Crematory

Unbroken


Info
Musikrichtung: Gothic Metal

VÖ: 06.03.2020

(Napalm)

Gesamtspielzeit: 66:59

Internet:

http://www.crematory.de


Crematory hat der Damals-Noch-Nicht-Rezensent in den Früh- und Mittneunzigern immer mal gehört – er war der einzige Traditionsmetaller an seinem Gymnasium, alle anderen Metaller seiner Klassenstufe standen auf Düstermetal, und etliche schätzten auch die frühen Crematory-Alben, von denen er dann auch das eine oder andere zu hören bekam. Im neuen Jahrtausend verlor er die Band dann aus den Augen, und Unbroken ist nun seine erste akustische Begegnung mit den Pfälzern seit langer Zeit, in der u.a. eine Bandauflösung und eine Reunion anstanden, und die Zahl der veröffentlichten Alben hat mittlerweile längst die Zweistelligkeit erreicht.
Erste Aufgabe war der Check der Besetzung – aha, die drei Säulen der frühen Besetzung, nämlich Sänger Felix, Keyboarderin Katrin und Drummer Markus, sind immer noch dabei, aber es hat sich trotzdem markant etwas verändert: Aus dem alten Quintett ist ein Sextett geworden, da der Gitarristenposten mittlerweile doppelt besetzt ist, laut Bezeichnung im Booklet zudem in ganz klassischer Aufgabenverteilung, nämlich Connie als Rhythmusgitarrist und Rolf als Leadklampfer. Connie, übrigens ein männliches Wesen, übernimmt zudem auch noch die Cleangesangspassagen, was ab der Spätzeit der ersten Bandaktivitätsperiode auch schon der Zweitjob des damaligen Gitarristen Matthias war. Besagter Rolf ist übrigens tatsächlich Rolf Munkes, den man ja eigentlich eher aus traditionsrockigen bzw. -metallischen Gefilden kennt, und so bleibt mit einer gewissen Spannung zu ergründen, wie Crematory anno 2020 denn nun klingen.
Knapp 67 Minuten später ist man schlauer. Punkt 1: Traditionsrockige bzw. -metallische Gitarrenheldensoli besitzen Seltenheitswert – es gibt sie, aber sie üben kaum einen prägenden Einfluß aufs Gesamtbild aus. Punkt 2: Der eröffnende Titeltrack verknüpft den typischen Gothic Metal der Band mit elektronischen Elementen, als ob es sich um einen Remix wie diejenigen handeln würde, die kurz vor der Jahrtausendwende auf der zweiten CD der Early Years-Box versammelt wurden – und das Booklet macht klar, dass dem tatsächlich so ist und der Remix von OneSaidZero stammt. Ganz schön mutig von der Band, ausgerechnet diese Nummer als Opener zu verbraten, muß der Liebhaber des traditionellen Stils der Band doch bis zum Refrain ausharren, um sich klar zu werden, dass die Band immer noch die gleiche ist, oder aber gleich auf Song 2, „Awaits Me“, weiterskippen, der problemlos auch auf eines der alten Alben gepaßt hätte, vom Cleangesang vielleicht mal abgesehen. Der wiederum – und damit wären wir bei Punkt 3 – ist eindeutig als Bereicherung des Bandsounds zu werten und eröffnet den Pfälzern im melodischen Sektor ungeahnte Möglichkeiten, zumal Connie eine äußerst interessante, von Felix‘ gelegentlichen Cleangesangsversuchen völlig verschiedene Stimmfärbung einbringt und bisweilen ein klein wenig wie Ville Tuomi klingt, der bekanntlich das Amorphis-Meisterwerk Tales From The Thousand Lakes veredelt hatte. Nicht nur solistisch überzeugt Connie, auch die Duette mit Felix‘ archetypischem Grunzgesang sind gekonnt ausgearbeitet, wie beispielsweise der große Bombastrefrain von „Inside My Heart“ beweist. Kurioserweise könnte diese hymnische Nummer tatsächlich auch auf einem Amorphis-Album ihren Platz finden, ohne dass Crematory damit unterstellt werden soll, sie würden die Finnen etwa kopieren wollen – das haben sie nun wirklich nicht nötig, denn die eigene kreative Schublade ist offensichtlich immer noch gut gefüllt. Grundsätzlich aufgezogen hat sie aber nur ein Bandmitglied: Keyboarderin Katrin, seit geraumer Zeit mit Drummer Markus nicht nur den Proberaum, sondern auch Tisch, Bett und Nachname teilend, ist im Booklet als alleinige Komponistin und Texterin angegeben, wobei Connie sowie zwei „Externe“ für die Arrangements verantwortlich zeichnen. Damit sind wir bei Punkt 4: 13 der 15 Songs von Unbroken würde man bei einem Blindfoldtest mehr oder weniger zuverlässig als Crematory-Nummern erkennen, obwohl sich die aus dem Opener (das ist einer der beiden anderen Songs) bekannten Elektro-Zutaten zumindest latent auch in anderen Songs wiederfinden, etwa dem flotten Disco-Gothic-Metal von „Behind The Wall“, dort allerdings nur als schmückendes Beiwerk. Am weitesten aus dem Fenster lehnt sich „I Am“, das Swing (!) mit dem typischen Bandsound kreuzt und einen coolen Tanzflächenfeger ergibt, der aber trotzdem problemlos der richtigen Band zuzuordnen ist. „Like The Tides“ heißt die andere Ausnahme, schließt das Album ab, ist eine Ballade (Cleangesang, Klavier, Streicher und ein paar Effekte) und tatsächlich nicht der Songschmiede der Pfälzer entsprungen, sondern eine Coverversion von !distain – der Rezensent kennt das Original nicht und kann daher zur konkreten Umsetzungsherangehensweise nichts sagen. Dafür aber ergibt sich Punkt 5: Unbroken enthält keinen ganz großen Hit – sowas wie „Tears Of Time“ schreibt man halt nicht am Fließband. Andererseits unterschreitet kein Song ein gutklassiges Niveau, und man könnte nahezu die komplette Platte problemlos ins Liveprogramm der Band einbauen. Wie Crematory das gelöst hätten, kann vorläufig noch nicht ergründet werden, da die für April/Mai 2020 geplante Tour zum Album der Pandemie zum Opfer gefallen ist. Einzig das Gesamtbild von Unbroken wirft noch eine Schwierigkeit auf: Trotz aller prinzipieller Qualität der Songs ist das Album ein wenig zu lang, droht beim Hörer in den zweistelligen Trackzahlen die Aufmerksamkeit zu erlahmen, weil die Band sich sozusagen darauf beschränkt, das Ergebnis zu verwalten, und nur mit der erwähnten abschließenden Coverversion nochmal eine Überraschung hervorzaubert. Das macht die Songs von „Broken Heroes“ bis „As Darkness Calls“ per se nicht schlechter, und interessante Details entdeckt man auch dort durchaus noch (die Spieluhr in „Abduction“ oder ein doch mal classicmetallisches Openingriff in „As Darkness Calls“ beispielsweise), aber man ist da vom Rest des Albums schon gut gesättigt. Freilich kann man diesem Umstand abhelfen, indem man den Player einfach irgendwann ausschaltet, aber dann würden einem ja diese wie beschrieben durchaus gutklassigen Songs entgehen ... Ein Luxusproblem, zweifellos. Dafür schmunzelt man ein wenig über die Bandmitgliederfotos im Booklet: Rolf schaut neutral, Markus zumindest auf dem Gruppenbild auch, Felix kann sich das Grinsen als der freundliche Gothic-Nerd von nebenan kaum verkneifen, aber die anderen Bandmitglieder machen optisch allesamt den Eindruck, als ob sie den Betrachter im nächsten Moment vermöbeln oder ihm eine der schweren Ketten, mit denen sie posieren, über den Schädel hauen wollen. So richtig paßt das nicht zum familienfreundlichen Bild, das die Musik abgibt (auch Felix‘ Gegrunze klingt alles andere als böse), aber für den reinen Höreindruck kann einem das natürlich egal sein. Gute Scheibe, ohne Wenn und Aber – und auch für Altanhänger in der Gesamtbetrachtung problemlos konsumierbar, falls diese keine Allergie gegen Elektro-Elemente und/oder Cleangesang besitzen.



Roland Ludwig



Trackliste
1Unbroken4:28
2Awaits Me4:08
3Rise And Fall4:59
4Behind The Wall4:31
5The Kingdom4:25
6Inside My Heart5:24
7The Downfall4:02
8My Dreams Have Died4:50
9I Am3:58
10Broken Heroes4:28
11A Piece Of Time4:45
12Voices4:24
13Abduction3:41
14As Darkness Calls4:28
15Like The Tides3:55
Besetzung

Felix (Voc)
Rolf (Git)
Connie (Git, Voc)
Katrin (Keys)
Jason (B)
Markus (Dr)


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