Weber, C. M. v. (Harnoncourt)
Der Freischütz
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Info |
Musikrichtung:
Oper
VÖ: 27.09.2004
TDK / Naxos 2 DVD (AD 1999) / Best. Nr. DV-OPDFR
Gesamtspielzeit: 159:00
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FERNBLICKE IN DIE WOLFSSCHLUCHT
1993 verlegte die Regisseurin Ruth Berghaus (1927-1996) Carl Maria von Webers oft pittoresk ausstaffierten Dauerbrenner Der Freischütz in ein bunkerartiges, beklemmendes Ambiente, in dem die streng und grau gewandeten Dorfbewohner partout keine deutsch-romantische Heimeligkeit aufkommen lassen wollen. Dass Berghaus darauf verzichtete, diese Gesellschaft dann auch gleich mit dem Holzhammer als (prä)faschistoid zu zeichnen und die erste große Nationaloper zur erschröcklichen Märchenwald-Vision des Nationalsozialismus umzudeuten, quittiert man angesichts der üblichen Regietheaterfloskeln mit Erleichterung. Die Wolfsschlucht wird hier nicht zur Wolfsschanze, die Vieldeutigkeit der dramaturgisch nicht unproblematischen Vorlage bleibt gewahrt.
Die Geschichte vom glücklosen Jägerburschen Max, der seine geliebte Agathe nur nach einem erfolgreichen Probeschuss ins Waldschlösschen heimführen darf, entstammt der deutschen Märchen- und Sagenwelt, geriet in Webers Aufbereitung aber zugleich zum romantischen Zeit- und Zerrspiegel. Max, der sich mit dunklen Mächten einlässt, um unfehlbare Freikugeln zu gewinnen, ist bei Berghaus denn auch eher ein sensibler Intellektuellentyp mit Buch und Brille, der mit den bäuerischen Jagdritualen eigentlich nicht viel anfangen kann. Ein aufgeklärter Vernunftmensch und Bürgersmann, der an sich selbst zweifelt und deshalb bereit ist, alle Vernunft fahren zu lassen und das Glück mit schwarzmagischen Ritualen und teuflischem Beistand zu zwingen. Der Kugelzauber in der Wolfsschlucht gehört zu den Höhepunkten des Werks: eine phantastische und düstere Beschwörung des Unbewussten durch den Klang. Berghaus fand dafür streng komponierte und zugleich spukhaft unwirkliche Bilder. So entsteigen die Geister hier wie schwarze Insekten der (Bühnen)Unterwelt, kraxeln ameisengleich den schrägen Grund herauf.
Allerdings sorgt in diesem Fall eine distanzierte Kameraführung dafür, dass man zwar alles sieht, aber auch seltsam unberührt bleibt. Was im Züricher Opernhaus bei der mitgeschnittenen Wiederaufnahme 1999 seinen Effekt nicht verfehlt hat, mutet auf dem Bildschirm eher steif an (nur die Kulisse wackelt dann und wann). Daran hat auch das sterile Klangbild seinen Anteil. Die spröde Akustik kommt dem die Klänge weit auffächernden Dirigat von Nikolaus Harnoncourt zwar entgegen, lässt aber keine rechte Atmosphäre entstehen. Und trotz der direkten Aufnahme benötigt man die deutschen Untertitel, will man den Text verfolgen. Matti Salminen als nicht mehr ganz junger Kaspar bietet markige Deklamation, ist aber praktisch unverständlich. Vorbildlich dagegen die Diktion des ansonsten blassen Peter Seifert als Max. Auf Distanz hält einen auch die Agathe der stimmlich wenig einnehmenden Inga Nielsen. Packend ist vor allem Harnoncourts Ansatz. Der hat nicht nur den Orchesterklang geschärft (Naturtrompeten und -hörner!), auch die rauhen Jägerchöre sind weit entfernt von der Betulichkeit heutiger Männergesangsvereine. Das trifft sich gut mit der Strenge von Berghaus’ Konzept.
Insgesamt ein mehr interessantes denn bewegendes Dokument.
Georg Henkel
Besetzung |
Cheyene Davidson (Ottokar) Werner Gröschel (Kuno) Inga Nielsen (Agathe) Malin Hartelius (Ännchen) Matti Salminen (Kaspar) Peter Seiffert (Max) Robert Holl (Eremit) Volker Vogel (Kilian) Raphael Calmer (Samiel)
Chor und Orchester des Opernhauses Zürich Ltg. Nikolaus Harnoncourt
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