Reviews

Jonny Hill

Ich hab noch viele Träume

Info Musikrichtung: Deutscher Schlager VÖ: 06.10.2003 (Koch Universal) Internet: www.jonnyhill.de

Es gibt wohl kaum ein Musik-Genre, in dem derart heftig über die verschiedensten Stilrichtungen, guten und schlechten Geschmack, Tradition und Moderne, Genie und Schwachsinn gestritten wird wie im Countrybereich. Eine der vielen Ursachen ist wohl die generelle Unterteilung in die Fans der amerikanischen und die Freunde der deutschsprachigen Countrymusik, denn was zur Zeit unter dem Begriff des "New Country" jenseits des Atlantiks produziert wird, scheint dem deutschen Pendant um Lichtjahre voraus. Doch sollte man nicht vergessen, dass man nicht nur in verschiedene Sprachen unterteilen sollte, sondern eher in die Rubriken "gut gemacht" und "schlecht gemacht". Und wenn man erst an diesem Punkt angelangt ist, sieht man sich (auch als NewCountry-Fan) in der Lage, sich das neue Album von Jonny Hill anzuhören, der nach inzwischen 25 Jahren immer noch am Teddybär-Image leidet.

Im einzelnen:

Von diesem Image kann ihn das neue Album Ich hab noch viele Träume befreien. Bevor die CD eingelegt wird, erstaunt als erstes ein Blick in die Liste der Begleitmusiker, denn wenn z.B. Milton Sledge an den Drums sitzt, Mark Casstevens und Chris Leuzinger die Gitarrensaiten zupfen und Altmeister Nils Tuxen an allem herumspielt, was mit Stahlsaiten bezogen ist, darf man getrost neugierig werden auf den mit kundenfreundliche 16 Songs bestückten Silberling. Und das zu Recht, denn bereits die ersten Sekunden des Albums zeigen, dass sich in Deutschland produzierte Countrymusik durchaus mit den Produkten Nashvilles messen kann, denn der Groove mit flotten Drums und frechen Gitarrenfills geht sofort in die Füße und erinnert an Carlene Carter´s Stil. Der Gesang eines Jonny Hill ist jedoch nicht so wandelbar wie die Backgroundsounds, und so wird auch in diesem Album an das Gute im Menschen appelliert und Werte wie Freundschaft, Treue und Liebe hochgehalten. Doch solange es nicht zu Kitsch verkommt, kann man dagegen nicht allzuviel sagen.

Rock´n´Roll-Feeling kommt auf bei "Elvis zum Frühstück", wenn die Gitarren so richtig losgelassen werden. Sehr markant und witzig ist der freche Background-Chor, der flotte Rockabilly-Akzente setzt. Hier klingt sogar Jonny Hills Gesang swingender, da man ihm endlich mehr Gesangseffekt hinzusetzte. Es hört sich an, als hätte ihm diese Aufnahme besonders viel Spaß bereitet. Bei den ruhigen "Nimm mich fest in deine Arme" und "Lass sie einfach gehen" findet man den "alten" Jonny Hill wieder, dessen Stimme mit ihrer teilweise zu großen Härte die Musik doch stark in den Hintergrund drängt.

Bei "Glaub an dich" wurde jedoch schon wieder auf das Gaspedal getreten, denn die groovenden Drums sind durchaus für ein Rendezvous mit der Tanzfläche geeignet, wenn nur der Text nicht so pathetisch wär, wie es dem Künstler leider immer wieder unterläuft, denn an 12 Songs dieses Albums war er als Komponist oder Texter beteiligt und drückt vielen Texten so den Stempel auf, der oftmals als zu steif angesehen wird. Dies setzt sich bei "Auch für dich schlägt ein Herz" und "Du hast mir wieder Mut gemacht" ebenfalls fort.

Dass man auch aus einem rund 50 Jahre alten Gaul noch ein richtiges Rennpferd machen kann (gemeint ist nicht der Sänger, sondern der Song), wird bei der Rock´n´Roll-Version von "Jambalaya" deutlich, das den Vergleich mit den anderen tausend Versionen nicht scheuen muss, denn die Band lässt "die Sau vom Pflock". Angenehm ist hierbei der groove-angepasste Text, der ohne schwere Gedanken in Richtung Spaß prescht. Warum nicht öfter so, Mr. Hill? Eine Lanze für seine Art der Countrymusik bricht er - vielleicht schon als Antwort auf meine Frage - bei "Und wäre ich noch mal geborn", wo er erklärt er lasse sich nicht verbiegen und bleibe seinem Stil treu.

Der Text von "Wo warst du?", einem Lied über den 11. September, kommt dem international interessierten Countryfan gleich recht bekannt vor, und tatsächlich handelt sich sich um eine fast direkte Übersetzung von Alan Jackson´s "Where were you (when the world stopped turning)". Auch die Melodie hat unüberhörbare Ähnlichkeit mit Jackson´s Song, so dass man die genannten Texter und Komponisten maximal als Übersetzer deklarieren darf. Zudem ist es ein sehr gewagtes Unterfangen, einen derart sensiblen Song neu aufzusetzen, denn dabei kann man nur "zweiter Sieger" sein. Deshalb schnell zu "Ich bin für die Liebe" in neuer Version, das mit fröhlichen Sounds gute Laune verbreitet und uns so wieder einen Jonny Hill zeigt, wie man ihn gerne öfter hören würde.

Die zwei auf diesem Album enthaltenen Duette mit Linda Feller dürfen natürlich nicht unter den Tisch fallen, denn zum einen präsentieren sie das von Frankie Miller bekannte "Darling" in einer nicht gerade Aufsehen erregenden Version, zum anderen "Zusammensteh´n" mit einem typischen Jonny-Hill-Text, obwohl hier Burkhard Brozat für Text und Töne verantwortlich ist, von dem man auch schon pfiffigere Lieder zu Gehör bekommen hat.

Fazit:

Niemand wird es schaffen, Jonny Hill die kräftig pathetischen Texte auszutreiben, die ihn leider immer wieder ein wenig steif und hölzern erscheinen lassen. Dabei klingt es viel angenehmer, wenn er locker gute Laune verbreitet und nicht gerade von Freundschaft, Vertrauen und Treue singt. Den passenden Background hatte er bei diesem Silberling sicher zur Verfügung, denn seine Begleitband hatte Spielfreude und Groove anscheinend mit dem großen Löffel gefrühstückt. Hierauf aufbauend hätte man der Country-Szene alle Vorurteile aus den Ohren blasen können. Doch dann hätten viele auch wohl "ihren" Jonny Hill vermisst, der Ihnen die Durchhalteparolen für´s Leben gibt.
Zum einen kann man sich freuen, dass diese CD einige richtig gute Songs enthält, zum anderen ist es schade, da man wohl doch mehr hätte daraus machen können. Da es aber nicht Jonny Hill´s letzte CD gewesen ist, darf man auch gespannt auch die nächste hoffen.

Lothar Heising