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Hommage à Bach
Info
Musikrichtung:
Romantik Klavier
VÖ: 14.11.2008 (Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD 2007 / Best. Nr. HMC 901989) Gesamtspielzeit: 72:32 |
DIALOG MIT BACH
In dieser Einspielung klingt Robert Schumanns pianistischer Evergreen Träumerei gar nicht wie sonst verschlafen und schmusig. Eher denkt man an jemanden, der mit geschlossenen Augen entspannt lächelnd den inneren Bildern nachhängt. Was ein etwas schnelleres Tempo schon alles ausmacht! Und das Instrument klingt dieses Mal auch nicht gar so zuckerig.
Kein Wunder: Am originalen Erard-Flügel von 1837 sitzt nämlich Andreas Staier, der Aufklärer unter den zeitgenössischen Pianisten. Er berücksichtigt bei den Kinderszenen Schumanns originale Metronomangaben. Die hatte freilich schon seine Frau Clara mit Hinweis auf ein defektes Gerät zum Langsameren hin korrigiert, um diesen Eingriff Jahre später wieder zurückzunehmen. Dass es dann doch wieder Inkonsequenzen in der Bezifferung gab, hält die vielbeschworenen historischen Tatsachen in der Schwebe zwischen Wahrheit und Fiktion. Für bewusste Interpreten tut sich da ein interessantes Experimentierfeld auf.
Staiers komponistentreuer (aber nicht: -höriger!) Ansatz überzeugt auf der ganzen Linie. Nicht nur, dass er der Träumerei damit das übliche süßliche Sentiment erspart. Auch innerhalb des Gesamtzyklus ergibt sich durch die auch bei anderen Stücken vorgenommene Modifikation des Tempos ein deutlicherer innerer Zusammenhang. Man vernimmt eine bündige Folge von Charakterstücken. Der technisch ausgereifte, aber eher seidenmatt- denn hochglänzende Ton des Erard tut das seine dazu, die Musik weniger schwelgerisch und dafür konzentrierter wirken zu lassen.
Sehr zupass kommt der Klang auch den von der stetigen Auseinandersetzung Schumanns mit seinem Mentor J. S. Bach zeugenden Clavierstücken in Fughettenform. Dabei handelt es sich nur vordergründig um barocke Stilkopien. Für Schumann waren Fugen „Charakterstücke höchster Art“, wie Staier in seinem lesenswerten Beitrag zur Aufnahme referiert. Es geht um Inspiration und schöpferische Auseinandersetzung mit der Kunst der Vergangenheit, um daraus Zukunftsperspektiven für das eigenen Schaffen zu gewinnen.
Staier geht hier wie in den Ausschnitten aus den 40 Clavierstücken für die Jugend oder den neun Waldscenen den oft verborgenen Verbindungen zwischen Schumanns Klaviermusik und der Bach‘schen Musik nach. Mal handelt es sich um das vielfältig variierte berühmte B-a-c-h-Motiv, dann wieder um die flexible Aneignung kontrapunktischer Satztechniken oder formaler Eigenarten, z. B. barocker Tanztypen. Dass Staier die Tempi der Stücke zunächst ganz für sich erarbeitet hat und sich erst danach die originalen Metronomangaben sorgfältig, aber, z. B. bei den vom Komponisten sehr langsam gedachten Fugetten, nicht sklavisch zu eigen gemacht hat, spricht für die künstlerische Integrität des Pianisten. Romantisch klingen die Stücke bei einem sonst gerne vorpreschenden Interpreten wie Staier allemal. Aber es sind eben auch die gebrochenen und unheimlichen Seiten dieser Epoche, die man bei ihm heraushören kann.
Allein für die intelligente Programmatik verdient diese Hommage à Bach ein großes Lob. Dass die Interpretation darüber hinaus so gelungen ist, macht daraus weniger eine neumalkluge klavierhistorische Lehrstunde denn einen echten, nachhaltigen Hörgenuss, der außerdem sehr stilvoll präsentiert wird.
Georg Henkel
Trackliste
02 14. Kleine Studie (Leise und sehr egal zu spielen) 1:49
03 27. Kanonisches Liedchen (Nicht schnell und mit innigem Ausdruck) 1:22
04 28. Erinnerung (Nicht schnell und sehr gesangvoll zu spielen) 1:50
05 23. Reiterstück (Kurz und bestimmt) 1:24
06 30. *** (Sehr langsam) 2:45
07 34. Thema (Langsam. Mit inniger Empfindung) 1:55
08 42. Figurierter Choral 1:49
“Scherzo, Gigue, Romanze und Fughette” op.32 * (1838-39)
09 1. Sehr markiert (Assai marcato) 2:35
10 2. Sehr schnell (Assai presto) 1:04
11 3. Sehr rasch und mit Bravour (Molto presto ed arditamente) 2:49
12 4. Leise (Leggero) 1:36
aus “Sieben Clavierstücke in Fughettenform” op.126 * (1853) Robert Schumann
13 1. Nicht schnell, leise vorzutragen (Non presto, piano e leggero) 2:07
14 2. Mäßig (Moderato) 1:36
15 3. Ziemlich bewegt (Piuttosto mosso) 2:18
“Waldscenen. 9 Clavierstücke” op.82 * (1848-49)
16 1. Eintritt (Nicht zu schnell / Non troppo presto) 1:47
17 2. Der Jäger auf der Lauer (Höchst lebhaft / Vivacissimo) 1:25
18 3. Einsame Blumen (Einfach / Semplice) 1:41
19 4. Verrufene Stelle (Ziemlich langsam / Piuttosto lento) 2:34
20 5. Freundliche Landschaft (Schnell / Presto) 1:01
21 6. Herberge (Mäßig / Moderato) 1:50
22 7. Vogel als Prophet (Langsam, sehr zart / Lento, assai teneramente) 2:57
23 8. Jagdlied (Rasch, kräftig / Presto, energico) 2:31
24 9. Abschied (Nicht schnell / Non presto) 3:00
aus “Sieben Clavierstücke in Fughettenform” op.126
25 4. Lebhaft (Vivace) 2:05
26 5. Ziemlich langsam, empfindungsvoll vorzutragen (Piuttosto lento, con grande sentimento) 3:26
27 6. Sehr schnell (Assai presto) 1:14
28 7. Langsam, ausdrucksvoll (Lento, molto espressivo) 2:58
“Kinderscenen. Leichte Stücke für das Pianoforte” op.15 (1838)
29 1. Von fremden Ländern und Menschen 1:01
30 2. Kuriose Geschichte 1:11
31 3. Hasche-Mann 0:33
32 4. Bittendes Kind 0:37
33 5. Glückes genug 1:23
34 6. Wichtige Begebenheit 0:44
35 7. Träumerei 1:46
36 8. Am Kamin 0:48
37 9. Ritter vom Steckenpferd 0:39
38 10. Fast zu ernst 1:15
39 11. Fürchtenmachen 1:50
40 12. Kind im Einschlummern 1:43
41 13. Der Dichter spricht 1:45
Besetzung
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |