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Reviews
Telemann, G.Ph. (Tol)

Perpetuum Mobile (Kantaten/Kammermusik)


Info
Musikrichtung: Barock

VÖ: 01.11.2004

Carus / Note 1 (CD DDD (AD: 2004) / Best.Nr. 83.165)

Gesamtspielzeit: 73:38

Internet:

Balthasar-Neumann-Ensemble

Carus Verlag



ENTDECKERFREUDEN

Was bleibt dem Kritiker noch zu tun, wenn der Künstler seine Kritik gleich selbst am treffendsten verfaßt? So schreibt der Leiter dieser Produktion, Han Tol, in seinem Bookletvorwort über die Arbeit an dem Projekt: "Zusammen tauchten wir ein in Telemanns himmlische Musik, lachten über unsere Unzulänglichkeiten und wurden fast unbemerkt jeden Tag besser, kräftiger, aber auch weicher im Ausdruck (...)"
Uns bleibt das Vergnügen, mit den Musikern eintauchen zu dürfen, ohne dass noch etwas von den "Unzulänglichkeiten" zu spüren wäre! Die CD stellt Telemann einmal mehr als originellen Kopf dar, als Beherrscher aller Stile seiner Zeit, als ausdrucksstarken Kirchenkomponisten und humorvollen Gesellschaftmusiker. Insofern muß es fast als Schande gelten, dass die meisten der Stücke Weltersteinspielungen sind. Es gibt im Bereich der Telemann-Forschung wahrhaftig noch viel zu tun und zu entdecken.

Bei den drei Kantaten handelt es sich um klein besetzte Werke aus Telemanns Zeit in Eisenach, einer Epoche, die sich musiksprachlich merklich von seinem Spätwerk abhebt. Deutlich wird aber auch hier schon Telemanns Bemühen um eine bildhaft musikalische Sprache, um das Arbeiten mit chromatischen Figuren, mit Seuferzermotiven, mit dramatischen Pausen u.ä.
Dabei verwebt etwa die Epiphanias-Kantate "Hier ist mein Herz, geliebter Jesu" in den zwei rahmenbildenden Duetten die Singstimmen zugleich meditativ schmeichlerisch ineinander, wobei die Solisten das zu einem Ohrenschmaus werden lassen.
In der Passionskantate "Weiche, Lust und Fröhlichkeit" sieht sich die Sopranistin Dorothee Mields virtuosen Anforderungen auf höchster Stufe gegenüber - und bewältigt sie mit Bravour. Anrührend weich zeichnet sie mit ihrem mädchenhaften Sopran die Gesangslinien und bewältigt sicher jede Koloratur.
Auch der Tenor Benoit Haller erweist sich in der Solo-Kantate "Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn" als ausgezeichnete Besetzung für die Partie. Zwar beschränkt er sich, abgesehen von den letzten beiden Sätzen, auf eine recht unprätentiöse Darstellung , bei welcher die dramatische Ausgestaltung im wesentlichen dem Instrumnetalpart überlassen bleibt. Seine Tongebung ist jedoch derart perfekt und in ihrer fast baritonalen Fülle so gefällig, dass man deswegen keinerlei weitergehende Gestaltung vermißt.

Eine "Ausgrabung" besonderer Art ist die Ouvertüre D-Dur, die hier in kammermusikalischer Besetzung interpretiert wird: Aus der Reihe der sog. "Darmstäder Ouvertüren" stammend, stellt sie so etwas wie einen "Musikalischen Spaß" Telemann dar. Vieles ist nach französischem Vorbild angelegt, das aber gleichzeitig köstlich karikiert wird. So will der Einleitungssatz nicht richtig in Gang kommen, tritt in der Baßlinie mehrere Takte lang plump auf der Stellke und erinnert an ein Ballet von Elefanten. Auch die Tanzsätze Sarabande und Bourée laufen nur mit "stotterndem Motor" und kratzbürstig unpassenden Einwürfen ab. Der namensgebende Satz "Perpetuum mobile" hetzt, fast ohne erkennbare Struktur, atemlos vorbei, wird aber noch vom "Tourbilon" (Wirbelwind) übertroffen. Dieser kommt hier wie ein Blizzard daher, der an Tempo Vivaldis Sommersturm locker aussticht. Die Musiker des Balthasar-Neumann-Ensembles, die durchweg mit viel Freude und Perfektion bei der Sache sind, dürften ziemlich ins Schwitzen gekommen sein. Einzig die abschließende Gigue bietet, gleichsam augenzwinkernd, einen versöhnlich eleganten Abschluß des kuriosen Werkes.
Ergänzt wird dieses durch die zwischen den Kantaten eingeschobenen Quartette. Auch in ihnen besticht Telemann durch harmonische Überraschungen und originelle Einfälle, sowie durch breiten Entfaltungsraum für die spieltechnischen Möglichkeiten der Instrumentalisten.

Dem Ensemble um Han Tol, der auch die Blockflöte spielt (neben ihm unter den Instrumentalisten übrigens herausragend auch die Oboistin Emma Davislim, ist es mit dieser CD gelungen, Telemann in seiner ganzen Vielseitigkeit zu präsentieren und für seine häufig überraschende Musik die allerbeste Werbung zu machen. In Zusammenstellung, Interpretation und Klangqualität eine absolut herausragende und wohldurchdachte Produktion.



Sven Kerkhoff



Trackliste
1-7 Hier ist mein Herz, geliebter Jesu, TVWV 1:795
Kantate zu Epiphanias f. Sopran, Tenor, 2 Violinen und B.C., 12:49

8-10 Quartett g-moll, TWV 43:g4
für Blockflöte, Violine, Viola und B.C., 08:24

11-15 Weiche, Lust und Fröhlichkeit, TVWV 1:1536
Passionskantate für Sopran, Oboe ad lib., Violinen, Viola concertata und B.C., 12:46

16-19 Quratett a-moll, TWV 43:a3
für Blockflöte, Oboe und B.C., 09:42

20-26 Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn, TVWV 7:2
Kantate für Tenor, Oboe, Violine und B.C., 12:44

27-33 Ouverture D-Dur "Perpetuum Mobile", TWV 55:D12
für Streicher un B.C., 17:13
Besetzung

Dorothee Mields, Sopran
Benoit Haller, Tenor
Balthasar-Neumann-Ensemble

Han Tol (Ltg. und Blockflöte)


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