Artikel
Info
Zeit: 30.01.2020
Ort: Leipzig, Arena
Fotograf: Cobra Agency
Internet:
http://www.nuclearblast.de
http://www.sabaton.net
Ein Konzert einer traditionellen Metalband in Leipzig an einem Donnerstag in der Arena, wo sonst Acts vom Kaliber Udo Lindenberg oder Status Quo spielen? Da besagte Stilistik in der Messestadt über viele Jahre hinweg einen eher schweren Stand hatte, kommt gewisse Skepsis auf und die Vermutung, die Halle sei wahrscheinlich mittig abgeteilt, wie das in der Vergangenheit schon gelegentlich der Fall gewesen war. Auch steht 19 Uhr, als der Rezensent in Hör- und Sichtweite am Westeingang vorbeikommt und aus dem Inneren das Intro von Amaranthe erschallt, keine Schlange am Einlaß und am Osteingang, wie er kurze Zeit später feststellt, auch nicht. Wie ist also die Lage?
Die Antwort gibt es einige Minuten später, als der Rezensent die Halle betritt: Nein, die Halle ist nicht abgeteilt. Das Mischpult steht vielleicht zehn Meter vom hinteren Hallenende entfernt, und das Areal zwischen ihm und der Bühne ist zwar nicht ultradicht bestanden, aber doch ziemlich gut gefüllt, und auch die Ränge sind zur Hälfte besetzt, was eine Besucherzahl ergibt, die für ein Traditionsmetalkonzert an einem Wochentag in Leipzig sehr, sehr ungewöhnlich ist, zumal die 4500 Leute (so die Zahl, die der Kollege von der Leipziger Volkszeitung postuliert), wie sich herausstellt, quasi alle auch wirklich wegen Sabaton da sind und nicht wegen Apocalyptica oder Amaranthe. Letztere sind, nachdem sie pünktlich 19 Uhr begonnen haben (von den beiden im Netz kursierenden Anstoßzeiten 20 oder 19 Uhr stellt sich letztere also als korrekte Option heraus), mittlerweile bei „Hunger“ angekommen und machen mit den beiden Folgesongs ihr komplettes Spektrum klar: „Amaranthine“ als Halbballade, „GG6“ als heftiger Brocken an der Grenze zwischen Melodic Death und Nu Metal, wobei derartige Härtegrade allerdings selten bleiben und die schwedisch-dänische Kollaboration zumeist eine familienfreundliche Version des modernen Melodic Death spielt und Puristen durch massiven Einsatz von Keyboards und Samples zum Kopfschütteln (nicht Headbangen!) verleitet, wobei diese Elemente komplett vom Band kommen, also kein Keyboarder auf der Bühne steht, obwohl man das Vorhandensein eines solchen bei einer Personaldecke von 6 und nur einfacher Planstelle des Gitarristen durchaus mutmaßen könnte. Aber drei der sechs Personen sind Sänger, in immer wieder wechselnden Konstellationen aktiv, wobei die beiden Herren durchaus beide sowohl zu herberen als auch zu cleanen Vocals fähig sind. Dazu kommt als Blickfang Elize Ryd, die ihre herausgehobene Stellung allerdings auch stimmlich rechtfertigen kann und zudem fleißig am Headbangen ist. Skurrilerweise verlassen nicht nur die Sänger gelegentlich die Bühne, auch der Gitarrist und der Bassist verschwinden immer mal, wenn ein längeres Intro vom Band kommt. Das Soundgewand ist als durchschnittlich zu bezeichnen: Anfangs sind die Drums zu leise, in der Setmitte dann angemessen laut und zum Ende hin zu laut, während ansonsten die Samples nicht selten eine erdrückende Wirkung entfalten, was viele der Anwesenden aber nicht zu stören scheint, denn das Sextett bekommt für seinen Set, der sich quer in ihrem Schaffen bedient, allerdings mit Fokus auf das selbstbetitelte Debütalbum und gar nicht so viel vom aktuellen Album Helix einflechtend, schon einiges an Applaus, wenngleich die große Begeisterung ausbleibt.
Setlist Amaranthe:
Helix Intro
Maximize
Digital World
Hunger
Amaranthine
GG6
Helix
That Song
Call Out My Name
The Nexus
Drop Dead Cynical
Apocalyptica hatten anno 2013 schon mal in der Arena gespielt, damals gemeinsam mit dem MDR-Sinfonieorchester – „Wagner Reloaded“ hieß das Programm, das der Rezensent weiland verpaßte, und überhaupt hat sich noch nie die Gelegenheit ergeben, dass er die Finnen mal live erlebt, so dass dieser Abend also eine Premiere für ihn darstellt. Interessanterweise war gemäß der eingeforderten Handzeichen allerdings auch sonst so gut wie keiner der Anwesenden bei besagtem Ereignis anwesend gewesen. Die Truppe hat ein ganz neues Album draußen, Cell-O heißt es und stellt naturgemäß mehrere Beiträge zur Setlist, wobei „En Route To Mayhem“ deutlich macht, was diese Formation für eine dynamische Bandbreite abdecken kann, und damit mehr oder weniger prototypisch für die Eigenkompositionen stehen darf. Wer indes nicht mehr mit von der Partie ist, das ist Sänger Franky Perez, der zum 2015er Shadowmaker-Album als festes Bandmitglied hinzugestoßen war – aber die mit drei Celli plus Schlagzeug antretenden Finnen nutzen die Möglichkeiten des Tourpackages geschickt aus, denn da ist ja Elize Ryd verfügbar, und das bietet die Chance, das Rammstein-Cover „Seemann“, auf Platte einst vokalisiert von Nina Hagen, mal wieder auszubuddeln. Der bis dahin vor allem celloseitig etwas zu diffuse Sound wird „pünktlich“ zu diesem Song klar genug, um zu erkennen, dass sich die Vokalistin mit der deutschen Sprache recht gut schlägt und auch ansonsten gestalterisch überzeugt, und weil Apocalyptica um ihre Qualitäten wissen, bleibt sie gleich auf der Bühne und singt auch noch „I Don’t Care“ vom Worlds Collide-Album, bevor mit „Grace“ ein Song kommt, zu dem die Band in einem lustigen Denglisch das Auditorium auffordert, die Hinterteile zu bewegen, was freilich vom Sound nicht so richtig unterstützt wird: Die Aufgabe, das „Baßcello“ mit den Drums zum gemeinsamen Groove zu bringen, kann den ganzen Set hindurch nicht gelöst werden, wenngleich zumindest Celloriffs und -melodien schrittweise klarer durchhörbar werden. Das hintere Setdrittel gehört dann einem Hitfinale: Apocalyptica hatten in den letzten Jahren mal wieder ihre Frühzeit als Metallicainterpreten gewürdigt, und das tun sie auch jetzt, zunächst mit einer ausladenden Version von „Seek & Destroy“, in dessen Schlußteil sie „Thunderstruck“ einer gewissen australischen Band einschmuggeln. Dann wird dem Publikum augenzwinkernd „some trve Norwegian Black Metal“ versprochen, und es erklingt Edvard Griegs „Hall Of The Mountain King“, auch hier nicht ohne Einjammen anderer Themen von Bach oder Beethoven (und Grieg hat übrigens weiland in Leipzig studiert!). Als Setcloser kommt „Nothing Else Matters“ und gerät so lange zur traumhaften Ballade, bis der Drummer an ein elektronisches Pad wechselt und damit so sterile Klänge erzeugt, dass einem jegliches Gefühl einfriert. Offenbar geht es auch anderen Anwesenden wie dem Rezensenten, denn der Schlußapplaus bleibt irgendwie mager, und keiner fordert eine Zugabe ein, obwohl nach den vorgelagerten Songs durchaus recht gute Stimmung geherrscht hatte. Schade drum.
Setlist Apocalyptica:
Ashes Of The Modern World
Path
En Route To Mayhem
Seemann
I Don’t Care
Grace
Seek & Destroy
Hall Of The Mountain King
Nothing Else Matters
Aber das Hauptinteresse des Publikums gilt sowieso Sabaton. Die legen zunächst zwar auch eine eher seltsame Vorstellung von Setdramaturgie an den Tag, indem sie gleich zwei orchestrale Intros hintereinanderpacken und es damit dem Publikum schwermachen, den Spannungspegel schrittweise, aber kontinuierlich zu heben – aber als es dann mit dem Hauptteil von „Ghost Division“ endlich losgeht, dauert es auch nur einen Wimpernschlag, bis die Stimmung am Kochen ist, und das ändert sich auch nicht etwa, weil in der ersten Showhälfte gleich eine ganze Batterie Songs des neuen Albums The Great War steht, im Gegenteil: Auch dieses Material scheint weitreichend bekannt zu sein, was durchaus logisch anmutet, ist es doch immerhin das erste Nr.-1-Album der Band, und irgendjemand muß es folglich gekauft haben. Von diesen Jemanden sind offensichtlich viele in Leipzig anwesend, singen fleißig mit und machen auch ansonsten einiges an Stimmung, was allerdings in den älteren Songs in gleicher Weise zutrifft. Nur in wenigen Songpausen entsteht mal kurz Stille in der Halle, und auch dann gibt es immer noch einige Enthusiasten, die diese Gelegenheit zum Anzetteln von „Noch ein Bier!“-Rufen nutzen, was bei Sabaton-Gigs ein Running Gag geworden ist, um Sänger Joakim zum Hinterkippen des einen oder anderen Bechers Gerstensaft zu animieren, wobei an diesem Abend gelegentlich auch alle fünf Musiker dieser Aufforderung nachkommen. Aber natürlich ist das nur ein Gimmick, denn im Krieg ist das Bier bekanntlich rar: Sabaton fokussieren sich ausschließlich auf Kriegsthematiken, weder glorifizierend noch verdammend, sondern einfach beschreibend, aber die Gelegenheiten natürlich für eine spektakuläre Bühnenshow nutzend. So viele Pyros wie hier hat der Rezensent vermutlich noch auf keinem Metalkonzert erlebt (und er war schon auf vielen hundert solchen), dauernd knallt oder explodiert irgendwo irgendwas, und trotzdem hat man nie das Gefühl, die Band wolle etwa von musikalischen Defiziten ablenken. Zwar ist gerade Joakim an diesem Abend tatsächlich nicht ganz so gut bei Stimme und wird zudem in den tieferen Passagen abmischungstechnisch eher stiefmütterlich behandelt, aber die beiden Gitarristen präsentieren sich in Topform, wobei der jüngste Neuzugang Tommy, dem metallischen Gourmet von ReinXeed, Golden Resurrection und Dutzenden anderen Bands/Projekten aus dem Narnia-Umfeld wohlbekannt, die etwas schredderigeren Soli spielt. Auch die Rhythmusgruppe ist prima drauf – und dann kommt zudem noch Verstärkung auf die Bühne: Sabaton haben letztes Jahr eine Neufassung von „Angels Calling“ erstellt, zusammen mit den Apocalyptica-Cellisten, und weil die ja sowieso da sind, bietet es sich natürlich an, diese Nummer auf der Tour auch zu performen. Aber dabei bleibt es nicht – die nächsten vier Songs, also alle bis zum Ende des regulären Sets, spielen die Cellisten auch noch mit, darunter auch durchaus flotteres Material wie „Fields Of Verdun“. Leider ist die Soundfraktion damit zunehmend überfordert: In „Angels Calling“ gelingt die klangliche Einbindung der Cellisten noch prima, in „Fields Of Verdun“ und „The Price Of A Mile“ auch noch einigermaßen, aber in „The Lion From The North“ hört man sie nur noch im Intro und in „Carolus Rex“ quasi gar nicht mehr bzw. nur noch als diffuses Hintergrundgeräusch. Das ist in gewisser Weise schade, aber man kann’s auch anders sehen und sich freuen, dass wenigstens „Angels Calling“ diesbezüglich eine Bereicherung erfahren hat. Und es gibt noch eine solche: Kommen die Keyboards ansonsten vom Band, so wird für „The Red Baron“ ein echtes Tasteninstrument auf die Bühne geholt, um die Hammondklänge für diesen Song beizusteuern, angesagt und angespielt übrigens von Tommy, der ein paar Motive aus der Bach zugeschriebenen Toccata d-Moll BWV 565 einwirft. Und Sabaton wären nicht Sabaton, besäßen sie kein Händchen für Detailgestaltungen: Die Tastatur ist in ein rotes historisches Flugzeugmodell eingebaut, „The Attack Of The Dead Men“ spielen sie in Gasmasken undsoweiterundsofort. Auf der Leinwand im Bühnenhintergrund erscheinen historische Kriegsaufnahmen, oft aber überblendet mit Livebildern von der Bühne, was interessante Effekte zeitigt. Aber all das wäre nichts wert, würde die Musik nicht stimmen. Sicherlich sind Sabaton nicht originell und auch nicht die beste Band im aktuellen Traditionsmetalzirkus – aber das, was sie machen, das machen sie gut und hochprofessionell, und vor allem schreiben sie Hymnen, Hymnen und Hymnen, die eingängig genug sind, dass man den Refrain beim zweiten Hören mitsingen kann, aber auch anspruchsvoll genug, dass man auch beim zehnten Hören noch genug interessante Details entdeckt. Und sie haben sowohl ein starkes neues Album draußen als auch einen reich bestückten Backkatalog, so dass die etwas über 100 Minuten problemlos hochkarätig gefüllt werden können, sowohl der Hauptset als auch der aus vier Nummern bestehende Zugabenblock, eingeleitet vom Uralthit „Primo Victoria“ vom gleichnamigen Albumzweitling, dessen Refrain samt der eigentümlichen Verschiebung der titelgebenden Worte dem Rezensenten immer noch im Ohr saß, obwohl er die Scheibe weit über ein Jahrzehnt nicht mehr im Player hatte. Nach „Swedish Pagans“ ereignet sich dann noch etwas ganz Spezielles: Joakim entdeckt in der ersten Reihe einen Jungen, der mit seinen Eltern (und riesigen Ohrschützern) anwesend ist. Der Sänger macht dem Neunjährigen klar, dass er verdammt coole Eltern hat, wenn er in dem Alter an einem Wochentag zu so einem Konzert mitkommen darf, ist begeistert über den metallischen Nachwuchs (übrigens nicht der einzige – es sind noch andere Familien mit Kindern in der Halle) und schenkt dem Knirps seine Sonnenbrille, ohne die man ihn sonst nie auf der Bühne sieht – eine Geste, die beweist, dass Sabaton wissen, wo sie herkommen, auch wenn sie jetzt in riesigen Hallen spielen. „To Hell And Back“ beendet einen hochinteressanten Gig auf hohem Niveau, bevor kurioserweise die Introsituation repetiert wird, mit zunächst „Dead Soldier’s Waltz“ und dann auch noch „Masters Of The World“ als Doppeloutro vom Band, was aber in diesem Fall für die Setdramaturgie keine Auswirkungen mehr hat.
Setlist Sabaton:
In Flanders Fields (Intro)
Ghost Division (Intro)
Ghost Division
Great War
The Attack Of The Dead Men
Seven Pillars Of Wisdom
Diary Of An Unknown Soldier
The Lost Battalion
The Red Baron
The Last Stand
82nd All The Way
Night Witches
Angels Calling
Fields Of Verdun
The Price Of A Mile
The Lion From The North
Carolus Rex
--
Primo Victoria
Bismarck
Swedish Pagans
To Hell And Back
Dead Soldier’s Waltz (Outro)
Masters Of The World (Outro)
Roland Ludwig
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