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Orchesterwerke und -lieder
Info
Musikrichtung:
Orchester
VÖ: 01.02.2004 Capriccio / Delta Music (CD DDD (AD 2002) / Best. Nr. 67 077) Gesamtspielzeit: 67:10 Internet: Capriccio |
VERGESSENE MODERNE
Der österreichische Komponist Egon Wellesz (1885-1974 gehört zur "lost generation" der Tonsetzer aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Jüdischer Abstammung, endete seine höchst erfolgreiche Karriere mit der "Anschluss" seiner Heimat an Hitlers "Deutsches Reich". Zwar gelang ihm die Fluch nach England, doch konnte er dort zunächst nur die Karriere als Musikwissenschaftler fortsetzen; erst nach dem Krieg vermochte er wieder zu komponieren, ohne aber an seine früheren Erfolge anknüpfen zu können: Die neueren Entwicklungen in der Musik wie der Serialismus, blieben ihm, der seinen Stil längst gefunden hatte, fremd: "Man muss seinen Weg gehen, ohne zu suchen und ohne zu fragen und ohne sich beirren zu lassen."
Wellesz war ein musikalischer Kosmopolit: ein Schönberg-Schüler, der sich aber auch mit Claude Debussys beschäftigte und mit einer ganzen Reihe prominenter Zeitgenossen, darunter Darius Milhaud, Paul Hindemith und Béla Bartók, in Kontakt stand.
Der Zwölfton-Doktrin seines missionarischen Lehrers Schönberg folgte er nicht: Zeitlebens blieb er jenem freischweifenden atonalen Stil treu, der sich bereits beim ersten der hier eingespielten Werke, dem spätromantischen Orchesterwerk Vorfrühling aus dem Jahr 1912, andeutet und dann in den Beispielen aus den 30er und 60er Jahre voll ausgebildet ist. Die Atonalität ließ dem Komponisten die Freiheit, seiner musikalischen Imagination zu folgen. Deshalb sind seiner Musik melodische Bildungen ebenso wenig fremd wie tonale Zentren. Auch die (ironische? pathetische?) Anspielung kann man bei Wellesz finden: Wagners "Walküren" lassen bei den "Heia"-Rufen im Lied der Welt grüßen. Bestechend sind die Orchestrierungskünste: "weicher" und weniger "gemeißelt" polyphon als bei Gustav Mahler, tritt bei Wellesz die Klangfarbe in den Vordergrund. Bei aller Spontaneität der Erfindung und kraftvollen Expressivität wirken die Werke dabei erstaunlich organisch - und keinesfalls, wie das Wort "atonal" vielleicht nahelegen würde, "kakophonisch".
Bei der Mehrheit der hier einspielten Stücke handelt es sich um Orchesterlieder: Die Singstimme wird vom Komponisten ausgesprochen instrumental geführt; wortausdeutend und zugleich auf Textverständlichkeit angelegt, fordert sie den Sängerinnen technisch wie gestalterisch einiges ab. Regina Kleeper und Sophie Koch meistern die Sopran- und Altpartie souverän.
Geleitet von Roger Epple, spielt das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin die Musik dazu ausgesprochen virtuos und klangschön: mit in allen Registern rundem, leuchtenden Ton, der Dank der Akustik der Jesus-Kirche in Berlin-Dahlem bestens zu Geltung kommt. Epple verzichtet darauf, die Effekte der Musik platt herauszuspielen: Alles klingt sehr geschmeidig, wie aus einem Guss, dabei farbig und mit markanten Akzenten.
Ein zu Unrecht vergessener Meister in einer sehr hörenswerten Einspielung.
Georg Henkel
Trackliste
02 Leben, Traum und Tod. Zwei Gesänge für Altstimme und Orchester op. 55 (1938/37) 8:15
03 Lied der Welt. Für Sopran und Orchester op. 54 (1936/38) 03:03
04-05 Sonette der Elizabeth Barrett Browning. Für Sopran und Streichorchester op. 52 (1935?) 21:04
09 Ode an die Musik. Für Alt und Kammerorchester op. 92 (1965) 04:46
10 Vision. Für Sopran und Orchester op. 99 (1966) 09:11
11 Symphonischer Epilog. Für großes Orchester op. 118 (1969) 12:36
Besetzung
Sophie Koch (Mezzosopran)
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Ltg. Roger Epple
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06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
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