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Reviews

Russische Ballettmusik (Järvi)

Ballets Russes


Info

Musikrichtung: Ballettmusik

VÖ: 23.01.2004

Virgin Classics / EMI (CD DDD (AD 2002/2003) / Best. Nr. 7243 5 45609 2 7)

Gesamtspielzeit: 69:52

Internet:

Virgin

RUSSISCHE DIÄT-BALLETT-TRÜFFEL

Aufgrund meiner Erfahrungen mit einer bestimmten Sorte russischer Pralinen, die ein Bekannter von einer Reise in jene östlichen Lande mitgebracht hat, neige ich dazu, die dortigen Süßigkeiten pauschal in die Kategorie "supersüß und supermächtig" einzuordnen. Wenn ich so darüber nachdenke - das heißt: meine kultivierten Vorurteile über jenes Land neu arrangiere - passt das ja auch irgendwie zu meinen übrigen Russland-Klischees. Alles dort erscheint überdimensioniert: die Sommer heißer, die Winter kälter, die Armen ärmer, die Reichen reicher, die Politik korrupter, die Menschen insgesamt seelenvoller, die Wildnis wilder, die Kleidung pelziger, der Alkohol alkoholischer und die Pralinen eben süßer. Also irgendwie auf unzivilisierte, barbarische Weise süßer ... Und erst die Musik! Auch überdimensioniert, in ihren Gefühlen, in ihrer Klanglichkeit, in ihrer Massigkeit. Breit. Schillernd. Wuchtig. Aufgedonnert. Schmalzig. Würzig. Grandios.

Nun: Genau dieses Klischee wird auf dieser CD mit musikalischen Pralinen aus Russland unterlaufen. Ob ich darüber enttäuscht bin? Ich gestehe: Ich bins!

Ballet Russes lautet der vielversprechende Titel. Und das Programm geht quer durch die Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Geboten werden sowohl überaus bekannte Spezialitäten (z. B. Tschaikowskys 'Blumenwalzer'), wie auch Häppchen für den eher herzhafteren Geschmack (z. B. Schostakowitschs 'Walzer Nr. 2' aus der 2. Jazz-Suite) und schließlich weniger Bekanntes, z. B. Liadovs 'Amazonen-Tanz'.
Aufs Ganze gehört, ist das zwar nicht sonderlich originell, könnte aber trotzdem Spaß machen. Unter der Leitung von Paavo Järvi musizieren das Orchestre Philharmonique de Radio France und der Marinsky Chor zwar mit technischer Perfektion, ansonsten aber leider uninspiriert. Es klingt ja alles irgendwie richtig, aber es reißt einen nicht vom Stuhl.
Es ist, als ob Järvi bei den klanglichen Zutaten die Kalorien gezählt hat: Khachaturians 'Säbel-Tanz' fehlt der gewollte barbarische Irrwitz, Schostakowitsch 'Tahiti-Trott' klingt nicht frech genug, ganz zu schweigen vom Walzer Nr. 2. Das ist doch musikalische Comic-Art, keine Salonmusik! Oder der Blumenwalzer: Der harfenselige Beginn muss in etwa so klingen, wie ein kostbar verziertes Fabergé-Ei aussieht, damit man auch den hymnischen Streicherschmalz im folgenden Teil gebührend ausspielen kann: federnd, tanzend, trunken, glutvoll. Aber das traut sich hier ja keiner.
Wieso eigentlich nicht?

Muss mal gucken, ob ich noch irgendwo diese russischen Pralinen habe ...



Georg Henkel

Trackliste

1Tschaikowsky: Polonaise (Eugene Onegin)4:54
2Khachaturian: Walzer (Masquerade)4:16
3Schostakowitsch: Polka (Das goldene Zeitalter)2:15
4Prokofiev: Marsch (Die Liebe zu den Drei Orangen)1:48
5Tschaikowsky: Blumenwalzer (Der Nussknacker)7:13
6Khachaturian: Säbel-Tanz (Gayaneh)2:30
7Glazusnov: Entracte (Raymonda)4:07
8Liadov: Amzonen-Tanz3:37
9Schostakovisch: Walzer Nr. 2 (Jazz-Suite Nr. 2)3:51
10Prokofiev: Tanz der Ritter (Romeo und Julia)3:57
11Tschaikowsky: Walzer (Eugen Onegin)6:04
12Schostakowitsch: Tahiti Trot3:36
13Glinka: Walzer-Fantasie8:28
14Borodin: Polowetzer Tänze (Prinz Igor)13:16

Besetzung

Mariinsky Chor
Orchestre Philharmonique de Radio France

Ltg. Paavo Järvi
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