Delain
Apocalypse & Chill
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Info |
Musikrichtung:
Symphonic Metal
VÖ: 07.02.2020
(Napalm)
Gesamtspielzeit: 67:18
Internet:
http://www.delain.nl
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Nein, das auf dem Cover dieser Platte sonnenbadende weibliche Wesen ist offenbar nicht Delain-Sängerin Charlotte Wessels – aber sie könnte es sein, nimmt man die Dichotomie des Albumtitels als Maßstab: Die Apokalypse passiert rund um die Sonnenanbeterin herum und spiegelt sich auch in den Gläsern ihrer Sonnenbrille, aber sie selbst chillt, als würde nichts geschehen, und das korrespondiert mit der musikalischen Ausrichtung von Apocalypse & Chill. So stark hat der Heavenly-Voices-Sektor das Schaffen Wessels‘ noch nie geprägt, so viele ätherisch ausgeprägte Passagen ist man von ihr eher nicht gewöhnt. Gut, sie hat ihr übliches Terrain natürlich nicht komplett verlassen, erinnert etwa in „We Had Everything“ immer noch stark an Anette Olzon und kann bedarfsweise auch härter zupacken – aber der Bedarf besteht eher selten, und das wiederum korrespondiert mit der instrumentalen Ausrichtung der dreizehn Songs, die Chefdenker Martijn Westerholt und seine assistierenden Kompagnons ein Stück weit in die zugänglichere Poprichtung verschoben haben. Nun gehörten Delain zwar noch nie zum absoluten Härtnerbereich im Symphonic Metal, aber in dieser Konzentration ist das durchaus auffällig und kommt vor allem nach der Vorab-EP Hunter’s Moon überraschend. Von deren vier Songs steht allein „Masters Of Destiny“ auch auf dem Album und stellt dort einen der wenigen Härtegipfel dar. Selbst „Burning Bridges“, das mit feisten Orchestertürmen und kräftigem Riffing von Timo Somers samt rauhem Gesang seinerseits anhebt und anschließend in den Strophen durchaus Tempo aufnimmt, wird in den Strophen durch den fast flüsternden Gesang Wessels‘, auf den hier Somers mit ebensolchem Flüstern antwortet, schaumgebremst, auch wenn in der Gesamtbetrachtung hier wohl die dramatischste Nummer des Albums entsteht, die freilich, wenn man die Nightwish-Dramatik-Skala anlegt, auch nur Durchschnittswerte erreicht. Aber das Ausloten von diesbezüglichen Grenzen war wie erwähnt noch nie das Ziel der Niederländer, die sich zudem aktuell wieder für eine besetzungstechnische Umkonzeptionierung entschieden haben: Zweitgitarristin Merel Bechtold hat die Band 2019 nach dem Release von Hunter’s Moon auf freundschaftlicher Basis verlassen, und Delain haben die Stelle nicht wieder besetzt, sondern machen zumindest vorläufig mit Somers als alleinigem Gitarristen weiter, was dann speziell Auswirkungen auf den Livesound haben könnte, wenngleich das aktuell pandemiebedingt natürlich nicht nachprüfbar ist.
Stichwort Nightwish: Marko Hietala ist ja bei Delain so eine Art Dauergast geworden – und die Überraschung dürfte relativ groß sein, dass er auf Apocalypse & Chill nicht singt. Duettpartner Wessels‘ ist wie erwähnt zum einen Somers, u.a. gleich im Opener „One Second“, zum anderen ein Teilzeitfinne, nämlich Yannis Papadoupolos, gebürtiger Grieche, aber in Diensten der Finnen Beast In Black stehend, die nun wiederum dem Nightwish-Anhänger anhand ihrer Supportrolle auf der „Decades“-Tour geläufig sein dürften. Papadoupolos besitzt eine klare, leicht nasale Stimme und unterscheidet sich damit doch etwas von Hietala – und interessanterweise ist er der Gast im Song „Vengeance“ und nicht Somers, obwohl der Vater des letztgenannten, Jan Somers, etliche Zeit bei der gleichnamigen holländischen Band spielte und es daher ein kurios-interessantes Bezugsgeflecht gewesen wäre, hätte Somers jr. in diesem Song eine herausgehobene Rolle eingenommen. Aber generell sind die männlichen Gesangspassagen auf den zwölf mit Vocals versehenen Songs eher rar gesät, Wessels steht stimmlich klar im Mittelpunkt, und das ist der beschriebene Ausgangspunkt für den Chill-Faktor selbst in sonst etwas stärker zupackenden Songs. Da braucht der eine oder andere freilich ein wenig länger, um zu zünden, etwa „Let’s Dance“, das vielleicht gerade aufgrund seiner plakativen Aufforderung seine verborgenen Reize etwas zögerlicher preisgibt, zumal das Sepultura-Gedächtnisriff des Intros für den Hauptteil des Songs keine Rolle mehr spielt und man auch den Zusammengehörigkeitsaspekt des klassisch-metallischen Hauptsolos zum Rest des Songs erst schrittweise ergründen muß. Letzteres gelingt nicht in jedem Song, und gerade Somers‘ oft weit heruntergestimmtes Riffing leistet für die Weiterentwicklung bzw. überhaupt die Ideenentwicklung oftmals eher wenig, was dann nur mittels einiger hochgradig eingängiger Refrains kompensiert werden kann. Aber generell ist auf Apocalypse & Chill zu viel Stückwerk vertreten, wobei im Gegenzug auch nicht jeder stilkonsistente Song überzeugen kann. Die Ballade „Ghost House Heart“ etwa ist zwar richtig hübsch geworden, aber man ertappt sich immer wieder bei dem Gedanken, was Tuomas Holopainen mit Auri oder sogar mit Nightwish (man erinnere sich an den Geniestreich „Slow Love Slow“!) aus dieser Idee gemacht hätte. Dass „Legions Of The Lost“ mit Nightwish-Gedächtnis-Keyboards und –Chören anhebt und sich überhaupt auf diesem Album am weitesten an die großen Finnen annähert, darf in diesem Fall als Kompliment für Delain gewertet werden, zumal die flüsternden Strophenvocals in diesem Falle als Originalitätsfaktor durchgehen, da Wessels im Flüsterton deutlich anders klingt als alle drei bisherigen Nightwish-Chanteusen. Trotzdem fragt man sich, warum die Sängerin nur in der hinteren Hälfte des Refrains von „Masters Of Destiny“ und ansatzweise im Vor-Solo-Teil von „Legions Of The Lost“ mal so richtig aus sich rausgeht – an einem etwaigen konsistenten und zu befolgenden Konzept kann’s eigentlich nicht liegen, da „Apocalypse & Chill“ trotz der systemischen Ausprägung der Bookletgestaltung (in jeder Sonnenbrille spiegelt sich eine andere Katastrophe, und zudem werden Gestaltungselemente von Hunter’s Moon wieder ausgegriffen, eine gewisse Zusammengehörigkeit assoziierend) keine durchgehende Geschichte erzählt. Aber im letzten Gesangsbeitrag „The Greatest Escape“ klingt die Sängerin im Refrain derart gelangweilt, dass das Entkommen im Zweifel schon an der ersten Straßenecke scheitern würde, wenngleich auch hier der Vor-Solo-Teil wenigstens noch ein wenig Dramatik in den Gesang bringt – das Solo stammt hier übrigens gasthalber von Shir-Ran Yinon an der Violine, und dieses Instrument war auch schon in „Ghost House Heart“ vertreten gewesen. Dann wartet man gespannt auf den dreizehnten und letzten regulären Song, ein Instrumental namens „Combustion“, und siehe da, auch hier liegt nach langem zurückhaltendem, aber schrittweise an den Ketten zerrendem Intro der Dramatikfaktor im harten Hauptteil relativ weit oben, und das nur mit ein paar Hintergrundvokalisen ausgestattete Stück macht richtig Spaß, vor allem, wenn man mit Spannung lauscht, welches Element jeweils zwischen das grundtönige Riffgeschiebe gebaut wird, aber auch, wenn man schon weiß, was kommt, und sich darauf freut, zumal Somers mit der Leadlinie hier zeigt, wozu er im emotionaleren Fach in der Lage ist – und irgendwie ist’s ein wenig schade, dass Delain diese Fertigkeiten (an deren Ausbildung Somers sr. sicherlich seine Aktie hatte) nicht stärker nutzen, wenngleich das Jammern hier auf einem durchaus hohen Niveau stattfindet.
Nach diesen hochklassigen reichlich fünf Minuten folgen noch drei Orchesterversionen von regulären Albumtracks, und zwar keine Band-Orchester-Mixturen, sondern pure Orchesterumsetzungen mit ein paar Hintergrundchören, allerdings relativ nahe an den Originalstrukturen bleibend und diese nicht so weit aufbrechend wie etwa Schandmaul auf ihrem Artus-Album, wenngleich man auch hier mit dem Original gut vertraut sein muß, um sich strukturell auf Anhieb zurechtzufinden. Ob man diese Nummern braucht oder nicht, bleibt als Entscheidung wie immer am Hörer selbst hängen, aber wer keinen Zugang zu ihnen findet, kann seinen CD-Player immer noch so programmieren, dass er nach Song 13 zu spielen aufhört, und auch als Platzfüller abqualifizieren kann man diese drei Nummern nicht, denn auch ohne sie wäre Apocalypse & Chill deutlich über 50 Minuten lang und würde rein quantitativ definitiv value for money bieten. Ob diese Entscheidung auch qualitativ zutrifft, ist eine schwierig zu beantwortende Frage – so mancher Song wächst mit jedem Durchlauf durchaus, und so bildet dieses Review nur eine Momentaufnahme, wenngleich der Aspekt mit den chilligen Wessels-Vocals natürlich einen Grundsatzfaktor bildet, mit dem der Hörer klarkommen muß, will er prinzipiell Gefallen an diesem Album finden. Wer sich übrigens das Cover als Poster ins Zimmer hängen will, kann sich auf die Suche nach einem der 700 Exemplare der Luxusausgabe machen, die neben diversen Gimmicks ein ebensolches enthält.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | One Second | 3:36 |
2 | We Had Everything | 4:08 |
3 | Chemical Redemption | 4:39 |
4 | Burning Bridges | 4:16 |
5 | Vengeance | 4:52 |
6 | To Live Is To Die | 3:47 |
7 | Let’s Dance | 4:07 |
8 | Creatures | 3:39 |
9 | Ghost House Heart | 2:59 |
10 | Masters Of Destiny | 4:55 |
11 | Legions Of The Lost | 5:17 |
12 | The Greatest Escape | 4:26 |
13 | Combustion | 5:25 |
14 | Masters Of Destiny (Orchestral Version) | 3:58 |
15 | Burning Bridges (Orchestral Version) | 3:02 |
16 | Vengeance (Orchestral Version) | 4:27 |
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Besetzung |
Charlotte Wessels (Voc)
Timo Somers (Git)
Martijn Westenholt (Keys)
Otto Schimmelpenninck van der Oije (B)
Joey Marin de Boer (Dr)
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