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Officium defunctorum / Requiem in D
Info
Musikrichtung:
Barock
VÖ: 1.1.2011 (ACCENT / Note 1 / 2 CD / DDD / 2010 / Best. Nr. ACC 24244) Gesamtspielzeit: 101:30 Internet: Collegium 1704 |
EXEQUIEN FÜR AUGUST DEN STARKEN
Als August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, 1733 starb, befand sich die Hofmusik in Dresden gerade in einer Zwischenphase: Kapellmeister Johann David Heinichen war 1729 verstorben. Als Nachfolger hatte der König zwar bereits Johann Adolph Hasse ernannt, doch befand dieser sich auf einer ausgedehnten Italienreise und sollte seinen Dienst erst im Dezember 1733 antreten.
So fiel dem Böhmen Jan Dismas Zelenka (1679-1745) die Aufgabe zu, die Trauermusik zu komponieren. Eine merkwürdige Situation, stand Zelenka doch schon seit Jahren in Dresdner Diensten, war aber bei der Besetzung der Kapellmeisterstelle unrühmlich übergangen worden und hatte wohl - da stilistisch als altmodisch verschrien - nicht gerade den besten Stand bei Hofe. Braver Diener seines Herrn verzichtete Zelenka dennoch darauf, musikalisch durch ein schwaches Werk oder durch die ihm eigenen kompositorischen Exzentritäten Rache zu nehmen. Die Exequien stehen vielmehr ganz in der barocken Traditionslinie, sind zugleich von exzellenter Qualität und durch dramatisches Geschick gekennzeichnet.
Das Officium, das am Nachmittag vor der eigentlichen Trauerfeier gehalten wurde, beginnt mit einem ausladenden, düsteren Invitatorium, das den himmlischen König als Gegenstand aller Anbetung in den Mittelpunkt rückt. Kontrapunktische Strenge und Struktur vermitteln den Eindruck furchteinflössender Erhabenheit, doch frei von Pomp und Pathos. Es folgen die drei Nokturnen, von denen jede drei Lesungen (hier aus dem Buch Hiob) enthält, denen sich jeweils ein Responsorium anschließt.
Während die Responsorien durchkomponiert sind, hat Zelenka die Lektionen nur in der ersten Nokturn für Solo-Stimme vertont und sie in der zweiten und dritten der Ausführung durch einstimmige gregorianische Intonation überlassen. Die eigentlich ebenfalls zum Officium gehörenden Psalmen, die regelmäßig gleichfalls als einstimmiger gregorianische Choral vorgetragen wurden, sind nicht mit eingespielt worden - bedauerlich, wenn man an einer Gesamtrekonstruktion des musikalischen Ablaufs interessiert ist, aber zum Zwecke der Straffung gewiß vertretbar.
Besonders bemerkenswert ist das letzte Responsorium, das Zelenka höchst feinsinnig auskomponiert: Das Zerbrechen der Tore der Unterwelt wird sinnfällig mit einer Generalpause verdeutlichet. Auf die (wie im gesamten Offizium) einstimmig ausgeführte Choralzeile "Requiem aeternam dona ei, Domine, et lux perpetua luceat ei" lässt der Komponist sodann abschließend nur einen Teil der vorangegangenen Textzeile wiederholen - fast flüsterend endet der Chor daher in einer musikalischen Abwärtsbewegung mit dem Text "qui erant in poenis tenebrarum" (die in der Finsternis waren).
Geschickt lässt Zelenka also das Ende gewissermaßen offen und schlägt den Bogen zum feierlichen Requiem am nächsten Tag, welches ja den Text "Requiem aeternam" zu Beginn und Schluss wieder aufnimmt, wobei Zelenka hier am Ende den Aufstieg und das ewige Licht mit einer schwebenden Bewegung der Stimmen nach oben und harmonisch fast ins Ungefähre symbolisiert. Erst damit ist das Gesmtwerk im Sinne zuversichtlicher Hoffnung auf Erlösung abgerundet. Im Übrigen präsentiert sich das Requiem als Gegenteil zum Officium: Von fast heiterer, festlicher Grundstimmung geprägt und zu Ehren des Herrschers mit Pauken und Trompeten besetzt. Manches tönt geradezu tänzerisch beschwingt. Und doch wirkt immer auch der Zug der Trauer hinein, so etwa, wenn nach der prachtvollen instrumentalen Einleitung der Chor zum "Requiem aeternam" überraschend düster einsetzt. Oder wenn zum Schluss der Sequenz noch einmal geflüstert die Zeile "Dona ei requiem" zur Wiederholung gelangt.
Die Sequenz "Dies irae" ist insgesamt recht straff vertont, bietet aber im Recordare ein Duett, das, in seiner Anmut und Innigkeit einem Liebesduett ähnlich, sehr berührend das Flehen der Seele um die Gnade Jesu nachzeichnet. Originell und verwirrend wirkt im Offertorium die Verwendung zweier Fagotte, die den drohend aufgesperrten Rachen der Unterwelt versinnbildlichen. Hinzu kommt immer wieder die klagende Klangfarbe der Chalumeau, wie überhaupt viele der Effekte durch die überreich verwandten Instrumentalfarben erzielt werden.
Es gibt also viel zu entdecken. Dafür, dass diese Entdeckungsreise durchweg lohnend ausfällt, sorgt Václac Luks. Ihn und sein Ensemble Collegium 1704 darf man mittlerweile mit Fug und Recht als "die" Zelenka-Experten schlechthin bezeichnen, die sich dann auch unermüdlich für die Musik des Böhmen einsetzen. Sie lassen vor unseren Ohren ein Klangpanorama entstehen, das bei aller Verfeinerung in den Details doch wahrhaft königliche Größe ausstrahlt. Der atmosphärische Wechsel vom Offizium zum Requiem gelingt sehr gut und auch die Affektkontraste im Requiem selbst werden sorgfältig herausgearbeitet. Unter den durchweg überzeugenden Solisten ragt einmal mehr durch anmutigen und innigen Vortrag Hana Blaziková besonders heraus.
Sven Kerkhoff
Trackliste
Officium defunctorum ZWV 47
1 Invitatorium
2-7 Nocturno I
8-13 Nocturno II
14-19 Nocturno III
CD II
Requiem in D ZWV 46
1-5 Introitus
6-14 Sequentia
15 Offertorium
16-19 Sanctus
20 Agnus Dei
21 Communio
22 Requiem aeternam
Besetzung
Markéta Cukrova: Alt
Sébastian Monti: Tenor
Tomás Král, Marián Krejcik: Bass
Collegium 1704 & Collegium Vocale 1704
Václav Luks: Ltg.
So bewerten wir:
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06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
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