Sind Rammstein ein ehrlicher F(l)ake?
Heute hat die Welt Geburtstag ist eine der ehrlichsten Musikerbiographien, die ich je gelesen habe. Schonungslos legt Flake offen, wer und was Rammstein wirklich sind. Und auch bei sich selber geht er auf den Grund. Dabei wirkt das Ganze nie provozierend oder aggressiv. Dass das Image einer Band (verkaufsfördernd) konstruiert ist, erscheint in seiner Darstellung so selbstverständlich normal, wie die Tatsache, dass der KFZ-Monteur zuhause natürlich nicht den ganzen Tag mit ölverschmierten Händen im Blaumann herumläuft. Der Blaumann ist eine Arbeitskleidung, die bei der Arbeit getragen wird, wie der bloße Oberkörper oder die „Rüstungen“ bei Rammstein. Natürlich werden die abgelegt, wenn man von der Bühne geht. Flake braucht nicht extra zu betonen, dass auch ein erfolgreicher Musiker letztlich ein Mensch wie jeder andere ist. Man merkt das, während er über den Alltag im Backstage-Bereich berichtet und dabei auch seine Gefühle und Gedanken beschreibt. Für viele Fans dürften die Kapitel mehr als überraschend sein, in denen Flake wie bestellt und nicht abgeholt durch die Garderoben geht, mit dem Gefühl nicht recht zu wissen, ob er da jetzt überhaupt hingehört oder nicht – zum Teil während die Backstage Party um ihn herum tobt, ohne von ihm weiter Notiz zu nehmen. Rein formal hat Heute hat die Welt Geburtstag eine Doppelstruktur. Zum einen beschreibt Flake einen Tag während einer Tour, das Fahren im Tourbus, den Aufenthalt im Hotel, den Weg zur Halle, das Warten auf den Konzertbeginn, das Ankleiden, den Trubel im Backstage-Bereich nach dem Auftritt, den Weg zurück ins Hotel. In diese Beschreibungen lässt er immer wieder Erinnerungen an ähnliche, oder ganz andere Erlebnisse einfließen, die ihm währenddessen einfallen. So entsteht nebenbei auch ein Bild von der Geschichte Rammsteins, das wesentlich realistischer sein dürfte, als die Biographie von Ulf Lüdke. Insbesondere der bedeutungsschwangeren Verklärung der Rammstein-Texte tritt Flake entgegen. Lüdke zitiert ihn in seinem Buch mit einem Urteil über die Vorgängerband Feeling B. „Wir waren ein Haufen Dilettanten, und in unseren Texten ging es eigentlich um gar nichts.“ (S. 21) Den Vorwurf des Dilettantismus wiederholt Flake in seinem Buch im Blick auf Rammstein nicht. Aber die Sinnhaftigkeit der Rammstein-Texte scheint er ähnlich zu sehen. Zurück zu der Ehrlichkeit, mit der ich die Rezension begonnen habe. Ist die Biographie auch realistisch? Oder ist sie auch ein Teil der „Bühnenklamotten“, die man braucht, um das Bild seiner Band in die Öffentlichkeit zu bringen? Dazu zwei Schlaglichter. An einer Stelle beschreibt Flake, dass sich (ich glaube es war Till) ein Loch hatte in die Wange schneiden lassen, um eine Lampe einführen zu können, die den Mund während der Show dann von innen erleuchten soll. Daher müsse er jetzt immer einen Korken in der Wange tragen, damit nichts den Mund auf diesem Wege verlassen kann. Zumindest arg schräg, aber in der Zeit des großen Piercing-Wahns vielleicht noch nachvollziehbar. Aber wenn man die Berichte von Flakes eigener Arbeit liest, fragt man sich schon, ob hier nicht massiv mit Jägerlatein gearbeitet wird. Dass Rammstein massiv mit Pyrotechnik arbeiten, ist ja nun kein Geheimnis. Aber wenn Flake die Konzertrealität beschreibt, hat man immer wieder den Eindruck, dass die Gefährdung der Musiker auf der Bühne so hoch ist, dass Todesfälle oder zumindest erhebliche Verletzungen permanente reale Optionen sind. Das klingt dann stellenweise eher nach Kriegsberichterstattung, als nach Konzertbericht. Spaß zu lesen macht das Ganze auf jeden Fall – auch mehrfach! Ich habe das Buch vor deutlich mehr als einem Jahr erstmals gelesen. Und dann lag es … Als ich mich dann an die Rezension machen wollte, hatte ich vieles vergessen, habe noch mal rein geschaut, mich sofort wieder festgelesen und es von A bis Z gelesen. Aber bin dann wieder nicht zum Schreiben gekommen. Als ich die Rezension nun in den Herbstferien endlich erledigen wollte, habe ich noch mal reingeschaut – und war ein drittes Mal gefesselt. Mit anderen Worten: empfehlenswert. Flake hat eine tolle trockene humorvolle Art seine Gedanken zu formulieren. Norbert von Fransecky |
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