Musik an sich


Reviews
Monteverdi, C. (Hollingworth)

The Full Monteverdi. Das 4. Madrigalbuch verfilmt von John La Bouchardière


Info
Musikrichtung: Barock Madrigal

VÖ: 29.10.2007

Naxos / Naxos
DVD (AD 2007) Best. Nr. 2.110244


Gesamtspielzeit: 60:00



MONTEVERDI IN CINEMASCOPE

Wie auch immer man schlussendlich zu der Visualisierung von Claudio Monteverdis herrlichem 4. Madrigalbuch unter der Regie von John La Bouchardière stehen mag: Die vokale Interpretation durch das britische Ensemble I Fagiolini unter der Leitung von Robert Hollingworth gehört zu den intensivsten und bewegendsten Darbietungen, die ich kenne. Keine falsche Pietät. Total gegenwärtig. Ein Monteverdi, der unter die Haut geht. Oder, um es mit einer älteren Kritik des Daily Telegraph zu sagen: Monteverdi with balls.

Die sechs Sänger/innen verfügen über individuelle Stimmfarben, die sie in faszinierender Weise zu einem Ensemble vereinigen. Unter der polyphonen Oberfläche artikulieren sich Individuen: Die geniale musikalische Regie Monteverdis erlaubt den Ausführenden, jeder Partie einen persönlichen Stempel aufzuprägen. Vor allem dann, wenn die einzelnen Stimmen größere Freiräume für eine quasi-solistische Entfaltung gewinnen, scheinen Mozarts späte Opernensembles gleichsam im Embryonalstadium vorzuliegen. So wirkt Monteverdis Kunst immer wieder ausgesprochen zukunftsweisend.
Dazu kommt das vergleichsweise zügige Tempo, das freilich erst im Kontrast mit spannungsvoll verlangsamten Abschnitten seine volle dramatische Wirkung entfaltet.

Vielleicht verdankt sich diese kraftvolle Interpretation auch gerade den besonderen Bedingungen, unter denen sie entstand, handelt es sich doch um eine Filmversion von Monteverdis Madrigalen. Regisseur John La Bouchardière hat dafür eine ebenso einfache wie sinnige Lösung gefunden: Da sich die Madrigale des 4. Buches in der einen oder anderen Weise mit dem Thema der unglücklichen, konfliktbeladenen, stets aber leidenschaftlichen Liebe beschäftigen, hat er die fünf bzw. sechs Sänger/innen mit Schauspielern zu Paaren ergänzt und in ein Restaurant gesetzt, wo sie die Geschichte von sechs Paaren in Szene setzen. Ursprünglich wurde dieses Projekt als reines Theaterstück konzipiert und bereits über 90 Mal mit großem Erfolg aufgeführt. Mit der Filmfassung können nun weitere Orte, Episoden und Bilder eingeflochten werden, um die Paargeschichten zu vertiefen. Durch geschickte Schnitte und wohl auch tontechnische Unterstützung werden bei der Musik solistische Einsätze hervorgehoben, so dass – selbst nachdem der Rest der Sänger/innen hinzugetreten ist – immer wieder Einzelschicksale im Vordergrund stehen.
La Bouchardière unterstütz die Individualisierung geschickt durch seine Bildfindungen. Den begrenzten emotionalen Ambitus der Madrigale, die in kunstvollen poetischen Variationen Liebesfreuden und -leiden behandeln, kann und will er nicht verleugnen. Und so sieht man von Stück zu Stück Menschen, die ihre aktuellen, meist schmerzhaften Gefühle heraussingen.
Dabei hätte sich bei den etwas weniger ernsten, eher neckisch-erotischen Vorlagen wie Nr. 13 Quell’augellin, che canta auch eine entsprechende Inszenierung angeboten. Bei La Bouchardière streiten, verlassen und quälen sich die Paare an dieser Stelle aber weiter. Dafür lassen dann die Bilder zu Nr. 15 Si ch’io vorrei morire keinen Zweifel an den leidenschaftlichen körperlichen Tatsachen, von denen der Text spricht.

Der Film dauert 60 Minuten. Obwohl sich das Konzept gegen Ende etwas erschöpft, sorgt die ungebrochene musikalische Spannung jedoch für durchgehende Hör- und Schaulust. Origineller und ergreifender habe ich Monteverdis Musik bisher weder gesehen noch gehört. Allein für den Versuch und die technisch makellose Ausführung dieser zeitgemäßen Annäherung an die Musik großes Lob!

Es gibt keine Extras, dafür aber ein ausführliches englisches Beiheft. Auch die Untertitel sind nur auf Englisch.



Georg Henkel



Besetzung

Anna Crookes, Carys Lane – Sopran
Clare Wilkinson – Mezzosopran
Nicholas Mulroy – Tenor
Matthew Brook – Bariton
Giles Underwood – Bass

Schauspieler/innen:
Pano Masti, Alan Mooney, Mark Deham, Katherine Peachey, Anna Skye, Gina Peach

Ltg. Robert Hollingworth
Regie: John La Bouchardière


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