„Britischer Abend“ mit dem Rias Kammerchor in der Philharmonie
Es war sein Antrittsbesuch. Mit der Konzertsaison 2017/18 wird Justin Doyle Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des RIAS Kammerchors. Am Neujahrstag stand er erstmals am Pult der Philharmonie, um den fast 70 Jahre alten Chor zu dirigieren. Es wurde so etwas, wie ein englischer Abend – allerdings ohne jede Spur von Steife. Gesungen wurde das selten aufgeführte Händel-Oratorium Theodora. Bei der Inszenierung des in Englisch verfassten Werkes standen dem 40-jährigen Briten nicht nur der Chor und die Akademie für Alte Musik Berlin zur Seite. Für die fünf Solostimmen hatte er ausschließlich Muttersprachler engagiert – neben drei echten Briten (Robert Murray, Tenor, Tim Mead, Countertenor, und Roderick Williams, Bariton) die walisische Sopranistin Fflur Wyn und die englisch-französische Mezzosopranistin Anna Stéphany. Einen Moment im Rampenlicht hatte auch Chormitglied Christian Mücke, der die kurze Rolle des Boten im ersten Teil des Oratoriums übernehmen durfte. Das gesamte Ensemble, das im Grunde ja aus zwei Ensembles bestand, spielte von Beginn an wie aus einem Guss. Hier ergänzten sich nicht viele Einzelstimmen zu einer Einheit. Hier spielte ein Orchester, das von vorneherein eine Einheit war und wie eine Band wirkte, die fast schlafwandlerisch perfekt aufeinander eingespielt war. Und das gilt für die Gesamtheit von Orchester und Chor. Ein echtes Vergnügen. Bei den Gesangsrollen hat Händel die Geschlechter sehr ungleich behandelt, was unmittelbar mit der Handlung zusammenhängt. Valens, römischer Statthalter in Syrien, ruft anlässlich des Geburtstages von Kaiser Diokletian alle Bürger Antiochiens auf, den römischen Göttern zu opfern. Die Christin Theodora weigert sich dem Befehl nachzukommen. Valens will sie dafür nicht nur mit dem Tode bestrafen, sondern sie zur Prostituierten machen. Der römische Offizier Didymus, der sich im Verlaufe der Handlung als Christ zu erkennen gibt, bestürmt Septimius, der von Valens mit der Durchsetzung seines Befehls beauftragt wurde, diese unmenschliche Strafe nicht umzusetzen. Der gibt seinem Freund Didymus zwar grundsätzlich Recht, weigert sich aber seinen Befehlen zuwider zu handeln.
Das Ringen um das rechte Handeln und das harsche Durchsetzen seiner Befehle gibt vor allem Valens (Roderick Williams) und Didymus (Tim Mead) prächtig Gelegenheit sich mit großer Dramatik und Pose in Szene zu setzen, wobei der Bariton Williams die gnadenlose Arroganz und überhebliche Macht des römischen Statthalters mit besonderer Kraft und offenkundiger Begeisterung darstellt – und somit zum Star des Abends wird. Theodora ist keine reine Dulderin. Sie ist bereit ihr Leben zu geben, um dem schändlichen Schicksal der Prostitution zu entgehen. In diesem Sinne aber unterwirft sie sich ihrem Schicksal. Und auch Irene, ihre Vertraute, sieht keinen anderen Weg, als der Führung Gottes zu vertrauen. So sind die Arien der beiden Sängerinnen stark von Hingebung, Resignation und stiller Verzweiflung geprägt. Das lässt nur geringen Raum für einen starken Aufschrei. Insgesamt ist so der Auftritt der Frauen zwar von großer Intensität, aber weniger von Kraft oder Kampf geprägt. Mir persönlich kam das zu Gute, da mir die oft sehr hoch angesetzten Frauenstimmen in der klassischen Musik immer eher Anfechtung als Vergnügen gewesen sind.
Das Konzert hatte einen Spannungsbogen, wie man ihn sonst eher von Rockkonzerten her kennt. Insbesondere Fflur Wynn, die die Rolle der Theodora sang, brauchte eine gewisse Zeit um sich warm zu singen, was zum Teil sicherlich auch dem zurückhaltendem Ansatz der Frauenrollen zuzuschreiben ist. Zu Beginn wirkte die relativ kleine, aber nicht zierliche Sängerin etwas verhalten, beinahe unsicher. Das hatte sie nach den ersten Szenen aber vollständig abgeschüttelt. Die Streicher warfen sich so packend – bzw. gepackt - in die Musik, dass man gelegentlich gar nicht überrascht gewesen wäre, wenn der eine oder andere aus seiner sitzenden Position aufgesprungen wäre, um das, was er mit seinem Instrument hervorbrachte, auch körperlich auszuleben. So aber war das Leibliche ganz dem Dirigenten überlassen, der das auch weidlich nutzte und seine Musiker mit einem wahren Ganzkörpereinsatz in die Spuren lenkte. Mal sprang er auf Zehenspitzen in die Höhe. Mal ging er in die Knie, um sein Ensemble dann aufspringend mit ausgestreckt nach oben schnellenden Armen in die musikalische Höhe zu schleudern. Feurig! Er belohnte sich und die Teile des Publikums, die Sitzfleisch bis 23 Uhr hatten, dann auch noch mit einer Zugabe. Nachdem er ein kleine Ansprache in sympathisch abgelesener deutscher Sprache gehalten hatte, wurde eine Chorpassage aus dem Oratorium wiederholt, die Händel selber als seinen besten Chor überhaupt bezeichnet hatte - ganz explizit vor dem „Hallelujah“ aus dem Messias. Mit diesem Debüt hat Justin Doyle die Erwartungen an seine Arbeit in Berlin weiter in die Höhe geschraubt. Die Theodora sollte er dabei ruhig noch das eine oder andere Mal ins Programm nehmen. Norbert von Fransecky |
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