Reviews

Cliff Richard

Rote Lippen soll man küssen

Info Musikrichtung: Schlager / Pop VÖ: 26.03.2010 (Capitol / EMI) Gesamtspielzeit: 158:33 Internet: http://www.cliffrichard.org

Wenn es einen Beweis braucht, dass es eine Zeit vor der Globalisierung gab, dann sind es die Erinnerungen, die diese CD wach ruft. In den deutschen Medien - insbesondere in Radio und Fernsehen - fand „ausländische“ Musik schlicht nicht statt. Die Folge: Von ausländischen, insbesondere englischen Hits wurden deutsche Versionen für den immer wichtiger werdenden bundesdeutschen Musikmarkt erstellt - manchmal sogar von den Original-Stars selber.
Rote Lippen soll man küssen versammelt chronologisch geordnet 58(!) deutsche Versionen, die Cliff Richard in den Jahren 1961 bis 1974 eingesungen hat. Angeblich soll selbst das derzeitige Management des ewig jugendlichen Sunny Boys überrascht gewesen sein, dass es eine derartige Menge deutschen Materials ihres Schützlings gibt. (Fast noch erstaunlicher, dass Richard exakt die Menge für zwei bis zum Anschlag gefüllte CDs angesammelt hat; Red.)

Wie soll man so etwas bewerten?
Hätte ich die Sachen „damals“ gehört, wäre ich schreiend aus dem Raum gelaufen. Dieser Schmus und Schleim war doch das, was dem Punk, der RAF, Drogen und der Pubertät endlich einen Sinn gab.
Und heute?
Es macht schlicht einen Höllenspaß das Zeug zu hören. Die Heile Welt Liebeslieder sind Nostalgie pur, die wesentlich sympathischer wirken, als alle Jugend Liebes Sequels sämtlicher Werbepausen-TV-Sender.

Das aber ist nicht alles. Wer Cliff Richard kennt, weiß, dass er mehr als ein Schlager-Sänger ist, der zufällig im Original Englisch gesungen hat. Alben wie Small Corners oder Now you see me now you don’t sind hervorragende erwachsene Pop-Alben.
Diese Entwicklung ist bereits auf dieser Compilation zu erkennen. „Man gratuliert mir” ist eine toll ausgearbeitete Pop-Nummer - auf dem ersten Album herausragend, nimmt die Dichte solcher Songs auf dem zweiten Silberling immer mehr zu. Nicht nur mit „Gut, dass es Freunde gibt", der deutschen Version „Power to all our Friends".

Besonders interessant ist „Fragen“. Wenn die hier gestellten Fragen ernst gemeint und nicht rhetorisch sind, dann bereitet sich mit ihnen die Wendung Richards zum bekennenden Christen vor. Aus den Fragen werden Antworten.

Und dann ergibt sich doch noch ein surrealer Effekt. Als Richard ein Buch über seine Glaubensentscheidung veröffentlichen wollte, legte ihm die Plattenfirma massiv Steine in den Weg, weil ein solches Bekenntnis sein Image als „böser Rocker“ beschädigen könnte. Das auf diesem Album zu finden, dürften nun wirklich schwer werden. Bob Dylan würde das lakonisch so kommentieren: „The Times they are a-changing“.

Für Rote Lippen soll man küssen eine positive Wahrheit. In der zeitlichen Distanz lässt sich diese Scheibe mit ungebrochener Fröhlichkeit genießen.

Norbert von Fransecky