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Le Balcon u. a. Kammermusik
Info
Musikrichtung:
Klassische Moderne Ensemble
VÖ: 01.03.2011 (Alpha / Note 1 / CD / DDD / 2005-2010 / Best. Nr. Alpha 175) Gesamtspielzeit: 79:46 |
STYLUS PHANTASTICUS UM 1920
Die Postmoderne kleidet gerne die Schablonen der älteren Musik in neue Klänge. Bei dem französischen Komponisten Lucien Durosoir war es geradezu umgekehrt: Er verkomponierte die beiden zu seinen Lebzeiten (1878-1955) mehr oder weniger aktuellen Strömungen des Impressionismus und der Spätromantik seit den 1920er Jahren auf eine Weise, dass eine eigenwillige Neue Musik dabei herauskam, die den damals populären Neoklassizismus recht hausbacken erscheinen lässt. Ein ornamentaler Konstruktivismus, eine tonale Atonalität, ein formales Wuchern … die Verbindung solcher Gegensätze in Durosoir Musik lassen eigentlich nur ein einzige Etikett zu: originell.
Bei einem Stück wie dem Poème symphonique «Le Balcon» ist der Eindruck geradezu surreal: Ein Streicherensemble intoniert eine Art Tango, der wie eine Vorahnung Piazollas wirkt. Diese Musik wird mit den geradezu psychedelischen Vokalisen eines Damenensembles verwoben. In dieses Passepartout fügt sich ein Bass, der mehr deklamierend denn singend ein Gedicht aus Baudelaires „Blumen des Bösen“ präsentiert. Während die hohen und sehr hohen Sopranstimmen nur episodisch hinzutreten, gestaltet das Streicherensemble ein ununterbrochenes, immer wieder anders geflochtenes Klangband, das minuziös die lyrische Vorlage ausdeutet.
Ein solches organisches Wuchern und Schlingen prägt auch die meisten anderen Stücke auf dieser CD. Durosoirs Idylle für Bläserquartett liegt ein Texte gleichen Titels von Plato in der Paraphrase André Chéniers zugrunde. Über rund 13 Minuten wird diese Vorlage nun abgetastet; es entsteht eine Art Naturbild, das in der Großform einheitlich wirkt, im Detail dagegen aber die Kunst der ständigen Verwandlung setzt. Flöte und Klarinette streuen insektengleiche Episoden ein; man denkt an eine blühende Wiese oder an einen Naturgarten im Spätnachmittagslicht. Dennoch wirkt die Musik nicht einfach nur programmatisch oder literarisch. Dieser „stylus phantasticus“ verlangt eine eigene Art zu hören: Zu viel Aufmerksamkeit fürs Detail führt schnell zur Verwirrung, man muss sich in den größeren Zusammenhang und die besondere Atmosphäre einhören und das Ganze mehr wie ein sich langsam entfaltendes Bild wahrnehmen.
Die Trilogie für Cello und Klavier wie auch das Sonnet à un enfant für Sopran und Klavier wirken im Ganzen etwas bündiger, wenn man so will „traditioneller“. Der Beginn des rund halbstündigen Klaviertrios in ist einer der selteneren Momente, wo der Komponist sparsamer disponiert: ein ominöses, geradezu filmmusikalisch effektvolles Motiv kann sich spannungsvoll entfalten, bevor dann auch hier wieder die unablässigen dichten Metamorphosen das Materials labyrinthisch ausspinnen und weiterentwickeln. In diesen steten, fast schon permutativ anmutenden Verwandlungen nimmt Durosoir Entwicklungen der 1950er Jahre vorweg. Auch die kleinteilige Delikatesse erinnert an Momente der seriellen Musik. Aber auch, wenn manches in seinem unablässigen Entfaltungsdrang etwas sprunghaft, überladen und manieriert wirkt: Durosoir bleibt dabei aber immer fasslich, konkret, „malerisch“ und sinnlich. Seine musikalische Lyrik wurzelt in der Tonalität und nicht in der Mathematik.
Die unterschiedlichen Ensembles widmen sich mit Hingabe der Aufgabe, dieses vergessene Originalgenie dem heutigen Hörer nahezubringen.
Georg Henkel
Trackliste
1 | Poème symphonique «Le Balcon» pour basse solo, cordes vocales et cordes instrumentales | 17:33 |
2 | Sonnet à un enfant pour soprano et piano | 4:38 |
3 | Idylle pour quatuor d'instruments à vent | 13:04 |
4 | Trilogie: Improvisation, Maïade, Divertissement pour violoncelle et piano: I. Improvisation | 3:16 |
5 | Trilogie: Improvisation, Maïade, Divertissement pour violoncelle et piano: II. Maïade | 2:15 |
6 | Trilogie: Improvisation, Maïade, Divertissement pour violoncelle et piano: III. Divertissement | 6:53 |
7 | Trio pour piano, violon et violoncelle en Si Mineur: I. Calme et clair | 13:50 |
8 | Trio pour piano, violon et violoncelle en Si Mineur: II. Lent | 8:10 |
9 | Trio pour piano, violon et violoncelle en Si Mineur: III. Final | 6:48 |
10 | Berceuse pour violoncelle et piano | 3:15 |
Besetzung
Quatuor Diotima
Trio Hoboken
Quintette Aquilon
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |