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Hypermusic Prologue. A projective opera in seven planes
Info
Musikrichtung:
Neue Musik Oper
VÖ: 21.05.2010 (Kairos / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2009 / Best. Nr. GCD 922502) Gesamtspielzeit: 120:24 |
EINTÖNIGE THEORIE
Dass die Musik ein klingendes Abbild des Universum sei, ist eine alte Vorstellung, die Musiker und Wissenschaftler gleichermaßen beschäftigt hat. Johannes Keplers „Harmonie der Sphären“ übt nach wie vor eine große Faszinationskraft aus und hat, trotz aller Fortschritte in der Kosmologie, immer wieder Versuche provoziert, sie irgendwie an den Himmelskörpern nachzuweisen und akustisch erfahrbar zu machen. Aber nicht nur der Makrokosmos wurde in dieser Weise musikalisch begriffen, auch der Mikrokosmos lässt sich über das Prinzip der Schwingung erfassen und in musikalischen Analogien darstellen.
Und vielleicht gelingt der Musik kraft ihrer poetischen Synthesemöglichkeiten sogar das, was in der theoretischen Physik immer noch Schwierigkeiten bereitet: Z. B. eine einheitliche Feldtheorie zu entwickeln, die die elektromagnetische, die schwache, die starke und die Wechselwirkung der Gravitation zusammenbringt.
Die Serielle Musik, die in den 1950er Jahren entstand, war so ein Versuch, alle musikalischen Parameter in dieser Form zu vereinheitlichen und auseinander ableitbar zu machen. Der Komponist Karlheinz Stockhausen hat z. B. in seinem berühmten Aufsatz „…wie die Zeit vergeht …!“ Tonhöhen und Dauern in direkte Beziehung gesetzt. Mit seiner Komposition Gruppen hat er dann versucht, diesen Ansatz praktisch umzusetzen. Dabei ging es ihm nie nur um rein innermusikalische Prozesse, sondern auch darum, kosmische Gesetzmäßigkeiten und Ordnungsstrukturen in der Musik zu realisieren und schließlich auch zwischen Physik und Metaphysik zu vermitteln.
Das vorliegende Projekt Hypermusic Prologue. A projective opera in seven planes steht ebenfalls in der Tradition der Vermittlung zwischen Naturwissenschaft und Kunstmusik. Hervorgegangen ist Hypermusic Prologue aus der Kooperation des spanischen Komponisten Hèctor Parra mit der amerikanischen Physikerin Lisa Randall. Randall hat auf der Grundlage des „Randall-Sundrum-Modell 1“ ein Libretto verfasst, das im Wesentlichen eine physikalische Theorie in Dialogform vorstellt. Randall geht in diesem Modell von fünf Dimensionen aus. Zu den vier ersten Dimensionen, die die Raum-Zeit bestimmen, tritt eine fünfte Dimension. Diese vermittelt zwischen zwei dreidimensionalen Branen: der Schwachbrane, auf der wir uns befinden und die Gravitatonsbrane, auf der nahezu sämtliche Gravitationskräfte liegen. Ein duales System also, das über eine Schnittstelle verbunden ist.
Und so ungefähr ist Hèctor Parra in seiner äußerlich aufwändigen Komposition auch vorgegangen. Dramaturgisch besteht dieses Stück aus einem Duett (Stimmen), wobei die Musik als vermittelnde Instanz (Ensemble bzw. Live-Elektronik) die Innigkeit oder Distanzierheit der beiden Partner wie auch die Eigenarten des fünfdimensionalen Universums verdeutlicht. Da gibt es also einen Bariton (James Bobby) als Repräsentanten unserer Brane und einen in diesen verliebte Sopranistin (Charlotte Ellett). Getrieben von wissenschaftlichem Eros macht die Frau sich auf zur Gravitationsbrane und würde doch auch ganz gerne bei ihrem Bariton-Mann verbleiben - das ist der „Plot“. Der typische Konflikt zwischen Partnerschaft und Karriere? Da das Libretto kaum dichterische geschweige denn emotionale Potentiale aktiviert und die ganze Szene über einen klanglich ausgeleuchteten Seminarvortrag im Duett wenig hinauskommt, darf sich jeder Hörer darauf seinen eigenen Reim machen.
Die instrumentale Einkleidung bzw. live-elektronische Verfremdung bzw. Verzerrung der Stimmen zeigt jeweils an, ob sich Sopran und Bariton noch auf derselben Brane befinden. Was die übrigen Parameter der Theorie angeht, geht Parra eher illustrativ vor: So wird beispielsweise aus dem Faktor ,Größe’ einfach die ,Dauer einer musikalischen Phase’, der ,Zeit’ entspricht die ,rhythmische Dichte’ und der ,Masse’ die ,Amplitude und der spektrale Gehalt der Stimmen’.
Sehr didaktisch, das Ganze. Und leider gewinnt der Komponist daraus keine Musik, die über die Dauer von 60 Minuten das Interesse fesselt. Dafür bleibt seine Umsetzung zu eindimensional: Instrumente und Elektronik produzieren die fast immer gleichen, grauen kontrapunktischen Strukturen mit einigen elektronischen Farbtupfern, deren reichbewegte Texturen schnell beliebig und redundant wirken. Um im Bild zu bleiben: Es fehlt an einem Gravitationszentrum (und sei es ein ideelles, poetisches), das der Musik Dichte und Fokus verleihen würde. Es läuft, handwerklich gekonnt und klanglich gewiss ganz zeitgemäß, aber es fasziniert nicht. Auch die vokalen Spezialeffekte bleiben blass, zumal die Stimmen von den Instrumenten dominiert werden. Und da sie im Grunde nur ein physikalisches Modell vorstellen, gibt es eigentlich keine wirkliche Motivation für die Anziehung oder Distanzierung der beiden Figuren. Sie klingen mehr oder weniger avanciert bzw. verstehen sich mal mehr oder mal weniger gut, je nachdem, ob der Klang noch zwischen ihnen vermittelt oder sie einander entfremdet.
Die umfassende Dokumentation der Aufnahme und ein ausführliches, mehrfarbiges Beiheft mit Fotos und Skizzen verdienen ein besonders Lob, können für die relative Eintönigkeit des Ergebnisses aber nicht entschädigen.
Georg Henkel
Trackliste
1 | CD 1: Hypermusic Prologue |
2 | CD 2: Interview mit Parra und Randall |
Besetzung
James Bobby: Bariton
Ensemble Intercontemporain
Clement Power
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |