Reviews
Aus der Tieffen. Kantaten BWV 131, 182, 4 / Tombeau de Sa Majesté la Reine de Pologne (Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl BWV 198 u. a.)
Info
Musikrichtung:
Barock Kantate
VÖ: 13.03.2009 Mirare / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2007 - 2008 / Best. Nr. Mir 030 (Tombeau) & Mir 057 (Aus der Tieffen) |
BACH DER MADRIGALIST
Sämtliche der mittlerweile drei Bach-Kantateneinspielungen des Ricercar Consort unter Philippe Pierlot zeichnen sich durch eine geglückte Verbindung von Ausdruckstiefe und klanglicher Finesse aus. Die Besetzung mit nur vier Choristen und einem entsprechend verschlankten Instrumentalensemble hat sich gleich bei der ersten Aufnahme mit dem berühmten Actus Tragicus und zwei weiteren Frühwerken Bachs bewährt (s. MAS-Rezension).
Gewiss hat auch der belgisch-französische Hintergrund der Musiker etwas mit dem besonderen Gespür für subtil gestaltete instrumentale Farbwerte und eine geschmeidige Phrasierung zu tun. Selten klingt Bach so sinnlich und zugleich durchgeistigt - im besten Sinne andächtig. Weder hört man die zur Gleichförmigkeit tendierende perfekte Politur eines Suzuki noch die aufregende Überbrillanz eines Gardiners. Dennoch finden sich beide Qualitäten auch immer wieder im Spiel des Ricercar Consorts, aber stets im rechten, da an der intimen Aufführungs-Situation orientierten Verhältnis.
Die internationale Sängerriege, bei der in der jüngsten Produktion an die Stelle des etwas verhaltenen Tenors Jan Kobow sein ebenfalls deutscher Kollege Hans Jörg Mammel getreten ist, ist bestens aufeinander eingesungen; der individuelle Charakter der Solisten und ihre Ensemblekultur ergänzen sich gewinnbringend für das ganze Projekt.
TOMBEAU
Während die aktuelle Produktion Aus der Tieffen weitere Kantaten aus J. S. Bachs Weimarer Zeit präsentiert, hat die letztjährige Produktion unter dem Titel Tombeau de Sa Majesté la Reine de Pologne sich zweier reifer Leipziger Werke angenommen: Der kurzen, aber schwungvollen Lutherischen Messe BWV 234 sowie der „Gelegenheitskomposition“ Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl BWV 198 auf den Tod der Ehefrau des Sächsischen Kurfürsten und Königs von Polen, August des Starken. Hier hat man sich durch die Hinzunahme der Orgelstücke BWV 544 und 727 um eine Rekonstruktion der damaligen Trauerfeier in der Leipziger Universitätskirche St. Paul bemüht. (BWV 727 ersetzt die einstündige Predigt.)
Obwohl das Libretto stärker noch als bei Bachs anderen Kirchenkantaten zeitverhaftet ist, ist die Musik jedoch von allererster Qualität. (Bach hat nicht umsonst Teile für seine verschollene Markus-Passion wieder verwendet!) Eine Arie wie Der Ewigkeit saphirnes Haus, in diesem Fall sensibel interpretiert von Jan Kobow und wunderbar schwebenden Instrumentalstimmen, zeichnet ein verklärtes Bild der Verstorbenen, das aber als poetische Auferstehungsvision auch den modernen Hörer tief zu bewegen vermag. Bemerkenswert, wie die dichte Textur des Eingangschores von den vier Sänger/innen und den 18 Instrumentalis/innen ohne jeden Nachdruck und doch ausgesprochen differenziert und stimmig im Trauer-Affekt dargeboten wird. Nicht weniger glücklich der ungekünstelte, von Herzen kommende Jubel im Cum Sancto Spiritu aus dem Gloria der kurzen Messe. Man wünscht sich von diesen Musikern weitere Erkundungen des Leipziger Bachs auf diesem Niveau!
AUS DER TIEFFEN
Die aktuelle Einspielung wendet sich erneut den älteren geistlichen Vokalwerken Bachs zu, die freilich schon viel vom späteren Genie verraten. Beim Titelgebenden Aus der Tieffen sowie Himmeslkönig sei willkommen und Christ lag in Todesbanden handelt es sich um Musik zur Fasten- und Osterzeit.
Vor allem die erste und letzte Kantate gehen als fast noch jugendliche Meisterwerke durch, gestaltet mit unverbraucht klingender, oft sehr ergreifender Musik. Bach fasst jeden Abschnitt musikalisch mit neuen Einfällen. Stellvertretend für die inspirierte Interpretation sei nur Vers II aus der dritten Kantate genommen: Man kann sich dieses Duett zwischen Sopran und Altus über hingetupftem Basso-Continuo kaum inniger gesungen denken als von Katharina Fuge und Carlos Mena. Buchstäblich meint man, mit dieser so ernsten und doch so entrückten Musik davonzufliegen. Die betörend ausgeformte Langsamkeit dieser Strophe findet ihren Kontrapunkt in den konzertant und virtuos dargebotenen Halleluja-Schlüssen z. B. des Eingangschores, bei dem das Ensemble die Kontrapunkte regelrecht tanzen lässt.
Der Vorzug der kleinen Besetzung zeigt sich allenthalben in der madrigalhaft dichten und abwechslungsreichen Ausdeutung der Partitur. So viel Flexibilität im Detail ist mit der Standardbesetzung von Chor und Solisten kaum zu erreichen. Auch aufnahmetechnisch ist diese Platte wieder vorzüglich gelungen.
Georg Henkel
Trackliste
01-08 Lutherische Messe BWV 234
09 Präludium für Orgel BWV 544
10-16 Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl 198 (1. Teil)
17 Herzlich tut mich verlangen (Orgelchoral BWV 727)
18-20 Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl 198 (2. Teil)
21 Fuge für Orgel BWV 544
Aus der Tieffen
01-05 Aus der Tieffen rufe ich Herr zu dir BWV 131
06-13 Himmelskönig sei willkommen BWV 182
14-21 Christ lag in Todesbanden BWV 4
Besetzung
Carlos Mena: Altus
Jan Kobow bzw. Hans Jörg Mammel: Tenor
Stephan MacLeod: Bass
Ricercar Consort
Philipp Pierlot: Leitung & Gambe
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |