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Wien 1925 (Berg: Kammerkonzert / Strauss: Schatzwalzer – Rosen aus dem Süden)
Info
Musikrichtung:
Klassische Moderne Kammermusik
VÖ: 15.04.2011 (Mirare / Harmonia Mundi/ CD / DDD / 2010 / Best. Nr. MIR 133) Gesamtspielzeit: 55:26 |
SINNLICHES UNDERSTATEMENT
Alban Bergs „Kammerkonzert“ ist eine Freundschaftsgabe für Arnold Schönberg zu dessen 50. Geburtstag. Dem Duo Violine & Klavier sind noch dreizehn Bläser zugesellt - eine originelle Kombination, die quasi-orchestrale Möglichkeiten und faszinierende Farbmischungen auf kleinstem Raum ermöglicht.
Berg wollte mit dieser ausladenden Komposition ein musikalisches Porträt der künstlerischen Dreierfreundschaft von Schönberg, Anton Webern und ihm selbst schaffen. Die Namen werden dem ersten Teil motoartig in Noten vorangestellt - so weit das möglich ist - und ergeben dann für das ganze Werk das thematische Ausgangsmaterial. Neben tonalen Einsprengseln bewegt sich die Musik weitgehend zwischen freier Atonalität und dem strengen Zwölfton-Konstruktivismus Schönbergs. Die Musik ist ausgesprochen komplex, dabei aber immer kompositorisch durchgehört und auch für den Zuhörer nachvollziehbar, wenngleich sich viele Details vor allem im dritten Teil nur nach mehrmaligem genauen Hören erschließen. Der unmittelbaren sinnlichen Wirkung tut das keinen Abbruch. Das „Freundschaftsbild“ ist im Grunde ein „Menschenbild“, das alle möglichen emotionalen Gestimmtheiten und Konstellationen durchspielt. Von daher mag man in dem mal aufgekratzten und kapriziösen, dann wieder launig melancholischen und auch unheimlich verschatteten Stil der Musik auch ein Gegenstück zu den Gesellschaftsbildern Otto Dix‘ oder George Grosz sehen. Das von Dix entliehene Coverbild „Die große Stadt“ scheint auf jeden Fall eine treffliche Wahl zu sein, für die eigentümliche Berg’sche Melange einen assoziativen Zugang zu eröffnen.
Das Orchestre Poitou-Charentes agiert famos, lotet die Partitur detailgenau und prägnant aus. Die Sinnlichkeit und vielfältigen Gestimmtheiten, die in der Musik angelegt sind, werden nicht nur keusch angedeutet, sondern mit Understatement ausgespielt. Alles andere als avantgardistisch verkühlt klingen auch die beiden Seitenstücke auf dieser CD: Bearbeitungen zweier Strauss-Walzer durch Schönberg und Webern. Die Besetzung mit Streichtrio und Akkordeon verheißt volkstümliche Klänge, spielt aber auch mit deren Klischees. Da ist viel Ironie und Pikanterie in der Art, wie die musikalische Substanz umgesetzt wird. Vor der haben sowohl Schönberg und Webern Respekt - Johann Strauss‘ ‚leichte‘ Musik ist eben auch ganz große Kunst.
Georg Henkel
Trackliste
04 Strauss/Webern, Schatzwalzer 8:07
05 Strauss/Schönberg, Rosen aus dem Süden 9:00
Besetzung
François-Marie Direux: Violine
Orchestre Poitou-Charentes
Jean-François Heisser: Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |