····· Wolvespirit verkaufen Bullshit ····· Rock of Ages - Zusatzshows in 2025 ····· Ally Venable veröffentlicht Video zur neuen Single „Do you cry“ ····· Das zweite Album von Wizrd kommt zum Nikolaus ····· 40 Jahre Helloween - Das muss gefeiert werden ·····  >>> Weitere News <<<  ····· 

Reviews

Mozart, W. A. (Jaocbs)

Die Zauberflöte


Info

Musikrichtung: Klassik Oper

VÖ: 17.09.2010

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi 3 CD / DDD 2009 / Best. Nr. HMC 902068.71)

Gesamtspielzeit: 167:00

MOZART IM HÖRSPIELLAND

Dass auch die schlichtesten Rezitative keinesfalls trockene Kost, sondern pralles Musiktheater sein können, hat René Jacobs zunächst bei früh- und hochbarocken Meistern und zuletzt bei den Opern Mozarts immer wieder demonstriert. Bei einem Singspiel wie der Zauberflöte ist die Herausforderung noch etwas größer. Denn hier gilt es, den oft als mittelmäßig deklarierten Sprechtext Emanuel Schikaneders so zu verlebendigen, dass er mit Mozarts Musik zu einer dramatischen Einheit verschmilzt. Viele lösen dieses Problem, indem sie diesen Text stark kürzen, zumal für eine Schallplattenproduktion. Da genügen dann oft Stichworte als Einsatz für Mozarts Musik, die dann auch schon mal zu einer Folge hübscher Nummern wird.

Anders René Jacobs: Er setzt auf die Qualitäten des Textes, die Fähigkeiten seines Ensembles und die moderne Studiotechnik und macht so aus der Zauberflöte mit einigen pointiert eingesetzten Klangrequisiten ein richtiges Hörspiel, das den Hörer über drei Stunden zu fesseln vermag. Sounds von der Wind- und Donnermaschine, allerlei Wasserklänge vom gruftigen Tröpfeln bis zur rauschenden Kaskade, geheimnisvolle Gongschläge, malerisches Vogelzwitschern und andere Zutaten verleihen den rasch wechselnden Szenen eine stimmige akustische Ausstattung. Und auch das Hammerklavier darf sich hier und da maßvoll kommentierend und illustrierend einmischen. (Bei der ersten Begegnung zwischen Papageno und Pamina ist der Effekt besonders berührend: Wenn bei der Identifizierung Paminas durch den Vogelfänger die Tamino-Arie ganz zart noch einmal im Hammerklavier anklingt, weil sich Papageno ebenfalls in die ihrerseits nicht ganz abgeneigte Pamina verguckt, dann ist das fast schon eine Vorwegnahme wagnerscher Leitmotiv-Technik. Die Motiv enthüllt, was die Protagonisten nicht auszusprechen vermögen. Und das anschließende innige Duett zwischen den beiden zeigt ja auch, dass sie seelisch eigentlich mehr verbindet als Pamina und Tamino! Also: Auch wenn es für diese Improvisations-Praxis keinen Beleg gibt, ist es doch ein gelungener Einfall und in dieser Produktion ganz stimmig umgesetzt.)
Dass der Text nicht trocken deklamiert, sondern klangvoll, mitunter - wie bei den Drei Damen - mit sanglichem Einschlag präsentiert wird, macht ihn farbiger. Schließlich schauspielern alle Beteiligten gehörig und ohne dabei volkstümlich plump zu wirken. Der Charme des Volkstheaters blitzt aber vor allem bei der leichten Wiener Mundartfärbung von Papageno (sehr natürlich und kein Hanswurst: Daniel Schmutzhard) und den Sklaven des Sarastro auf.
Kurz: Am Ende haben alle Figuren durch die Textreue mehr an Tiefe und Menschlichkeit gewonnen, ihre Motive und ihr Charakter werden für den Hörer greifbarer.

Auch Sängerisch hat diese Aufnahme einiges zu bieten: Ein bestens aufeinander abgestimmtes Ensemble, bei dem der Jünglings-Tenor des Tamino von Daniel Behle und die himmlisch strahlende Pamina von Marlis Petersen noch einmal herausragen. Anna-Kristiina Kaappola überzeugt durch ihre Fähigkeit, den schillernden Charakter der Königin der Nacht - verletzte Mutter und beleidigte Herrscherin - noch in den vokalen Exaltationen fühlbar zu machen. Der Gegenspieler der Königin, der Oberpriester Sarastro, gewinnt in der angenehm schlanken Darstellung von Marcos Fink eine ebenso vieldeutige Gestalt zwischen selbstverliebtem Menschheitsbeglücker und gar nicht so tugendhaftem Despoten. Insbesondere die Tatsache, dass dieser Sarastro als Mann in den besten Jahren und mal nicht als ein ältlicher Philosoph gezeichnet wird, verleiht seiner Figur Glaubwürdigkeit.
Sunhae Im entzückt als buffoneske Papagena nicht nur ihren Papageno. Das finale Duett der beiden schäumt über vor Sinnlichkeit und Lebensfreude und entgeht so dem Schicksal der abgenudelten biedermännischen Nummer. Bezaubernd die Drei Damen Inga Kalna, Anna Grevelius und Isabelle Druet, die in Jacobs Lesart individuelles Profil gewinnen. Klangschön und ohne Fehl und Tadel auch die Drei Knaben Alois Mühlbacher, Christoph Schlögl, Philipp Pötzlberger, die der Entrücktheit der Himmelskinder etwas handfest Jungenhaftes beimischen.

Überhaupt zeigt sich Jacobs Talent wieder einmal in der Fähigkeit, die vielen kontrastierenden Szenen und musikalischen Ebenen der Partitur ins rechte Licht zu rücken und so das Märchenhafte, die echte Tragik und den Humor mit dem unterschwelligen vulgärphilosophischen Diskurs lebendig zu vermitteln. Dass es hier wirklich um etwas geht - ums Leben, ums Glück, um die Zukunft dieser Menschen -, dass es echte Prüfungen auf Leben und Tod sind (nämlich da, wo z. B. Pamina oder Papageno sich das Leben nehmen wollen) und nicht nur eine Bühnen- und Effektmaschine abschnurrt, kann man bei René Jacobs erleben.
Diese Zauberflöte ist aus einem Guss; darin ähnelt sie der ganz anders gelagerten historisierenden Einspielung von Arnold Östmann (Decca), deren vergleichsweise monochrome Zartheit auf ganz andere Weise den Zauber des Werks beschwört (allerdings mit stark gekürzten Dialogen). Die Tempi nimmt Jacobs oft zügiger oder auch langsamer als man das aus anderen, vor allem traditionellen Einspielungen gewohnt ist. Dafür hat er allerdings gute Argumente aus der historischen Aufführungspraxis, die er neben vielen anderen interpretatorischen Entscheidungen im umfangreichen Beiheft erläutert. Entscheidend ist, dass die Relationen stimmen. Glänzen lässt die Musik schließlich das punktgenaue und sichere, wunderbar farbintensive Spiel der Akademie für Alte Musik Berlin. Eine zauberhafte Zauberflöte, die Maßstäbe setzt!

Die Ausstattung der Produktion ist hm-typisch aufwendig und geschmackvoll. Informativ ist der Essay von Jan Assmann, der freilich trotz aller Gelehrsamkeit nicht ganz dem mono-perspektivischen Klischee von der „Aufklärungs-Oper“ entgeht. Dass das Publikum nicht nur über die „alte Welt“ der Königin der Nacht (vulgo die Volksreligiosität) aufgeklärt wird, sondern über die alles andere als ideale freimaurerisch-vernünftige neue Sarastro-Welt (Führerkult, Sklaverei, Willkür, Frauenfeindlichkeit, Verdrängung) hat Attila Csampai zuletzt in seinem Buch „Sarastros stille Liebe“ sehr schön herausgearbeitet.



Georg Henkel

Besetzung

Daniel Behle: Tenor
Marlis Petersen: Pamina
Daniel Schmutzhard: Papageno
Sunhae Im: Papagena
Anna-Kristiina Kaappola: Königin der Nacht
Marcos Fink: Sarastro
Inga Kalna, Anna Grevelius und Isabelle Druet: die Drei Damen
u. a.

RIAS Kammerchor

Akademie für Alte Musik Berlin

René Jacobs: Leitung
Zurück zum Review-Archiv
 


So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger