Die australische Rocklegende Jimmy Barnes rockt im württembergischen Winterbach
Jimmy Barnes ist eine Sänger-Legende aus Australien, der sich mittlerweile in Deutschland sehr rar gemacht hat. Seit etlichen Jahren warte ich auf die Chance, den Ausnahme-Sänger live zu sehen. Das Konzert ist ausverkauft, es wurden insgesamt bloß zwei Deutschland-Termine angesetzt. In der Halle tummeln sich etliche Die-Hard-Fans, die Tourshirts aus den 90er Jahren anhaben, vereinzelt sind Australien-Fahnen zu sehen. Als Vorband fungiert der australische Gitarrist Johnny Diesel, der einige Songs im Akustik-Gewand präsentiert. Bei manchen Stücken spielt er eine dezent verstärkte E-Gitarre, mit der er den alten Neil-Young-Gassenhauer „Cinnamon Girl“ in einer bockstarken Version präsentiert. Den Anwesenden gefallen die Stücke sehr gut, vor allem der Gesang ist phänomenal. Man traut dem kleinen Mann auf der Bühne eine solch brachiale Stimme fast nicht zu, womöglich ist gerade diese Tatsache das Überraschungsmoment. Nach etwa 30 Minuten verlässt Diesel die Bühne unter großem Beifall auch schon wieder. Ein sehr kurzweiliger Gig, der Appetit auf den Hauptact gemacht hat. Jimmy Barnes ist mittlerweile mit einer Art „Familienband“ oder der so genannten „schwäbischen Variation“ unterwegs. Den Background-Gesang übernehmen seine drei Töchter, am Schlagzeug sitzt sein Sohn Jackie Barnes, der auch zur aktuellen Rose-Tattoo-Besetzung gehört. Den Bass übernimmt sein Schwager – da könnte man sagen: Es bleibt in der Familie. Ohne viel Tamtam marschieren der 62-jährige Vollblutsänger und seine musikalische Familie auf die Bühne und beginnen mit dem Opener „Love And Hate“. Barnes braucht keine Aufwärmphase, er ist sofort körperlich und stimmlich zu 120 % auf der Bühne. Es ist schier unglaublich, wie viel Dampf dieser Typ in seiner Lunge und in seinen Stimmbändern hat. Er singt sehr voluminös und nutzt während den Stücken die Bühne in ihrer kompletten Breite. Ich habe selten einen Sänger gesehen, der während des Konzerts so viele Kilometer abreißt wie Jimmy Barnes. Seine Bandmitglieder stehen ihm in punkto Einsatz und Leidenschaft keinesfalls nach. Schlagzeuger Jackie Barnes pumpt wie ein Verrückter und verdrischt seine Felle nach allen Regeln der Kunst. Dabei macht er seinem Schwager mächtig Dampf, der diese Vorlagen jedoch sehr gut nutzt und einen satten Bass-Groove an den Tag legt. Die beiden Gitarristen ergänzen sich prächtig, wobei Johnny Diesel hier eindeutig die Pole-Position innehat. Das Publikum hat den Auftritt regelrecht herbeigesehnt. So wird das Ganze zu einem einzigen Triumphzug, jeder Song wird mitgesungen und mitgefeiert. Die Textsicherheit verblüfft mich tatsächlich. Die ausgelassene Partystimmung und die enge Verbindung zwischen Barnes und seinen Fans sind einmalig, der sprichwörtliche Funke ist hier bereits nach dem ersten Song übergesprungen. Barnes ist ganz klar der Chef im Ring, er dirigiert seine Band. Hier stimmt jeder Einsatz, die Truppe wirkt wie eine Art musikalisches Schweizer Uhrwerk. Dabei muss Barnes jedoch nicht immer im Mittelpunkt stehen, auch er gibt das Rampenlicht hin und wieder frei. Bei der CCR-Hymne „Proud Mary“ übernimmt er den Background-Posten seiner Tochter Mahalia. Die stellt sich wie selbstverständlich in die Mitte der Bühne und feuert eine fulminante Tina-Turner-Version dieses Klassikers raus, die alle im Saal mitreißt. Sie versprüht gute Laune und Begeisterung mit jedem Ton, den sie singt und macht dabei ihren Vater, der von seinen beiden weiteren Töchtern flankiert wird, sichtlich stolz. Barnes spielt eine Art Best-Of-Programm, das den Fans mehr als recht sein dürfte. Satte zehn Jahre ist es her, dass der Australier das letzte Mal im Deutschland war. Da ist es nur fair, dass er auch Stücke seiner ersten Band Cold Chisel zum Besten gibt. Deren Ballade „Flame Trees“ lässt mir die Nackenhaare senkrecht stehen, Barnes explodiert hier förmlich. Mit „Seven Days“ hat sich noch ein Bob-Dylan-Stück in die Setlist gemischt, das er auch früher schon immer wieder mal live gespielt hat. Auch auf dem hervorragenden Live-Mitschnitt Barnestorming von 1988 ist dieser Song enthalten. Die beiden Überhymnen „No Second Prize“ und das überragende „Working Class Man“ beenden die reguläre Spielzeit. Die Halle kocht, ohne Zugabe kommt hier keiner mehr raus. Und die Band lässt sich nicht lange bitten. Bereits nach ein paar Minuten sind alle wieder da und spielen mit „Goodbye“ auch thematisch passend das letzte Stück des Abends. Barnes und seine Mitmusiker verneigen sich vor dem Publikum und verlassen begeistert die Bühne. Die Fans in der Lehenbachhalle applaudieren frenetisch, doch auch das hilft nichts mehr – der Gig ist gefühlt viel zu früh nach 100 gespielten Minuten vorbei. Ich bin hin und weg angesichts dieser hervorragenden Leistung, die Barnes und Co. an den Tag gelegt haben. Niemals hätte ich gedacht, dass Barnes so brachial singt und diese Wucht während des kompletten Gigs halten kann. Eines Besseren belehrt verlasse ich völlig zufrieden die Lehenbachhalle. Ob ich mir diesen Künstler noch einmal live anschaue, hängt eher vom Protagonisten selbst ab – bzw. wann und wo er sich wieder mal in unseren Breitengraden sehen lässt. Sollte es in der Nähe sein, bin ich garantiert wieder dabei! Setlist: 1. Love and Hate 2. I'd Die to Be With You Tonight 3. Shutting Down Our Town 4. Love Is Enough 5. I'm Still on Your Side 6. Lay Down Your Guns 7. Criminal Record 8. Ride the Night Away 9. Too Much Ain't Enough Love 10. Little Darling 11. Resurrection Shuffle 12. Merry-Go-Round 13. Proud Mary 14. Flame Trees 15. No Second Prize 16. Seven Days 17. Khe Sanh 18. Working Class Man 19. Goodbye (Astrid Goodbye) Stefan Graßl |
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