Mouton, Ch. – De Visée, R. – Gallot, J. u. a. (Vallerotonda, S.)

Méditation. Le quatre saisons du luth


Info
Musikrichtung: Barock Laute

VÖ: 14.01.2022

(Arcana / Note 1 / CD / 2021 / Best. Nr. A496)

Gesamtspielzeit: 56:42



LAUTENESOTERIK

Die hohe Schule der französischen Lautenmusik im 17. Jahrhundert war exklusiv und esoterisch. Man spielte für sich oder ein kleines, erlesenes Publikum, das die musikalischen Finessen zu schätzen und die anspielungsreichen Titel zu deuten wusste. Ohne genaue Kenntnis der Aufführungspraxis ist eine sinnvolle Darstellung der Noten kaum möglich, so diffizil sind die Verzierungen, die dynamische Abstimmung der hohen und tiefen Register, die harmonische Entfaltung der führenden Melodiestimme.

Der italienische Lautenist Simone Vallerotonda wandelt mit seiner 13saitigen Laute auf dem Album „Méditation“ auf den Spuren der alten Lautenisten und knüpft an längst abgerissene Traditionen an, die er bzw. seine Vorgänger auf dem Instrument im 20. und nun 21. Jahrhundert sich erst wieder erschließen mussten.
Das Programm seines Albums ist um die vier Jahreszeiten herum organisiert bzw. zeigt sich von den damit traditionell verbundenen Temperamenten inspiriert: den melancholischen Winter, den cholerischen Sommer, den phlegmatischen Herbst, den sanguinischen Frühling. Für jede Jahreszeit hat Vallerotonda eine Suite aus Stücken verschiedener Komponisten um eine zentrale Tonart (meist in Moll) komponiert.
Die Lautenmeister der Vergangenheit treten in einem imaginären Diskurs ein: Freie unmensurierte Präludien, die viel improvisatorisches Geschick verlangen, treffen auf ausgearbeitete Charakterstücke oder auch pittoreske Schilderungen, amouröse Ständchen für imaginäre Geliebte oder auch sanfte Klagen und erhabene Tombeaus im Angedenken an verstorbene Musiker.

Vieles bleibt rätselhaft: „La Comete“ ist der Titel eines Stücks, das sich wie viele andere auf dieser Platte als Chaconne entpuppt, ein barocker Tanz mit Variationen. Doch was ist damit gemeint? Vernehmen wir die Empfindungen des Komponisten angesichts der seltsamen Himmelserscheinung? Oder versucht dieser das Phänomen, das seinerzeit als Unheilszeichen galt, musikalisch zu fassen? Bei einer anderen Chaconne mit dem Titel „La Belle Espagnole“, offenbar das Porträt einer schönen Spanierin, können wir aus dem lässigen Schlenkern der Musik sozusagen einen erotischen Hüftschwung heraushören – aber nur, weil der Titel eine solche Assoziation nahe legt.

Vallerotonda widmet sich solchen und anderen enigmatische Kabinettstückchen von Charles Mouton, Robert de Visée oder Jacques Gallot mit erlesenem Fingerspitzengefühl, mischt auch Bearbeitungen von Cembalowerken Jean-Philippe Rameaus oder François Couperin dazu, die auf dem neuen Instrument ganz natürlich klingen. Nichts wirkt verwirrend, vieles ist betörend fein ausgehört, wird mit locker, aber präzise gesetzten Verzierungen und delikaten dynamischen Schattierungen angereichert: die melodischen Bewegungen werden sozusagen in 4D projiziert, entfalten sich in der Horizontalen und Vertikalen, im Klangraum, den die Musik aufspannt.

Auch wenn Lautenmusik grundsätzlich immer etwas Melancholisches anhaftet und ihr ein besinnlicher Zug eigen ist, gerät diese Stunde doch zu einem sehr einnehmenden und immer wieder bezaubernden Spiel von Stimmungen und Eindrücken, wunderschön flüchtig und geheimnisvoll.



Georg Henkel



Trackliste
Stücke von Charles Mouton, Robert de Visée, Jacques Gallot, German Pinel, Valentin Strobel, Pierre Dubut le pére; Bearbeitung von Stücken von F. Couperin und J.-Ph. Rameau
Besetzung

Simone Vallerotonda, Laute


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