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Info
Zeit: 05.06.2024
Ort: Chemnitz, Stadthalle, Großer Saal
Fotograf: Tim Klöcker
Internet:
http://www.theater-chemnitz.de
Seit 50 Jahren gibt es eine Städtepartnerschaft zwischen Karl-Marx-Stadt bzw. Chemnitz und Łódź, und diesem Jubiläum widmet die Robert-Schumann-Philharmonie das letzte Sinfoniekonzert der Spielzeit 2023/24, dessen „Mosty muzyczne – Musikalische Brücken“ betiteltes Programm folgerichtig nicht nur an den beiden üblichen Chemnitzer Konzertabenden gespielt wird, sondern in der Folgewoche auch noch zweimal in Polen: einmal (natürlich) in Łódź und einmal in Wrocław. Leider hält sich der Publikumszuspruch zumindest am vom Rezensenten miterlebten ersten Konzertabend in überschaubaren Grenzen – die Bemerkung „Das sind bald mehr Musiker als Besucher“ eines Anwesenden stellt zwar eine sarkastische Übertreibung dar, aber es bleibt für ein Festkonzert dieses Ranges doch erstaunlich viel Platz im Saal.
Für ein derartiges Konzert bietet sich natürlich die eine oder andere spezielle Programmidee, und mit einem solchen Spezialfall geht es gleich los: Grażyna Bacewicz, gebürtige Łódźerin, schrieb 1943 mitten im Zweiten Weltkrieg und zu einem Zeitpunkt, als Polen noch von der Wehrmacht besetzt war, eine flott-freudige Orchesterouvertüre. Dass das eine Hommage an die Besatzer gewesen sein könnte, steht nicht zu vermuten (die hätten sich auch verbeten, von einer Angehörigen der slawischen „Untermenschen“ derart gewürdigt zu werden) – also bleibt nur die Deutung, dass die zugrundeliegende Freude die über den zumindest im Osten bereits veränderten Kriegsverlauf war, der auch auf eine Befreiung Polens hoffen ließ (was dann in den beiden Folgejahren dort passierte, war kaum vorauszuahnen). Das nur reichlich fünfminütige Werk hält fast durchgehend ein hohes Tempo und hebt noch etwas nervös flirrend an, wobei sich der nervöse Charakter aber bald verzieht und auch die Verharrungen einen Vorwärtsdrang aufweisen. Nur der Seitengedanke mit Glöckchen und Hörern gerät dann sehr pastoral, bleibt aber Episode. Der treibende Teil mit Kleiner Trommel atmet ein paar Parallelen zu Schostakowitsch, der Gesamteindruck gestaltet sich aber spätromantischer als bei diesem. Völlig unironisch bricht sich Lebensfreude Bahn und mündet im flotten Finalgesäge.
Vor dem nächsten Stück wird viel Zeit für einen Umbau benötigt, was Elias Grandy, der mit diesem Programm sein letztes als conductor in residence in Chemnitz dirigiert, aber nicht der neue GMD wird (auch wenn er in der neuen Saison gelegentlich ans Pult zurückkehrt), für eine ausführliche Moderation nutzt. Die Besetzung der Sinfonie Nr. 3 (Sinfonia concertante) von Alexandre Tansman ist reichlich ungewöhnlich – einesteils weil überhaupt Soloinstrumente besetzt sind (in der Gattung Sinfonie eine Seltenheit) und zum anderen, weil es sich nicht etwa um einen einzelnen Solisten handelt, sondern um ein Klavierquartett. Diesen Part übernimmt das Fauré Quartett (Foto), eine der renommiertesten Formationen dieser Besetzung, und der Komponist läßt das Quartett gute Teile des einfach Sinfonia genannten ersten Satzes im Alleingang bestreiten, ehe sich schrittweise die Instrumentengruppen des Orchesters hinzugesellen. Im Satz dominieren eher die zügigeren Tempi, wobei man sich in die Tonsprache des 1932 uraufgeführten Werkes erst ein wenig hineinhören muß, ehe man dann aber diesen Mix aus E- und U-Musik, um mal diese eher unglücklichen, aber verständlichen Hilfskategorien hinzuzuziehen, zu verstehen und richtig cool zu finden beginnt. Vom Klavier hört man zumindest am Sitzplatz des Rezensenten allerdings nur relativ wenig, was freilich durch die immer wieder zutagetretenden wirkungsvollen Schlagwerkeinsätze mehr als nur kompensiert wird. Ein knapper Tuttischluß zieht die Linie.
„Tempo americano“, der Titel des zweiten Satzes, verrät noch mehr über die Einflüsse Tansmans, der aus Łódź stammte, aber schon früh nach Frankreich ausgewandert ist und dort u.a. mit George Gershwin an der Orchestrierung von „An American in Paris“ gearbeitet hat – und dass einem die jazzigen Passagen in diesem zweiten Satz fast gershwinesk vorkommen, stellt daher so gar keinen Zufall dar. Ins flotte Gewebe ist bläserdominierter, schwer groovender Slowblues eingewirkt, die Celesta klingt förmlich außerirdisch, und nach einem eher knappen B-Teil hängt abermals ein eher knapp formulierter Schluß an.
Das Andante pesante kommt eher düster daher und versprüht eine Atmosphäre wie in Mussorgskis „Hütte der Baba-Jaga“, die Tansmans väterlicher Freund Maurice Ravel ja orchestriert hatte. Der Pianist sorgt hier für großes tiefes Gedonner, auch das feiste quartettlose Orchestertutti verbreitet akustische Finsternis, und die ruhigeren Passagen hätte auch ein Gustav Mahler mit ähnlicher Düsternis gestalten können. Grandy leitet souverän und oft mit einer Hand am Pultgitter – eine Haltung, die man von Andris Nelsons kennt, der bekanntlich auch prima Fähigkeiten für die Gestaltung düsterer Klangwelten besitzt. Zufall? Wie auch immer: Ein markanter Tonartwechsel scheint den Weg zu friedlicherer Stimmung zu bahnen, aber das bleibt Theorie – das Satzfinale wälzt sich wieder im düster-sinistren Bereich.
Das Finale nimmt Grandy sehr flott und erhöht damit die Gefahr, dass das beim Hörer einfach so durchrauscht. Die haltenden Haken werden eher vom Orchester eingeschlagen, wobei allerdings auch die Quartettfuge richtig viel Hörspaß macht. Und im Tutti kann man immer noch seine Aufmerksamkeit auf die teils nur minimalen, aber wirkungsvollen Einwürfe aus dem Schlagwerk lenken. Ein kurzer, aber breiter Bombastschluß beendet das eher ungewöhnliche Werk, das aber reichlich beklatscht wird, so dass eine Zugabe kommt, natürlich auch von allen vier Quartettmusikern bestritten und nicht nur einen Direktbezug zum Namen der Formation auffahrend, sondern dieser auch vom Komponisten direkt gewidmet: Es erklingt der Faurétango von Eduardo Hubert, ein vielschichtiges Stück mit einigem Witz, aber auch einer großen integrierten Elegie, in die das Klavier eine markante Baßlinie legt. Schrittweise kommt wieder Tempo ins Geschehen, die Violinistin stampft mit ihren roten Schuhen auf, und der Schluß gerät abermals sehr witzig.
Ein direkter Bezug von Anton Bruckner zu Łódź ist zumindest dem Rezensenten nicht bekannt, aber Linz hat auch vier Buchstaben, beginnt mit L und endet auf z (wenn man mal die diakritischen Zeichen außer acht läßt), und außerdem gedenkt die Musikwelt anno 2024 dem 200. Geburtstag des großen Sinfonikers – also ist das auch gleich das Festkonzert für ihn, und die Wahl seiner 5. Sinfonie B-Dur für das Programm mutet daher nur folgerichtig an, zumal es sich um ein Werk handelt, wo der Dirigent nochmal vor reihenweise interessanten, aber nicht zu obskuren Aufgaben steht, ergo seine Klasse in der traditionsorientierten Sparte beweisen kann. Grandy legt das Adagio der Introduktion erstmal sehr bedächtig an, achtet aber schon hier auf einen stetig schreitenden Rhythmus aus den Kontrabässen. Das Bläserthema meißelt er noch aus Stein, das Allegro-Hauptthema bettet er aber recht tief ins umliegende Geschehen ein. Die Überleitung zum Pizzikato-Block wackelt etwas, aber er faßt schnell wieder Grund – und für die die Spannung wirkungsvoll zerreißenden beiden Huster im Pizzikato-Block kann er ja nichts. Ansonsten findet er einen gangbaren Weg durchs Labyrinth, das der große Österreicher aufgebaut hat, setzt die Dynamikgrenzen schon hier recht weit außen, liebt es, wenn die Gedanken recht schroff aufeinanderprallen, nimmt den Satzschluß aber wiederum eher fließend und nicht blockhaft.
Der Begriff „Sehr langsam“, unter dem das Adagio steht, läßt sich natürlich trotz einer gewissen Fixierung der Erwartungshaltung immer noch unterschiedlich auslegen. Grandy wählt zunächst eine durchaus nicht schleppende, eher lieblich als finster anmutende Herangehensweise, entscheidet sich im großen Trauergesang dann für breite Langsamkeit, die er aber mit einem sehr treibenden Gestus kombiniert, so dass sich etwa auch den eher schreitenden Passagen besser nichts entgegenstellen sollte. Zur richtigen Entrückung fehlt allerdings noch ein Stück, auch wenn die flötendominierten Passagen schon relativ weit in diese Richtung tendieren. Statt dessen packt der Dirigent die Peitsche aus und quält die Zuhörer (planmäßig!) durch die letzten Minuten zum quasi hingetupften Satzschluß (das ist dann das Zuckerbrot).
Das Scherzo kommt an diesem Abend geradezu schizophren daher, was seinen eigenartigen Mix aus treibendem und bremsendem Charakter angeht. Teils huscht das Geschehen nur so dahin, mutet fast spukhaft an, auch die Schärfe unterliegt einem starken Wechsel. Das Trio wirkt unruhig, fast nervös, bleibt aber eher unauffällig, während die Reprise den Gestus des ersten Teils wiederholt, wobei Grandy bisweilen auf seinem Pult tänzelt und gegen Satzende hin doch stärker auf Schärfe setzt.
Die Adagio-Einleitung des Finales nimmt der Dirigent zunächst sehr akzentuiert und betont einen vorwitzigen Kuckuck, fährt die Markanz der Themenarbeit vor dem Hauptthema aber zurück und hebt erst dieses wieder hervor, wenn auch längst nicht mit dem In-Stein-gemeißelt-Charakter wie im ersten Satz. Wer so einen Charakter vermißt, bekommt ihn dafür im Blechchoral geboten, während die fugierten Passagen etwas Anlaufzeit brauchen, bis sie die richtige Treffsicherheit haben. Auch hier findet Grandy einen guten Pfad durchs kompositorische Geflecht, wobei die Blockhaftigkeit hier vollkommen weicht und auch das lange Triumphfinale eher auf einem Level lagert, statt nochmal groß über Hügel und durch Täler zu wandern. Der ganz große Überwältigungsfaktor bleibt am Ende aus, aber eine interessante, wenn auch uneindeutige Interpretation ist’s allemal, und so braucht auch der Applaus ein wenig Anlaufzeit, um dann aber langanhaltend und in großer Herzlichkeit gespendet zu werden. Die eine oder andere Unsicherheit des ersten Konzertabends wird an den anderen dreien sicher noch beseitigt worden sein, und man freut sich am Ende der Saison irgendwie schon wieder auf die neue, die im Zuge der Ernennung von Chemnitz zur Europäischen Kulturhauptstadt anno 2025 das eine oder andere spezielle Zuckerl bringen wird.
Roland Ludwig
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