Reviews

Praetorius, M. (Breiding)

Michaelisvesper

Info Musikrichtung: Frühbarock Kirchenmusik VÖ: 01.04.2009 (Rondeau / Note 1 / SACD hybrid / 2008 / Best. Nr. ROP7007) Gesamtspielzeit: 80:48 Internet: Knabenchor Hannover

Den Namen Michael Praetorius (1571/72-1621) werden die meisten am ehesten mit feierlicher Kirchenmusik zur Weihnachtszeit in Verbindung bringen. Dafür hat nicht zuletzt die herrlich farbige Rekonstruktion seiner "Christmette" in einer sehr erfolgreichen Aufnahme mit Paul McCreesh (DDD, 1993) gesorgt. Ähnlich sorgfältig und sowohl liturgisch wie musikalisch überzeugend ist nun die Rekonstruktion einer Vesper zum Festtag des Erzengels Michael gelungen. Die Zusammenstellung besorgte der Dirigent Jörg Breiding mit fachkundiger Beratung durch das Praetorius Collegium Wolfenbüttel unter Rückgriff auf historische Quellen und die in der Region damals gültige Kirchenordnung von 1569. Das ganze zeigt, mit welcher Prachtentfaltung und mit welchem musikalischen Aufwand der heute weitgehend in Vergessenheit geratene Michaelistag begangen wurde - dem an ihm gefeierten Sieg des Erzengels über den Teufel durchaus angemessen mit Posaunen, Dulcian und Zink.

Die ausgewählten Werke dokumentieren die ganze Vielgestaltigkeit des Schaffens von Praetorius, dem daran gelegen war, die Tradition des lutherischen Chorals mit den Möglichkeiten italienischer Polyphonie zu vereinen. Entstanden sind so neben eingängigen Hymnen und Choralsätzen vielstimmige Geistliche Konzerte und satztechnisch teils enorm vertrackte Motetten von hoher Kunstfertigkeit.
Den Ausführenden verlangt diese Musik, die uns in manchem noch heute fremd und neuartig erscheint, höchste Konzentration und Virtuosität ab. Da wird der Einsatz von Knabenstimmen auch in den Solopartien zur Gratwanderung. Dieser war zwar auch zu Praetorius´ Zeiten üblich, jedoch setzte damals der Stimmbruch weit später ein, so dass mehr Zeit blieb, die Sopran- und Altstimmen der Knaben zu schulen und ihr Volumen zu entwickeln. Die vorliegende Aufnahme kann das entsprechende Problem unserer Tage nicht verhehlen: Zwar bietet der Knabenchor Hannover im Chorklang eine ganz hervorragende Leistung und ein Höchstmaß an Homogenität und Klangfülle, aber in den wechselnd besetzten Soli haben die Knaben doch ein ums andere Mal Mühe, der Sache Herr zu werden. Das zeigt sich nicht etwa an den eher vereinzelt auftretenden Intonationstrübungen, sondern an der fehlenden stimmlichen Kraft und den hörbaren Schwierigkeiten, die Verzierungen und die teils ungewöhnlichen Intervalle zu bewältigen. Aus Rücksicht hierauf nimmt der Dirigent des öfteren das Tempo ebenso zurück, wie den Einsatz der kundig und klangschön begleitenden Instrumentalisten. Diese "Bremsungen" trüben auf Dauer dann aber eben doch den feierlichen Charakter der Vesper.

Dennoch: Die tontechnisch perfekt realisierte Einspielung stellt eine wichtige und spannende Repertoirebereicherung dar.

Sven Kerkhoff