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D’Amor Ragionando. Balladen im Neo-stilnovo in Italien, 1380-1415
Info
Musikrichtung:
Renaissance Ensemble
VÖ: 01.04.2010 (Arcana / Note 1 CD / DDD / 1992 / Best. Nr. A 345) Gesamtspielzeit: 64:19 |
GLÜHENDE KONTRAPUNKTISCHE KULTUR
Die Klassik-CD als Spekulationsobjekt - wer hätte das gedacht! Tatsächlich finden sich immer wieder einmal auf diversen Online-Marktplätzen längst vergriffene, wegen ihrer Einzigartigkeit oder Qualität aber heißbegehrte Silberlinge, die zu mitunter phantastischen Preisen angeboten werden. Denn der Klassikhörer schätzt mehrheitlich den physikalischen Träger und selbst im digitalen Zeitalter mag er mit dem Sammeln nicht aufhören, auch wenn das seinen Preis hat. Von einer solchen Rendite haben die Künstler und Hersteller seinerzeit gewiss nicht zu träumen gewagt.
Vorliegende CD mit dem schönen Titel D’Amor Ragionando - „Nachsinnen über die Liebe“ ist so ein Objekt der Begierde. Die Aufnahme ist bereits 1994 erschienen und hat sofort zahlreiche Preise eingeheimst. Auch die Hörer waren begeistert. Seitdem die CD aus dem Handel ist, wird sie hin und wieder recht teuer von Privat angeboten.
Das ist schon verrückt, vor allem wenn man das hochspezielle Repertoire bedenkt: Balladen im Neo-stilnovo in Italien, 1380-1415 lautet der Untertitel. Doch der hat keinesfalls abschreckend gewirkt. Nun ist der Flötist und Ensembleleiter Pedro Memelsdorf wirklich kein Künstler, der es bei trockenen musikhistorischen Demonstrationen beließe. Mit den hochkarätigen Musikern, die er seinerzeit im Ensemble Mala Punica um sich geschart hatte, erweckte er die diffizile italienische Kunstmusik des 14. Jahrhunderts derart kundig und zugleich mit fabelhafter Klangphantasie zum Leben, dass man einfach nur hingerissen lauschen mochte.
Daran hat sich nichts geändert. Und deshalb ist es sehr erfreulich, dass das Label Arcana die Scheibe wieder aufgelegt hat. Sie hat musikalisch keinen Staub angesetzt. Memelsdorf hatte sich damals schon mehrfach mit der Ars Subtilis Ytalica beschäftigt - leider sind diese Aufnahmen, darunter zahlreiche beim Label Erato - nicht mehr auf dem Markt. Unter Auswertung auch entlegener Quellen hatte Memelsdorf einen Stil entwickelt, der die notierten Texte durch maßstabsgetreue Improvisationen vor allem des Instrumentalparts weiterspinnt. Dass dies bruchlos und ohne geschmäcklerische Anwandlungen gelang, spricht für das immense musikalische Einfühlungsvermögen des Interpreten in eine seit Jahrhunderten verstummte Musikwelt.
Auf der vorliegenden Platte stehen italienische mehrstrophige Balladen auf dem Programm. Sie stammen zum größten Teil von Francesco Landini, wurden aber von anderen Komponisten durch instrumentale Zusätze im „subtilen“, d. h. vor allem rhythmisch vertrackten Stil verfeinert. Ein solches „Patchwork in Progress“ war damals nichts Ungewöhnliches. Spannend wird es dadurch, weil Landini selbst zu den aus dem frankoflämischen Raum importierten Feinheiten der „Ars subtilior“ eher Distanz hielt. Kollegen Landinis wie Matteo da Perugia oder Antonello Casertas pflegten dagegen die kompositorischen Finessen à la France, verschmolzen sie aber auch mit einer ausdrucks- und temperamentvollen, vielleicht auch typisch italienischen Musikalität. Üppigste Melismen, eindringliche rhethorische Figuren und eine leidenschaftliche Melodik verleihen sämtlichen den Stücken auf dieser CD ein unverwechselbares Profil und scheinen mitunter die Konzerte und den Belcanto des Barock vorwegzunehmen.
Zum Hörgenuss wird diese himmlische Platte freilich durch die Interpretation: die schwerelosen, aber auch expressiven vokalen Timbres von Jill Feldman und Guiseppe Maletto und der wandlungsfähige Blockflötenton Memelsdorfs verschmelzen mit Laute, Fideln, Organetto und einer Glocke(!) zu einem lichten Gemisch, das an goldene und silberne Brokatstoffe erinnert. Die „glühend kontrapunktische Kultur“, von der Memelsdorf im vorzüglichen Beiheft spricht, hier wird sie lebendig! Weitere Wiederveröffentlichungen aus Ytalica sind darum hochwillkommen!
Georg Henkel
Trackliste
1 | Francesco Landini: Che Chosa è quest’Amor | 4:45 |
2 | Francesco Landini: Giovine vagha. Amor c’al tuo sugetto (instr.) | 9:10 |
3 | Francesco Landini – Anon.: Fortuna ria | 5:01 |
4 | Matteo da Perugia: Serà quel zorno may | 18:03 |
5 | Antonio Zacara da Teramo: Ad ogne vento | 6:31 |
6 | Johannes Ciconia: Mercé o morte | 3:59 |
7 | Antonio Zacara da Teramo: Movit’a pietade (instr.) | 6:19 |
8 | Antonello de Caserta: Più chiar che’l sol | 7:14 |
9 | Francesco Landini: Amor in huom gentil (instr.) | 3:17 |
Besetzung
Guiseppe Maletto: Tenor
Keese Boeke: Blockflöten, Fidel
Svetlana Fomina: Fidel
Christophe Deslignes: Organetto
Karl-Ernst Schröder: Laute
Alberto Macchini: Glocke
Pedro Memelsdorf: Blöckflöten u. Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |