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Historia di Jephte / Historia di Jonas
Info
Musikrichtung:
Oratorium
VÖ: 06.02.2004 Ligia Digital / Klassik Center Kassel (CD DDD (AD 2003) Best. Nr. Lidi 0202129-03) Gesamtspielzeit: 58:42 |
GEBURTSSTUNDE EINER GATTUNG
Händels Messiah, Bachs Matthäuspassion, Haydns Schöpfung, Mendelsohns Eliah ... diese Meisterwerke kennt eigentlich jeder(?). Und wie immer gilt: Es ist noch kein Meisterwerk vom Himmel gefallen. Auch nicht beim Oratorium.
Gicomo Carissimi (1605-1674) war einer der ersten, der im 17. Jahrhundert daranging, biblische Stoffe mit den neuartigen musikdramatischen Mitteln seiner Zeit zu vertonen. Das klassische Madrigal und die noch junge Monodie standen Pate bei der Geburt einer Gattung, die im Grunde das geistliche Pendant zur Oper darstellte: eben das Oratorium, das bei Carissimi aber noch treffender historia sacra heißt.
Format und Besetzung sind beim frühen Oratorium in der Regel klein und auf das wesentliche konzentriert: Ein historicus (in wechselnder Besetzung) fungiert als Erzähler, die Hauptfiguren bekommen in kurzen Dialogen oder Monologen Gelegenheit, ihren Glauben, ihre Leiden oder heroischen Tugenden vorzustellen, der Chor agiert entweder als Volksmenge, dient zur Illustration dramatischer Momente oder kommentiert das Geschehen. Begleitet werden die Sänger von einer Continuogruppe und einigen wenigen Melodieinstrumenten, in der Regel zwei Violinen.
Der Reiz liegt bei Carissimi in der kunstvollen Ausgestaltung und inspirierten Musik, die optimal auf die kleine, keinesfalls dünn klingende Besetzung abgestimmt ist. Der Komponist erreicht in seinen Werken eine vollkommene Balance der Mittel. Seine sehr sprachnah vertonten "Arien" sind Musterbeispiele subtil registrierter Affekte, und in den Chören erreicht er dank einer sehr farbigen, dissonanzgeschärften Harmonik und den wechselnden Besetzungen sowohl ergreifende als auch monumentale Wirkungen.
Sechs von Carissimis "Sakralen Historien" sind erhalten, zwei der bekanntesten stellt diese Aufnahme vor: die Historia di Jephte ist dem alttestamentlichen Buch der Richter entnommen und erzählt vom charismatischen Heerführer Jephtah aus Gilead, der beim Kampf gegen die feindlichen Stämme Moab und Ammon das fatale Gelübde tut, Gott im Falle des Sieges das erste Lebewesen zu opfern, das ihm bei seiner Rückkehr begegnet. Er kann nicht ahnen, dass dies ausgerechnet seine Tochter sein wird.
Als Händel den Stoff rund hundert Jahre später in London noch einmal aufgriff, kam er nicht umhin, ein Happy End herbeizuführen. Carissimi dagegen hält sich eng an die biblische Vorlage und beschließt sein Werk mit einem ergreifenden Klagegesang der namenlosen Tochter, der ein nicht weniger eindrucksvoller Trauerchor folgt (den Händel, auch sonst kein Qualitätsverächter, einfach eins zu eins in sein Oratorium Samson übernahm!).
Die Geschichte des Jona, der Gottes Ruf erst flieht, sich dann aber im berühmten Bauch des Wals bekehrt, gibt Carissimi dagegen Gelegenheit zu einer großartigen Gebetsszene.
NUANCIERT UND ENGAGIERT: DAS ENSEMBLE JACQUES MODERNE
Vorgestellt werden diese beiden biblischen Miniaturen hier vom Ensemble Jacques Moderne unter der Leitung von Joël Suhubiette. In einer an den historischen Gegebenheiten orientierten Besetzung mit kleinem Chor haben sie die Werke in der Kirche Notre-Dame de Sancerre eingespielt. Die hallige Kirchenakustik sorgt nicht nur für einen angenehm fülligen Klang, sondern unterstreicht das Engagement des flexibel und dramatisch eingesetzten Chores. Verglichen mit der um einige Jahre älteren Einspielung des Monteverdi-Chores unter J. E. Gardiner (Erato 1989) wird weniger "glatt" und "perfekt", dafür mit viel mehr Wärme, Emphase und nuancierterem Ausdruck gesungen. Man lasse sich da vom vielgerühmten "ätherischen" Ton Carissimis nicht täuschen - diese Musik ist sehr leidenschaftlich! Vor allem das Gebet des Jona gewinnt sehr durch das ruhigere Tempo, das dem Sänger Hervé Lamy Gelegenheit gibt, jedem Wort individuelle Farbe und Ausdruck zu verleihen.
Allerdings erscheinen Klanggruppen tontechnisch nicht immer optimal integriert: Die Solistin Monique Zanetti kommt schon mal zu sehr von hinten aus der Tiefe des Raumes. Vielleicht unterlegt die Sängerin ihren Gesang auch deshalb mit unnötig starkem Vibrato (da ist die, bei vergleichbar mädchenhaftem Timbre, kristallklare Stimme von Ruth Holton bei Gardiner sicher die bessere Wahl).
Georg Henkel
Trackliste
07 Toccata per Elevatione (G. Frescobaldi)
08 Intermedio Terzo (P. P. Sabbatini)
09 Toccata (B. Pasquini)
Besetzung
Hervé Lamy (Tenor)
Ensemble Jaques Moderne
Ltg. Joël Suhubiette
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |