Musik an sich


Reviews
Monteverdi, C. (Pluhar)

Teatro d’Amore


Info
Musikrichtung: Barock Ensemble

VÖ: 23.01.2009

Virgin Classics / EMI / CD DDD 2007-2008 / Best. Nr. 5099923614000 (Deluxe-Version)

Gesamtspielzeit: 59:46

Internet:

L’Arpeggiata



GÖTTLICH!

Vorhang auf für das Teatro d’Amore! Einen perfekteren Digest für die Musik des „göttlichen“ Claudio Monteverdi wird man so schnell nicht finden!
In nur 60 Minunten gelingt es Christina Pluhar und ihrer barocken Band L’Arpeggiata, ein farbiges Porträt dieses Komponisten zu zeichnen. Ausnahmslos weltliche Kompositionen stehen dabei auf dem Programm. Monteverdis Musik hat auch nach rund 400 Jahren keinen Staub angesetzt. Überdies wird mit den Mitteln der historischen Aufführungspraxis ein Klangbild kreiert, das ungezwungen modern wirkt und dem Komponisten neue Hörer abseits der sogenannten Klassik bescheren dürfte.
Die prickelnden Klangfarben von Lirone, Theorbe und Barockharfe oder die erdigen Sounds von Gamben, Cembalo, Psalterium und nicht zuletzt die hochvirtuos aufspielenden Zinken (die wie eine Mischung aus Trompete und Oboe klingen) werden vom Ensemble in abwechslungsreichen, genau ausgehörten Mischungen präsentiert. Und auch das passende Schlagzeug darf nicht fehlen.
Dabei dominiert die moderne Lust an variablen und üppigen Klangfarben über die historische Klang-Symbolik der Instrumente, die seinerzeit doch wohl in etwas sparsamerer Dosierung verwendet wurden. Auch an stilgerecht improvisierten Kontrapunkten fehlt es nicht. Für das Ohr freilich ist dieses „Schöpfen aus dem Vollen“ ein Fest. Dass hinter den raffinierten Arrangements viel Arbeit und Tüftelei im Detail stecken, möchte man Christina Pluhar gerne glauben. Bemerken tut man es angesichts der hinreißenden Spielfreude ihrer Truppe allerdings nicht. Alles fügt sich ganz zwanglos.

L’Arpeggiata war schon in zwei vorausliegenden Aufnahmen immer wieder durch große Experimentierfreude aufgefallen und hat dabei die Grenzen zwischen Alter und Neuer Musik oder zwischen U- und E-Musik immer wieder lässig überschritten.
Nicht überall sind diese Gratwanderungen allerdings auf offene Ohren gestoßen. Die Vorgängerplatte Los Impossibiles (Naive) war wegen der Fusion mit dem Jazz oder moderner Instrumente kritisiert worden. Da ist die neue Produktion wesentlich stilreiner. Sie kommt auch ganz ohne die Romantizismen aus, mit der Emmanuele Haïm Monteverdi für heutige Opernstimmen schmackhaft gemacht hat (L’Orfeo / Madrigale beim Label Virgin).
Obwohl: Einen kleinen Gag konnten sich die Musiker von L’Arpeggiata dann doch nicht verkneifen, als sie den „gehenden Bass“ von Ohimè ch’io cado als jazzigen „walking bass“ interpretierten und die Synkopierung und Anreicherung mit bluesiger Chromatik weit über das barocke Maß hinaus getrieben haben. Aufgesetzt klingt das zwar nicht, aber persönlich finde ich die diskreteren Anverwandlungen der Musikrichtungen besser, weil sie Monteverdis stilistischen Eigenart und seine irgendwie zeitlose Modernität reizvoll in der Schwebe halten. Da kann man sich dann aussuchen, welchen Aspekt man mehr heraushören möchte. Überzeugender (und wohl auch historisch stimmiger) als eine Romantisierung ist diese Lesart aus dem Geist moderner U-Musik auf jeden Fall.

Das Instrumentarium präsentiert sich gleich mit der eröffnenden Toccata aus Monteverdis erster Oper L’Orfeo in aller Spätrenaissance-Pracht und -Herrlichkeit. Sofort fallen die körperliche Präsenz der Musik, ihre Plastizität und Biegsamkeit sowie ein swingender Ton auf. Federnde Musikalität ist denn auch ein besonderes Kennzeichen der ganzen Produktion. Bei insgesamt flüssigen Tempi gewinnt Monteverdis Musik einen unwiderstehlichen Sog, der den Hörer vor allem beim krönenden Duett Zeffiro torna über den Ciaconnia-Bass mitreißt. Aufgelockert durch einige Tänze sind es vor allem die experimentellen Madrigale aus dem 7. und 8. Buch, bei denen das Ensemble zur Hochform aufläuft.
Viel verdankt sich auch den hervorragenden Sängerinnern und Sängern. In den Solopartien bestechen mit ihrem metallischen Glocken- und Flöten-Timbre Philippe Jaroussky und Nuria Rial. Nicht minder starken Eindruck hinterlassen die übrigen Stimmen, die sich immer wieder zu harmonischen Ensembles zusammenfinden. Da bedauert man ein wenig, dass aus unerfindlichen Gründen Einleitung und Schluss des berühmten Lamento della Ninfa und der erschütternde zweite Teil von Hor che l’ciel e la terra unter den Tisch gefallen sind.
Als Gesamtprogramm funktioniert die vorliegende Zusammenstellung auf jeden Fall hervorragend! Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn daraus nicht ein ähnlicher Hit würde wie aus der wilden „Tarantella“-Scheibe des Ensembles, die beim Label Alpha nach wie vor die interne Hitliste anführt. Die Deluxe-Ausgabe der neuen Platte besticht durch ein farbig illustriertes, festgebundes Büchlein und den fundierten Essay der Ensembleleiterin.



Georg Henkel



Trackliste
1Toccata 1:27
2 Ohimè, ch'io cado 4:05
3 L'Incoronazione di Poppea: Pur ti miro 4:11
4 Damigella tutta bella 2:12
5 Amor (Lamento della Ninfa, Rappresentativo) 3:13
6 L'Incoronazione di Poppea: Si dolce è l'tormento 3:48
7 Sinfonie & Moresca 2:20
8 Interotte speranze 3:11
9 Chiome d'oro 2:41
10 L'Incoronazione di Poppea: Arnalta 2:45
11 Hor ch'el ciel e la terra (Prima Parte) 3:37
12 Tempo la cetra 7:48
13 Ballo 3:06
14 Con che soavità (Concertato a una voce e 9 Instrumenti) 3:57
15 Vago augelletto, che cantado vai (a 6 e 7 voci con doi violini e un Contrabasso) 4:24
16 Zefiro torna (Ciaccona) 7:30
Besetzung

Nuria Rial: Sopran
Philippe Jaroussky: Altus
Cyril Auvity & Jan van Elsacker: Tenor
Joao Fernandes: Bass

L’Arpeggiata

Christina Pluhar: Theorbe, Barockharfe & Leitung


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