protiv“ machen die Beteiligten knackigen Proto-Metal mit Drive und Dramatik im reichen Maße, von denen bei aller grundsätzlichen Klasse der einen oder anderen sonstigen Nummer ein wenig mehr zu wünschen wäre: Jukebox ist zweifellos als gediegen anzusprechen, aber hier und da hätte die jugendliche Frische dann doch noch stärker durchblitzen dürfen. Starke instrumentale Leistungen und ein gutes Niveau nicht unterschreitende Vokalisten tun ein Übriges dazu, wobei letztere Einschätzung mit einer gewissen Vorsicht zu genießen ist, denn da finden wir die Neukomposition „Dug Je Bio Put“ auf der Scheibe, zunächst grooviger Hardrock mit nur latent modernem Touch, dann allerdings mit Stoka einen Rapper auffahrend, während Livio den Rest des Songs singt – und trotz des hier mal leicht modernistischen Ansatzes will der Rappart sich doch nicht so richtig ins Material hineinfinden. Das heißt, Divlje Jagode tun am besten daran, bei ihrem Leisten zu bleiben. „Za Elizu“ bildet hierzu keinen Widerspruch: Klassikbearbeitungen kennt man von der Band schon aus den Achtzigern, als sie Mozarts Türkischen Marsch umsetzten, und dass auf einer 2020er Scheibe diesmal Beethoven drankommen würde, überrascht auch nicht weiter, wobei wir erst ein atmosphärisches Gitarrensolo Zeles hören, bevor sich die gesamte Band einschaltet. Überhaupt fällt auf, dass in der zweiten Albumhälfte sechs strukturell ungewöhnlichere Nummern stehen, während die sechs der ersten Albumhälfte deutlich homogener ausfallen, trotz aller Unterschiede im Detail. „Znamo Da Je Kraj“ als Closer baut geschickt Akustikelemente und auch einige etwas verschleppte Beats ein – es ist eine der Neukompositionen, und wenn man das analysiert, dann sind es eben zwei der Neuen, die sich in „modernistischer“ Hinsicht am weitesten aus dem Fenster lehnen, wohingegen das beim Titeltrack und bei „Virtualni Svijet“ anders gelöst ist – die schwenken stolz die Traditionsflagge. Was uns Divlje Jagode als nächstes reguläres Studioalbum vorsetzen werden, darf der eher traditionell veranlagte Hörer also mit einer gewissen nervösen Spannung, aber auch einer gewissen Vorfreude erwarten, während Jukebox für Nichtbesitzer des Backkataloges der Formation natürlich eine Anschaffung definitiv lohnt – Besitzer des Backkataloges hingegen müssen abwägen, ob sie Neueinspielungen für generell reizvoll halten bzw. die fünf bisher unbekannten Nummern als primärer Kaufgrund ausreichen. Die Scheibe kommt im Digipack mit sechsseitigem ausklappbarem Booklet, das haufenweise Fotos, aber eher wenig Hintergrundinformationen enthält. Immerhin erfährt man dort, dass drei der Neueinspielungen sogar in Schweden bei Andy LaRocque eingezimmert worden sind und dass irgendwelche Aktivitäten zum 40jährigen Bandjubiläum angesetzt worden waren, wo dann die diversen Sänger und auch einige Instrumentalisten wohl als Gäste eingeplant waren (ja, der Rapper auch). Ob bzw. in welchem Rahmen das stattgefunden hat, bleibt diffus und die konkrete zeitliche Anbindung auch, da das erste Album Divlje Jagode bereits 1978 erschienen ist. Möglicherweise sind diese Aktivitäten ja auch tatsächlich 2018 über die Bühne gegangen und bildeten die Initialzündung für das Jukebox-Albumprojekt – das wäre zumindest eine logische Erklärung. Aber egal wie: Zum Kennenlernen von Divlje Jagode – außerhalb der ex-jugoslawischen Gemeinde dürfte sich die Bekanntheit der Band in Deutschland trotz ihres Starstatus in der Heimat in überschaubaren Grenzen halten – ist Jukebox prima geeignet.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Jukebox | 3:19 |
2 | Ulica Na Losem Glasu | 4:35 |
3 | Zbog Tebe Draga | 4:17 |
4 | Sama Si | 4:35 |
5 | Zavijek Tvoj | 4:45 |
6 | Virtualni Svijet | 4:17 |
7 | Sarajevo, Ti I Ja | 4:24 |
8 | Dug Je Bio Put | 3:36 |
9 | Nemam Nista Protiv | 3:19 |
10 | Zvijezda Sjevera | 4:26 |
11 | Za Elizu | 3:00 |
12 | Znamo Da Je Kraj | 4:13 |
|
|
|
|
|
Besetzung |
Livio Berak (Voc, Git)
Zele Lipovaca (Git)
Damjan Deuric (Keys)
Damjan Milekovic (Voc, B)
Emil Kranjcic (Dr)
|
|
|
|