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Info
Zeit: 29.03.2023
Ort: Leipzig, Haus Auensee
Internet:
http://www.apocalyptica.com
http://www.epica.nl
Was Nightwish widerfahren ist, widerfährt analog auch Epica: Dreimal fällt der geplante Leipzig-Gig ins pandemische Wasser, und erst der vierte Anlauf gelingt nun, als 36. und letzter Gig der „The Epic Apocalypse“ getauften Tour. Zu hoffen bleibt im Vorfeld also, dass ähnlich wie im Dezember 2022 auch hier ein Freudenfeuer entzündet werden kann. Leider erfüllt sich diese Hoffnung, um es vorwegzunehmen, nur in eingeschränktem Maße oder gar nicht, woran weniger die Musik selbst als vielmehr andere Faktoren eine Aktie besitzen.
Primäres strukturelles Ärgernis ist das Zeitmanagement. Der Rezensent kommt aufgrund verkehrstechnischer Probleme erst 20 Minuten nach dem verbrieften Starttermin 20 Uhr in Hörweite des Hauses Auensee (man muß von Wahren aus kommend an der Längsseite des Gebäudes vorbeilaufen, um zum auf der anderen Seite befindlichen Eingang zu gelangen), und ihm schwant plötzlich Böses angesichts dessen, was da akustisch aus dem Gebäude dringt, nämlich Musik von Epica. Also nix mit lediglich 20 Minuten Wheel verpassen, wie er im stillen gehofft hatte und wie es bei normalem Gig-Zeitmanagement eingetreten wäre. Später stellt sich heraus, dass Epica bereits 19.50 Uhr begonnen haben und Wheel schon 19 Uhr – diese Information war denjenigen, die ihre Tickets bei Eventim bezogen haben, bereits in der Vorwoche mitgeteilt worden, berichten mehrere Besucher dem Rezensenten. Es handelt sich also um keine grundsätzliche Neuigkeit – für so manchen anderen Besucher inclusive des Rezensenten aber schon: Die Lokalzeitung LVZ kommuniziert am Konzerttag den Starttermin 20 Uhr, zumindest am Vortag steht dieser auch noch auf der Homepage des Hauses Auensee (am Konzerttag selbst hat der Rezensent diese nicht noch einmal konsultiert), und auf der Facebook-Seite der Location wird, wie der Rezensent später bei der Nachrecherche feststellt, zwei Tage vor dem Konzert sogar eine Ankündigung gepostet, aber ohne jegliche Information über die Vorverlegung, auch nicht als Antwort auf eine dort gestellte Frage einer Anhängerin, die auf unterschiedliche Zeitangaben gestoßen war. Hier haben also offensichtlich gleich mehrere Kommunikationsketten versagt.
Über die erste halbe Stunde des Epica-Gigs kann der Rezensent also nichts berichten und über Wheel gar nicht. Das nächste strukturelle Problem lauert aber schon: Der Innenraum des Hauses Auensee ist voller Menschen, und der Rezensent steht unter der hinteren Empore weit hinter dem Mischpult fast hinten an der Tür, weil in die Sardinenbüchse nach vorn kein sinnvolles Durchkommen ist. Immerhin ist von dort aus die Bühne samt der Videoprojektionsfläche gut einsehbar, und auch die Soundverhältnisse gestalten sich dort überraschend gut – zwar ein Stück von der Ideallinie entfernt, aber in angenehmer Lautstärke und transparent genug, dass man wenigstens einen guten Teil der Feinheiten in der Gitarren- und Keyboardarbeit mitbekommt, während die Drums erfreulicherweise nicht alles akustisch niederknüppeln und auch die drei Gesangsmikrofone so eingestellt sind, dass ihre jeweiligen Bediener gut zu vernehmen sind. Der Soundmann trägt ein Epica-Shirt, bemerkt der Rezensent später – es könnte also sein, dass es ein bandeigener ist, der die Tücken des nicht einfach zu beschallenden Hauses Auensee erkannt und gekonnt umschifft hat.
Solcherart sind dann zumindest gewisse Grundvoraussetzungen geschaffen, dass zumindest die hintere Hälfte des Epica-Gigs doch noch einiges an Beglückungsmomenten auffahren kann. Das Sextett hat sicht- wie hörbar Freude an der Bühnenarbeit, rochiert permanent und verfügt über einen Scherzbold am Keyboard, der sein Instrument rotieren läßt, mit ihm durch die Gegend rollt und sogar von einer Plattform aus in dessen Richtung springt, wobei er den nächsten Einsatz stets punktgenau schafft. Seine originelle bogenförmige Keytar hat er natürlich auch wieder am Start. Sängerin Simone wiederum ist gleichfalls in guter Form (das war 2015, als der Rezensent die Band schon einmal erlebt hat, nicht so – damals schleppte sie eine Erkältung mit sich herum und mußte vor allem in den Höhen arg kämpfen, und der Rezensent freut sich daher besonders, ihre Stimme endlich mal im Vollbesitz der physischen Möglichkeiten begutachten zu können) und punktet zudem mit grundsympathischen Ansagen in fast perfektem Deutsch. Auch die Videoprojektionen wissen mit oft nicht sonderlich komplizierten, aber wirkungsvollen Mitteln zu überzeugen. Von der Setlist her spielen sich Epica kreuz und quer durch ihr symphonicmetallisches Schaffen, naturgemäß mit einem kleinen Fokus auf dem aktuellen Omega-Album, zum Leidwesen des Rezensenten allerdings ohne den Titeltrack des The Phantom Agony-Albums, der ihn im 2015er Set am stärksten beeindruckt hatte. Im letzten Song kommt dann plötzlich die Aufforderung zu einer Wall of Death samt anschließendem Circle Pit. Wie die vor der Bühne das schaffen, sich entsprechend umzugruppieren, kann der Rezensent nicht sagen – vielleicht ist die Sardinenbüchse ganz vorn auch nicht ganz so dicht gefüllt wie weiter hinten. Das Publikum spendet zwischen den Songs reichlich Applaus, verfällt aber meist noch vor dem nächsten Song in andächtige Stille, was auch Simone auffällt und ironisch thematisiert wird. Ein langes Outro vom Band macht klar, dass keine Zugaben eingeplant sind. Der Verantwortliche für die Pausenmusik verdient sich anschließend ein Sonderlob für die überwiegend sehr geschmackvolle Auswahl, die in Material vom Threshold-Meisterwerk Legends Of The Shires gipfelt.
Setlist Epica:
Alpha – Anteludium (Intro)
Abyss Of Time – Countdown To Singularity
The Essence Of Silence
Victims Of Contingency
Unleashed
The Final Lullaby
The Obsessive Devotion
In All Conscience
Rivers
Code Of Life
Cry For The Moon
Beyond The Matrix
Consign To Oblivion
Apocalyptica hatte der Rezensent in seinem letzten richtig großen Hallenkonzert vor der Pandemie live gesehen, nämlich in der Leipziger Arena als Support von Sabaton. Schon damals nutzten die Finnen die Möglichkeiten des Tourtrosses, um bestimmte Spezialitäten aufzutischen, nämlich Songs, in denen der weibliche Gesangspart von Elize Ryd übernommen wurde, die damals mit Amaranthe als erster Supportact agierte. Diesmal bitten Apocalyptica zwei Epica-Mitglieder auf die Bühne, zunächst Simone mit ihrer zauberhaften Klarstimme für „Rise“ und dann Mark mit wüstem Shouting für „Bring Them To Light“. Franky Perez ist wieder mit von der Partie (2020 fehlte er) und greift ab „I’m Not Jesus“ für einige Songs zum Gesangsmikrofon, nämlich „Not Strong Enough“, „Shadowmaker“ (Titeltrack seines 2015er Einstiegsalbums bei der Band) und „I Don’t Care“ (das es 2020 mit weiblichen Vocals gab). Cell-O, anno 2020 justament erschienen gewesen, ist drei Jahre später immer noch das aktuelle Album der Finnen und will natürlich angemessen berücksichtigt werden, während der Schlußteil des Hauptsets mit „Nothing Else Matters“, „Inquisition Symphony“ und „Seek & Destroy“ wieder ganz weit in die Vergangenheit der Cello-Rocker eintaucht, letztere Nummer abermals mit einem Ausflug gen „Thunderstruck“ garnierend. „Farewell“ und das erneut mit diversen Zutaten versehene Grieg-Stück „In The Hall Of The Mountain King“ werden als Zugaben serviert.
So weit, so gut? Mitnichten. Der Rezensent hat sich mittlerweile ein Stück nach vorn begeben, zwei Reihen vor dem Mischpult – während der Umbaupause hat eine gewisse Publikumsrochade stattgefunden, an deren Ende die Leute zumindest im vorderen Teil freilich abermals stehen wie die Sardinen, so dass Headbangen schon zu gewissen strukturellen Problemen führt. Die Haupthaken an der Sache sind aber zwei andere. Einesteils scheint die Person an der Lichtregie einen Vertrag mit der Leipziger Augenoptiker-Innung zu haben, wenn man die Intensität der Publikumsblendung durch die Stroboskope als Maßstab nimmt. Bei Epica waren diese nur in Maßen (allerdings nach hinten heraus auch mehr) eingesetzt worden – eine weise Entscheidung, denn ansonsten hätte man die Videoprojektionen nicht vernünftig betrachten können. Apocalyptica haben als Projektion meist nur ein Bandlogo, ergänzt durch einige wenige Livebilder – wenn man die Augen schließt, entgeht einem also wenigstens nicht viel, aber hochgradig nervig ist das Ganze doch. Zum zweiten aber wird das Soundgewand zum epischen Scheitern, denn der hier aktive Soundmensch gehört zu der dankenswerterweise weitgehend, aber leider eben noch nicht komplett ausgestorbenen Gattung derjenigen, die meinen, Heavy Metal (und trotz Abwesenheit von Gitarren ist auch das, was Apocalyptica machen, zumindest metalverwandt) müsse live im wesentlichen aus Schlagzeug bestehen. Das Leadcello und die Leadvocals, wenn es denn welche gibt, hört man gut durch, ansonsten herrscht ein Mix aus Schlagzeug und einem Cello-Grundgeräusch. Dass auch aus den anderen Celli strukturell Interessantes kommt, wird erst ab „Nothing Else Matters“ annähernd nachvollziehbar, aber da ist der Set halt auch so gut wie vorbei. Interessanterweise stellt sich das Problem als nicht ganz so gravierend dar, wenn Mikko Sirén das neben ihm aufgebaute E-Kit nutzt, was er in drei, vier Songs tut – aber das Hauptkit übertönt lange Zeit viele andere Frequenzen. Der von den Strobos sowieso schon genervte Rezensent flüchtet nach fünf Songs nach rechts hinten – unter der rechten Seitenempore ist überraschend viel Platz, offenbar weil diverse Epica-Anhänger schon den Heimweg angetreten haben. Der Sound ist dort nicht wesentlich besser, aber man kann sich zumindest so aufstellen, dass man nur einen kleinen Teil der Bühne sieht und nicht dauernd in die Strobos blickt. Das Publikum benimmt sich übrigens genauso wie bei Epica: Man applaudiert direkt nach dem Ende der Songs, aber dann wird es plötzlich still. Im Gegensatz zu Simone ist bei Apocalyptica aber nicht immer jemand zur Stelle, der dann etwas sagt, da Perttu seine Moderatorentätigkeit auf einige wenige Ansagen konzentriert und auch Franky nur dann mit dem Publikum spricht, wenn er gerade da ist. Spielfreude und Originalität bieten die Finnen samt ihren Gästen natürlich trotzdem reichlich, soweit man das eben nachvollziehen kann, und der ruhige erste Teil von „Farewell“ ist sogar für die eine oder andere Gänsehaut gut, was in „Nothing Else Matters“ das teils barbarisch schief mitsingende Publikum noch verhindert hatte. Aber in der Gesamtbetrachtung bleibt trotzdem ein zweifelhafter Gig, der immerhin die Maßstäbe wieder mal zu justieren hilft und einem klarmacht, wie herausragend und beglückend die in allen Komponenten richtig guten Konzerte doch sind.
Setlist Apocalyptica:
Ashes Of The Modern World
Grace
I’m Not Jesus
Not Strong Enough
Rise
En Route To Mayhem
Bring Them To Light
Shadowmaker
I Don’t Care
Nothing Else Matters
Inquisition Symphony
Seek & Destroy
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Farewell
In The Hall Of The Mountain King
Roland Ludwig
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