Das Night Flight Orchestra landete im Nürnberger Hirsch
Das Night Flight Orchestra besteht aus Musikern, die bereits von anderen Bands bekannt sind. Björn Strid singt normalerweise bei Soilwork, Bassist Sharlee D'Angelo bedient den Tieftöner bei Arch Enemy und den Spiritual Beggars, Schlagzeuger Jonas Källsbäck ist bei der Band Mean Streak beschäftigt. Die stilistisch unterschiedlichen Musiker eint ihre Begeisterung für den AOR der 80er Jahre, was letztlich zu der Entstehung des „Nachtflugorchesters“ geführt hat. Mittlerweile ist mit Sometimes The World Ain’t Enough das vierte Studioalbum am Start, das bei der aktuellen Tour vorgestellt wird. Vielfach wird von einem Hype um diese Band gesprochen. So weit würde ich nicht gehen, vermutlich spielen sie gerade die richtige Musik zur richtigen Zeit. Mich interessiert vor allem, wie das Ganze live rüberkommt. Der Hirsch ist zu Beginn noch recht spärlich gefüllt, die BLACK MIRRORS aus Belgien haben heute den Job des Anheizers. Das Quartett startet mit einer wüsten Mischung aus Psychedelic-Rock, die mit tonnenschweren Riffs und teilweise sehr sperrigen Sounds untermalt sind. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Sängerin Marcella Di Troia, die den Auftritt sehr intensiv durchlebt. Bei manchen Songs hat man das Gefühl, dass sie entrückt zu sein scheint und sich wie bei einem indianischen Tanz in Ekstase gesungen und getanzt hat. Ihre Mitmusiker tun es ihr gleich und scheinen bei manchen Stücken völlig in der Musik zu versinken. Das Ganze sieht recht spektakulär aus, insgesamt setzt der Gig eine Menge Energie frei. Der Auftritt kommt beim Publikum sehr gut an, für mich ist die Musik jedoch zu konfus und musikalisch zu weit von der Hauptband entfernt. Was mir bei THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA bereits vor dem Konzert gut gefällt, ist das Konzept dieser Truppe. Schon die Dame am Merchandising-Stand ist in ein Stewardessen-Kostüm gekleidet, das Artwork der Alben ist in sich sehr stimmig. Komplettiert wird dieser Eindruck, als das Konzert beginnt. Schon optisch sind die Musiker knietief in den 80er-Jahren verwurzelt. Sänger Björn Strid trägt einen pinken Blazer mit Schulterpolstern und als Kopfbedeckung ein Barett – Dave Bickler von Survivor sah ähnlich aus damals! Bassist Sharlee D'Angelo trägt feinen weißen Zwirn und der Rest der Band hat sich auch ordentlich in Schale geworfen. Der optische Hingucker des Abends sind sicherlich die beiden „Airline Annas“ Anna Brygård und Anna-Mia Bonde im Hintergrund, die auf einem Podest stehen und beide in pinke Stewardessen-Uniformen gekleidet sind. Als sie die Bühne betreten winken sie wie die Queen höchstpersönlich ins Publikum und haben dabei ein umwerfendes, durchaus augenzwinkerndes Lächeln auf dem Gesicht. Ihre Aufgabe beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Optik, die zwei bringen einen hervorragenden Background-Gesang. Es ist ein Konzert der etwas anderen Art. Viele Fans kennen die Stücke in- und auswendig und sorgen schon allein durch die mitgesungenen Passagen für Gänsehautatmosphäre. Sänger Björn Strid lässt es sich nicht nehmen, die Fans immer wieder nach vorne zu peitschen, wozu er sich allerdings nicht besonders anstrengen muss. Im Gegenteil! Die Musik spricht für sich und durch den hohen Disco- und Tanzanteil vor allem der neuen Stücke dauert es nicht lange, bis der Hirsch förmlich in Tanzlaune ausbricht. Soundtechnisch ist es zu Beginn etwas undifferenziert, vor allem hört man Strids Gesang für meinen Geschmack zu wenig. Mich erinnert er stark an den früheren Uriah-Heep-Sänger John Lawton, der auch ordentlich Schmackes in den Stimmbändern hat. Musikalisch passt hier alles. Die Schweden sind perfekt aufeinander abgestimmt und spielen sich förmlich in einen Rausch. Interessant ist der Mix, der hier geboten wird. Klar hört man immer wieder Anleihen von anderen Bands heraus. Ich denke, dass die Songs durchaus genug Originalität besitzen und sich halt doch nach dem Night Flight Orchestra anhören. Nebenbei sind Stücke wie „Josephine“ oder das hervorragende „This Time“ wunderbare melodische Schmankerl, die man so in dieser Form von Bands wie Survivor, Toto, Journey oder Reo Speedwagon schon seit Jahren nicht mehr präsentiert bekommt. Und sind wir doch mal ehrlich: Wer will schon das Rad komplett neu erfinden? Für den nötigen Punch sorgen Bassist Sharlee D'Angelo und Schlagzeuger Jonas Källsbäck, die beide viel zu tun haben und sich ihr Feierabendbierchen definitiv schmecken lassen können. Für die Farbtupfer im Hintergrund und hin und wieder auch ordentliche Hammond-Brummer sorgt Richard Larsson, der in bester Old-School-Tradition sein Instrument röhren lässt. Gitarrentechnisch ergänzen sich David Andersson und Sebastian Forslund hervorragend. Forslund übernimmt bei manchen Stücken sogar noch Percussion-Elemente, die den Sound zusätzlich um einiges variabler gestalten. Zum Schluss schaffen es die sympathischen Schweden sogar noch, eine Polonaise im Hirsch anzuleiern. Angeführt wird die Aktion von einem beinharten Kuttenträger. Dieser wird von Sänger Strid dazu aufgefordert – als Strafe, weil er konsequent nicht das Tanzbein schwingt. So was habe ich in all den Jahren, seit ich auf Konzerte gehe noch nicht erlebt. Die Stimmung ist ausgelassen und richtig relaxt, der Auftritt macht Spaß und versetzt das Publikum in Verzückung. Nach 100 Minuten geht das „Orchester“ unter großem Beifall des tollen Nürnberger Publikums von der Bühne. Wegen mir hätten sie ruhig noch länger spielen können, dafür war der Auftritt eigentlich zu gut. Aber wie heißt es doch: Wenn’s am schönsten ist, soll man ja bekanntlich aufhören! Setlist: 1. Sometimes the World Ain't Enough 2. Living for the Nighttime 3. Speedwagon 4. Midnight Flyer 5. Turn to Miami 6. Star of Rio 7. Gemini 8. Something Mysterious 9. Stiletto 10. Josephine 11. Paralyzed 12. Can't Be That Bad 13. 1998 --- 14. This Time 15. Lovers in the Rain 16. West Ruth Ave Stefan Graßl |
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