Reviews
Klavierwerke: 24 Preludien – 24 Etüden – 4 Impromtus, Nocturnes, Scherzi u. a.
Info
Musikrichtung:
Romantik Klavier
VÖ: 26.06.2009 (NIFC / Codaex CD / DDD / 2007-2008 / Best. Nr. NIFCCD 006 / 007 / 010) |
VIELE WAHRHEITEN
Unter dem hellhörig machendenden Motto „The real Chopin“ präsentiert das polnische Narodowy Instytut Fryderyka Chopina eine zehn CDs umfassenden Edition, bei der zehn Pianist/innen die Stücke des Meisters auf historischen Originalinstrumenten spielen.
Die drei für diese Rezension ausgewählten Produktionen lösen das Versprechen der Authentizität freilich auf so individuelle Weise ein, dass das „real“ nur auf die verwendeten Instrumente bezogen werden kann. Die Pleyel- und Erard-Flügel (sämtlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut) klingen allesamt ausgewogen und transparent - vergleichbar dem 1836er Pleyel, den Paul Schoonderwoerd in seiner soeben bei Alpha erschienen Einspielung verwendet: samtige Tiefen, seidige Mittellagen, gläserne Höhen.
Auch sonst ist ein Vergleich aufschlussreich: Schoonderwoerd bringt in sein Spiel eher eine historisch informierte Perspektive herein, wenn er das Pedal sparsam, aber effektvoll einsetzt und sich vor allem auf die Artikulation des Einzeltons konzentriert, den er subtil ausformt und ohne Angst vor Substanzverlust gleichsam „offener“, ja „nackter“ als gemeinhin üblich präsentiert. Chopins Ahnen - Couperin, Bach und Mozarts - werden bei ihm hörbarer als bei den Interpreten der NIFC-Edition. Bei diesen ergeben sich allerdings untereinander nicht geringe Unterschiede. Auffällig, wie anders die Interpretation von Kevin Kenner (NIFCCD 010) und Wojciech Switala (NIFCCD 006) auf dem selben 1848er Pleyel ausfallen.
Kevin Kenner reizt das Klang- und Farbvolumen des Instruments in vollem Umfang aus; so unterscheidet sich sein Ansatz im Wesentlichen wenig von dem, was man auf dem moderneren Steinway zu hören bekommt. Die Virtuosität beim Scherzo Cis-Moll op. 39 kann man nicht anders als rauschhaft bezeichnen. Die Akkorde haben eine solche Wucht, dass der Klang des Peyels fast schon etwas Dröhnendens bekommt (Impromptu Fis-Dur op. 36). Offenbar will Kenner wissen, ob das Instrument mit seinen ohne Zweifel attraktiven musikalischen Vorstellungen mithalten kann. Der ganze Ausdruck ist, bei aller technischen Disziplin im Detail, schwelgerisch (wie beim überaus sensibel dargebotenen Preludium Cis-Moll op. 45 oder den beiden Nokturns op. 32) und hochromantisch, erinnert in den vollgriffigen Passagen manchmal schon mehr an Liszt, ja Rachmaninov (wie im Fantasie-Impromtu Cis-Moll op. 66)! (16 Punkte)
Dagegen wirken die 24 Preludia auf dem gleichen Instrument unter den Händen von Wojiech Switala geradezu distanziert. Switala regt die Farben des Pleyel längst nicht so zum Leuchten an wie Kenner (ähnliches ist vom 1849er Erard-Flügel zu sagen). Ein (aufnahmetechnisch bedingter?) Schleier liegt über dem Klang. Switalas Virtuosität, obschon eindrucksvoll, wirkt beherrscht und die Musik dadurch, trotz der Wanderung durch den gesamten Quintenzirkel, etwas monochrom. Dies mag auch in einer gewissen Eintönigkeit gerade bei der Gestaltung z. B. von Wiederholungen von Akkordfeldern oder schnellen Läufen begründet sein. Die kantablen Stücke liegen dem Künstler mehr (12 Punkte).
Sehr gelungen ist die Darbietung der halsbrecherischen 24 Etüden, die Tatjana Shebanova mit genau der richtigen Mischung aus technischer Brillanz und Ausdruckstiefe darbietet (NIFC 007). Der stets klare Klang ihres 1849 Erard korrespondiert mit ihrem muskantischen, dabei immer um Differenzierung bemühten Ansatz sehr gut. Die kühlere Attacke des maßstabsetztenden Maurizio Pollini ergänzt sie um das Verständnis für poetische und malerischere Momente. Dafür 18 Punkte.
Die einheitlich Edition im eleganten Digi-Pack mit ausführlichem Booklet (u. a. in englischer Sprache) ist dem Projekt angemessen.
Georg Henkel
Trackliste
CD NIFC 007: 24 Etüden op. 10 & op. 25 63:28
CD NIFC 010: 4 Impromptus / Prelude Nr. 25 / Scherzo Nr. 3 / Nocturnes Nr. 9 & 10 / Polonaise Nr. 4 / Mazurken Nr. 36-38 62:17
Besetzung
Kevin Kenner: Pleyel-Flügel 1848
Wojcieck Switala: Pleyel-Flügel 1848 & Erard-Flügel 1849
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |