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Idomeneo
Info
Musikrichtung:
Klassik Oper
VÖ: 15.05.2009 (Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 3 CD + Bonus-DVD / DDD / 2008 / Best. Nr. HMC 902036.38) Gesamtspielzeit: 191:06 |
SPANNUNG PUR
Was der 25jährige Mozart auf ein ebenso wortmächtiges wie wortreiches Libretto von Giambattista Varesco 1781 auf die Bühne des Münchener Operntheaters gebracht hat, gehört zu den Höhepunkten seines Opernschaffens. Er selbst hielt den Idomeneo auch später noch für sein bestes Werk. Das wurde lange Zeit nicht so gesehen. Schuld war die stilistische Vielfalt, die man im Vergleich mit den Da-Ponte-Opern als inkonsequent und unmodern empfand.
„Idomeneo“ blickt musikalisch sowohl in die Vergangenheit, auf die Opera seria, als auch in die Zukunft, auf das neue Drama giocoso. Elemente der italienischen (Arien) und der französischen Oper (Chöre, Aufzüge, Ballette) werden nach dem Muster Glucks verschmolzen. Aber Mozart legt der Musik anders als Gluck keine Fesseln an. Das Werk birst geradezu vor Einfällen, wobei der tragische Stoff Mozart zu einer wuchtigen, auch düsteren Dramatik inspiriert hat, die in den späteren Werken nur gelegentlich aufblitzt. Das Ergebnis ist eine geniale Synthese, deren Originalität und Modernität aber häufig nicht verstanden wurde.
Darum wurde die Oper später immer wieder gekürzt oder „verbessert“ (berüchtigt ist Richard Strauß‘ entstellende Version). Allerdings: Bereits Mozarts rückte seiner originalen Version mit dem breiten Federkiel zu Leibe und strich: Manchmal aus dramaturgischen Gründen (Längen im Libretto), manchmal aus persönlichen (Abneigung gegen den Librettisten) und manchmal ganz einfach nur, weil die Dauer der Aufführung vom fürstlichen Auftraggeber eingeschränkt wurde.
Gerade in dieser neuen Produktion unter dem Dirigat von René Jacobs kann man jedoch hören, dass der ungekürzte Idomeneo wie „aus einem Guss“ klingt - wenn man nur weiß, wie man der komplexen Partitur historisch bewusst umzugehen hat. In punkto Vollständigkeit geht er noch über die mit Anhängen gespickte Version von John Eliot Geradiner hinaus (1990, DG Archiv). Denn auch Gardiner hat sich z. B. bei der breit auskomponierten rezitativischen Wiedererkennungs-Szene zwischen Idomeneo und seinem Sohn Idamante ausschließlich auf die Wiedergabe der stark gekürzten Version beschränkt. Die aber war laut Mozart der überaus schlechten schauspielerischen Leistung der beiden Hauptdarsteller geschuldet.
Jacobs verfügt dagegen über ein Sänger/innen-Team, das selbst minutenlange Rezitative derart mit Leben erfüllt, dass man gebannt zuhört. Und so spielt er jede erhaltene Note, auch die der Wiedererkennungsszene, die durch die nuancierte, auch emotional ergreifende Darbietung von Richard Croft (Idomeneo) und Bernada Fink (Idamante) zu einem musiktheatralischen Höhepunkt gerät. Wobei Jacobs' Gespür für die sinnige Verzahnung der unterschiedlichen Rezitativ-Stile - mit Continuo, mit Streichern, mit vollem Orchester - eben auch eine seiner Spezialitäten ist.
Nach den vergangenen Mozart-Produktionen von René Jacobs und dem Freiburger Barockorchester erübrigt es sich beinahe, die unbedingte Vitalität, orchestrale Brillanz und klangfarbliche Finesse noch bei den kleinsten Details zu loben. In keiner anderen Einspielung des Idomeneo werden die musikalischen Schätze so tiefschürfend gehoben wie hier. Nichts klingt routiniert. Das gilt für die Arienbegleitung ebenso wie für die instrumentalen Sätze, vor allem das orchestrale Feuerwerk des Schlussballetts, aber auch für die - überraschend moderat genommene - Ouvertüre.
Wobei die klangliche Pointierung auch fordernd ist: Nach über drei Stunden ist man als Hörer ob der ständig neuen Eindrücke fast erschlagen. Zumal Jacobs seinem gespannten dramatischen Ansatz treu bleibt. Klarheit und Transparenz sind mustergültig. Dramatische Wahrheit geht über Schmiegsamkeit. Beim Streicherklang dominiert deshalb die scharfe Linie; die vielen f- und ff-Akzente tendieren manchmal zu einer Überdeutlichkeit, die in einer Live-Aufführung wohl mehr Effekt macht.
Bewundernswert ist, wie sämtliche Beteiligten diesen leidenschaftlichen Ansatz mittragen. Neben dem Orchester bekommt auch der RIAS Kammerchor vielfach Gelegenheit, seine großartigen Fähigkeiten zu demonstrieren. Zum Glück des Hörers, der in den herrlichen Stimmungsbildern - Seefest, Erscheinung von Göttern und Meerungeheuer, Priester- und Opferszene - schwelgen kann.
Auch die Solisten, viele davon Jacobs-Mozart-erfahren, überzeugen mehrheitlich. Der standfeste und koloraturgewandte, nach wie vor leuchtende Tenor von Richard Croft zeigt nicht nur beim virtuosen Fuor del mar beeindruckende expressive und belkantische Fähigkeiten. Auch sein Fachkollege Kenneth Tarver stattet die Nebenfigur des Arbace in dessen zwei ausgesprochen schönen Retro-Arien mit erlesenen Affekt-Farben aus.
Sehr viel fraulicher und im Ausdruck facettenreicher als die nazarenerhaft reine Sylvia McNair bei Gardiner erscheint Sunhae Im als Ilia. An die vokale Darstellungs-Grenze geht Alexandrina Pendatchanska in der Rolle der Elettra. Das „bad girl“ der Oper hat von Mozart die gewaltigste, auch hemmungsloseste Musik bekommen. Und so stattet Pendatchanska sie, stimmtechnisch in jedem Moment vollkommen beherrscht, mit horriblen und lugubren Farben aus. Die Getriebenheit der Figur drückt sich nicht zuletzt in dem üppigen, fast schon aggressiven Vibrato aus. Das überzeugt live (s. Probenmittschnitte auf der Bonus-DVD) stärker als in der reinen Hör-Fassung, wo es auf Dauer penetrant wirkt.
Ähnliches gilt für den Idamante von Bernarda Fink. Bewegend und authentisch ist auch hier der Ausdruck; packend gestaltet sich die Interaktionen mit Croft und Im. Aber die unausgewogene, nicht mehr ganz frische Stimmfarbe wirkt insgesamt wenig jünglingshaft. Und leider neigt Finks Vibrato unter starker Spannung - z. B. in der ersten Arie - zum Tremolieren und verunklart die Verzierungen. Das konterkariert die Bemühungen um einen adäquaten Mozartgesang.
Fazit: Eine weitere Jacobs-Mozart-Produktion, die im Ganzen Maßstäbe setzt. Nicht, weil sie letztgültige interpretatorische Wahrheiten verkündet, sondern weil mit unbedingter Hingabe an die Musik deren Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten erweitert werden, so dass die Genialität Mozarts in jedem Moment präsent ist.
Georg Henkel
Trackliste
Besetzung
Bernarda Fink: Idamante
Sunhae Im: Ilia
Alexandrina Pendatchanska: Elettra
Kenneth Tarver: Arbace
u. a.
RIAS Kammerchor
Freiburger Barockorchester
René Jacobs: Leitung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |